Evangelische Kirchen vereinbaren einen "Kanzeltausch"

"Jeder Pastor darf überall predigen"

Im Herbst wollen die Evangelische Kirche in Deutschland und die Vereinigung Evangelischer Freikirchen eine Vereinbarung über den Kanzeltausch unterzeichnen. Der VEF-Bevollmächtigte Pastor Konstantin von Abendroth erläutert den Plan.

Autor/in:
Benjamin Lassiwe
Symbolbild Kanzel / © Petrychenko Anton (shutterstock)

KNA: Die Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vereinbaren einen Kanzeltausch. Worum geht es da?

Konstantin von Abendroth (Pastor und Bevollmächtigte der VEF): Es gibt schon jahrzehntelange, regelmäßige Konsultationen zwischen dem Vorstand der Vereinigung Evangelischer Freikirchen und dem Rat der EKD. Und im Lauf dieser Zeit ist viel Vertrauen gewachsen. Daraus ist eine kirchliche Vereinbarung entstanden, in der es um das gemeinsame, evangelische Predigen geht. Das wird dann im September mit einem Festgottesdienst gefeiert.

KNA: Haben alle Mitgliedskirchen dieser Vereinbarung zugestimmt?

von Abendroth: Offizieller Partner der EKD bei dieser Vereinbarung ist die VEF. Aber alle Mitgliedskirchen haben ihr zugestimmt. Und das heißt, dass jede Pastorin und jeder Pastor einer VEF-Mitgliedskirche künftig die Möglichkeit haben, in einer Gemeinde der Landeskirchen zu predigen und umgekehrt. 

Das gab es bislang auch schon immer wieder auf lokaler Ebene, etwa bei einem Kanzeltausch im Rahmen der ACK oder der Evangelischen Allianz. Aber jetzt kommt, ganz offiziell und von der obersten Leitungsebene, die offizielle Ermutigung dazu, das zu tun und zu fördern.

KNA: Man erlebt bei den Landeskirchen wie bei den Freikirchen viele Gemeinden, die überaltert sind und schrumpfen. Kann ein freikirchlicher Pastor künftig auch landeskirchliche Gemeinden leiten?

von Abendroth: Es geht in dieser Erklärung um das reine Predigen, diese 10 bis 30 Minuten an einem Sonntagmorgen, und nicht um eine gesamte Gemeindeleitung.

KNA: Aber wäre das ein nächster Schritt?

von Abendroth: Es gibt volle Kirchengemeinschaft zwischen der EKD und einzelnen Mitgliedskirchen der VEF, wie etwa den Methodisten oder der Herrnhuter Brüdergemeine. Da gibt es teilweise auch eine deutlich engere Zusammenarbeit. Die jetzige Erklärung, hinter der ja alle VEF-Mitgliedskirchen stehen, geht in eine wirklich gemeinsame, wertschätzende Richtung. Aber es geht noch nicht um volle Kirchengemeinschaft.

KNA: Wo gibt es denn gute Zusammenarbeit zwischen den Freikirchen und der EKD?

von Abendroth: Da nenne ich zuerst meine eigene Erfahrung hier in Berlin: In Mitte und Prenzlauer Berg habe ich die letzten 15 Jahre lang ein sehr intensives, wertschätzendes Miteinander erlebt. Und es gibt einen regelmäßigen gemeinsamen Austausch unter den geistlich Verantwortlichen. An Pfingsten oder sonstigen Feiertagen haben wir gemeinsame Gottesdienste gefeiert. 

Und so wie ich das immer wieder erfahren habe, ist das ein Beispiel von zahlreichen: So etwas gibt es überall. Dann gibt es die Diakonie: Die Mitgliedskirchen der VEF und die VEF selbst sind Mitglieder in der Diakonie Deutschland. Und auch da gibt es regelmäßige Treffen und regelmäßigen Austausch.

Kontantin von Abendroth

"Es gibt ein kontinuierliches Engagement Hoffnung zu predigen."

KNA: Und wie entwickeln sich die Freikirchen in Deutschland insgesamt?

von Abendroth: Es gibt ein kontinuierliches Engagement bis hin zu einer Leidenschaft, den Menschen im Blick zu behalten und Hoffnung zu predigen. Da, wo Menschen engagiert sind, steht das an oberster Stelle. 

Und gleichzeitig ist es auch ein Querschnitt zu unserer gesamten Gesellschaft. Es gibt eine ganze Menge Menschen, die aufgrund der ganzen Krisen dieser Welt einen inneren Trotz entwickeln und sagen: "Jetzt muss ich erst recht mich um meine Mitmenschen kümmern." 

Aber es gibt auch Andere, die sich aus einer gewissen Angst und Zaghaftigkeit auch einfach zurückziehen und still werden.  Es gibt neben den Mitgliedskirchen der VEF auch jede Menge anderer Gruppen, die sich Freikirchen nennen.

KNA: Wie geht die VEF damit um?

Konstantin von Abendroth

"Wenn es um die Frage geht, ob die VEF wächst, gibt es einen gewissen Stillstand."

von Abendroth: Es gibt schon immer wieder den Wunsch, mit weiteren Freikirchen in dieser Art verbunden zu sein. Es bedarf dafür aber eine ökumenische Offenheit für die theologische Bandbreite, die in der VEF lebt. Grundsätzlich identifizieren wir uns aber nicht durch die Abgrenzung von anderen, sondern wollen unsere eigene Vielfalt wahrnehmen und wertschätzen. 

Wenn es um die Frage geht, ob die VEF wächst, gibt es einen gewissen Stillstand. Immerhin wurde in den letzten Jahren die kleine Freikirche "Apostolische Gemeinschaft" als neues Mitglied aufgenommen.  Sie sind der Vertreter der Freikirchen im politischen Berlin.

KNA: Wie sieht man dort die Freikirchen?

von Abendroth: Hier im politischen Berlin beobachte ich in den letzten Jahren zunächst einmal Offenheit und Lernbereitschaft. Eskommt oft darauf an, ob die einzelnen Gesprächspartner, die ich habe, schon Berührung mit einer Freikirche hatten. 

Hatten sie es, ist die Perspektive fast immer positiv und wertschätzend: Sie haben gesehen, was Freikirchen für das Miteinander in der Gesellschaft leisten. Hatten sie keine Berührung mit einer Freikirche, ist die Reaktion oft skeptischer. Dann halten sie Freikirchen für etwas fremdes oder für eine Gruppe, die sich aus der Gesellschaft zurückzieht. Dann ist es meine Aufgabe, diesen Eindruck zu korrigieren.

KNA: Was sind Ihre wichtigsten politischen Anliegen?

Konstantin von Abendroth

"Hier geht es darum, die Gesellschaft konstruktiv mitzuprägen."

von Abendroth: Uns geht es grundsätzlich um das Miteinander in der Gesellschaft. Die Kernkompetenz von uns Freikirchen sehe ich vor allem auf lokaler Ebene: Hier geht es darum, die Gesellschaft konstruktiv mitzuprägen. 

Das große Thema der Einsamkeit hatten wir meiner Meinung nach schon immer auf dem Schirm - medial ist es erst jetzt, durch die Pandemie, groß geworden. Da ein Gegengewicht zu setzen, Senioren im Blick zu behalten, die junge Generation in Gemeinschaft zu bringen, für ihren Lebensweg auszurüsten und zu ermutigen, bleibt eine große gesellschaftliche Aufgabe, die wir sehen und auf die wir auch hinweisen möchten.

KNA: Und wie ist es bei konkreten Themen? Nehmen wir mal die Kindergrundsicherung?

von Abendroth: Da gibt es, wie bei den meisten Debatten, einfach eine große Bandbreite. Die Vereinigung Evangelischer Freikirchen hat eine Breite von Überzeugungen, wo man zu manchem eine gemeinsame Meinung findet, aber zu vielem auch nicht. Und so ist es auch bei der Kindergrundsicherung der Fall.

Das Interview führte Benjamin Lassiwe.

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Gemeinschaft der 20 evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik. Wichtigste Leitungsgremien sind die EKD-Synode mit ihren Mitgliedern, die Kirchenkonferenz mit Vertretern der Landeskirchen sowie der aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehende Rat. Sitz des EKD-Kirchenamtes ist Hannover.

Synode der EKD / © Norbert Neetz (epd)
Synode der EKD / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
KNA