Evangelischer Pfarrer beklagt mächtige US-Waffenlobby

Waffen mit noch mehr Waffen begegnen?

Das Entsetzen ist groß: In Texas hat ein bewaffneter 18-Jähriger in einer Grundschule 19 Kinder ermordet. Pfarrer Kopania hat lange in den USA gearbeitet und erklärt, warum schärfere Waffengesetze selbst jetzt kaum umzusetzen sind.

Mahnwache für die Opfer, die beim Amoklauf an der Grundschule in Texas ums Leben kamen / © Billy Calzada (dpa)
Mahnwache für die Opfer, die beim Amoklauf an der Grundschule in Texas ums Leben kamen / © Billy Calzada ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dieser Bluttat gehört haben?

Frank Kopania (Leiter der Abteilung Auslandsarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland): Tränen und gleichzeitig Wut. Ich habe lange auch in Deutschland Notfallseelsorge und Krisenintervention als Pfarrer begleitet. Mir fehlen wirklich die Worte, mit den Angehörigen gemeinsam. Wir hatten das ja auch in Florida schon. Ich weiß, wie sich das anfühlt, Menschen zu begleiten, die in diesen Extremsituationen trauern. Aber mir fehlen leider mal wieder die Worte. Ich kann eigentlich nur auch persönlich und als Pfarrer mit den Menschen fragen: Warum? Und diesen Fragen einen Raum zu geben.

DOMRADIO.DE: Präsident Biden hat sich umgehend zu Wort gemeldet und gesagt, die Vorstellung, dass ein 18-Jähriger in ein Waffengeschäft geht und ein Sturmgewehr kaufen kann, ist einfach falsch. Man müsse handeln. Aber woran ist das Handeln bisher denn immer gescheitert?

Protest gegen Waffen in den USA / © Andres Leighton (dpa)
Protest gegen Waffen in den USA / © Andres Leighton ( dpa )

Kopania: Das hat ja schon eine lange Geschichte. Das Handeln scheitert in der Regel an der mächtigen Waffenlobby der USA, NRA genannt, die National Rifle Association of America. 2021 hat sie 150- jähriges Jubiläum groß gefeiert. Und sie ist eine derart machtvolle Lobby, die sich auf den zweiten Verfassungszusatz der amerikanischen Verfassung von 1791 beruft und eine derartig massive politische Lobby aufgebaut hat, dass es zu Mehrheiten im US-Kongress in der Regel nicht reicht.

DOMRADIO.DE: Könnte Biden sich denn theoretisch über den Widerstand der Republikaner hinwegsetzen und eine Verschärfung der Waffengesetze per Dekret anordnen?

Kopania: Ja, er könnte das machen. Aber die Geschichte der letzten 100 Jahre spricht ja leider eine andere Geschichte. Man hat ja 1968 schon den "Gun Control Act" ausgerufen, nachdem sich die Waffenlobby erst radikalisiert hat. Auch Clinton ist es 1993/1994 nicht gelungen, die Gesetze sind 2004 wieder ausgelaufen und 2005 gab es dann auch noch ein Gesetz zum Schutz der Waffenindustrie vor Klagen. Sie sehen, durch das Zweiparteiensystem in den USA sind Mehrheiten an dieser Stelle nahezu nicht möglich.

Frank Kopania

"Es wird ja in aller Ernsthaftigkeit darüber diskutiert, Lehrer zu bewaffnen, das Sicherheitspersonal zu erhöhen, also Waffen mit mehr Waffen zu begegnen."

DOMRADIO.DE: Aus unserer Perspektive kann man eher den Kopf schütteln, wenn darüber gesprochen wird, dass eher Lehrer bewaffnet werden sollen, als dass man sagt, man versucht, dass weniger Menschen den Zugang zu Waffen haben.

Kopania: Ja, aber die Waffenlobby verfängt immer wieder mit dem Satz, dass das einzige, was einen bösen Menschen mit einer Waffe stoppen kann, ist ein guter Mensch mit einer Waffe. Es wird ja in aller Ernsthaftigkeit darüber diskutiert, Lehrer zu bewaffnen, das Sicherheitspersonal zu erhöhen, also Waffen mit mehr Waffen zu begegnen. Und die Vorstellung, dass hier eine grundsätzliche Einschränkung des zweiten Verfassungszusatzes erfolgreich sein könnte, stößt gerade in den republikanischen – also in den sehr, sehr konservativen Kreisen der USA – an dieses Grundverständnis der persönlichen Freiheit und des Grundrechtes an, was sich emotional derart verfängt, dass es derzeit nicht durchzusetzen ist.

Polizist an der Grundschule Robb Elementary School in Uvalde, Texas / © William Luther (dpa)
Polizist an der Grundschule Robb Elementary School in Uvalde, Texas / © William Luther ( dpa )

Reaktionen auf Massaker an Schule in Texas

Nach dem Attentat an einer Grundschule im US-Bundesstaat Texas hat Papst Franziskus sein Beileid ausgedrückt. Er sprach sich für strengere Waffengesetze aus. Auch Bischof Bätzing zeigt sich "sprachlos" angesichts der Bluttat. "Das Massaker an der Grundschule in Texas bricht mir das Herz", sagte das Kirchenoberhaupt am Ende seiner Generalaudienz auf dem Petersplatz. Er bete für die Kinder, die getöteten Erwachsenen und ihre Familien.

Papst Franziskus spricht bei seiner wöchentlichen Generalaudienz im Vatikan. / © Andrew Medichini (dpa)
Papst Franziskus spricht bei seiner wöchentlichen Generalaudienz im Vatikan. / © Andrew Medichini ( dpa )

DOMRADIO.DE: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die Zahl der Amokläufe mit Schusswaffen so stark gestiegen ist in den vergangenen paar Jahren?

Kopania: Für mich liegt es an einer Radikalisierung der Gesellschaft, gerade in der Trump Ära. Ich merke selber in gemeindlichen Zusammenhängen, auch in familiären Zusammenhängen, dass durch diese starke Polarisierung und Radikalisierung politische Themen im öffentlichen und gesellschaftlichen Raum kaum mehr in einer angemessenen Art und Weise diskutiert werden können.

Und diese Polarisierung führt meiner Meinung nach, wie man es ja auch bei dem versuchten Sturm auf das Capitol am Ende der Ära gesehen hat, dazu, dass sich bestimmte politische Auffassungen und Haltungen in einer Radikalisierung leider auch mit Waffen der Gesellschaft niederschlagen.

Frank Kopania

"Also nicht die Menschen und das Leben sind im Blick, sondern die statische Auslegung von Texten. Und der zweite Verfassungszusatz sagt nun einmal das Recht der Bewaffnung der Bevölkerung zu."

DOMRADIO.DE: Wenn es um Themen wie Abtreibung geht, dann argumentieren konservative Wähler und Politiker dort immer mit dem Schutz des Lebens. Wenn es aber um Waffen geht, dann scheint dieser Schutz des Lebens plötzlich keine so große Rolle mehr zu spielen. Und auch das ist für uns Europäer kaum nachvollziehbar. Können Sie uns das erklären?

Kopania: Meiner Auffassung nach liegt das daran, wie ich mit bestimmten Texten oder Entwicklungen umgehe. Und hier sind ja ganz maßgeblich sehr konservative religiöse Kreise, die die Bibel wörtlich auslegen und darin das Tötungsverbot voranstellen. Und genauso wie die Bibeltexte ohne Zusammenhang statisch ausgelegt werden, wird hier auf den zweiten Verfassungszusatz zugegangen.

Also nicht die Menschen und das Leben sind im Blick, sondern die statische Auslegung von Texten. Und der zweite Verfassungszusatz sagt nun einmal das Recht der Bewaffnung der Bevölkerung zu. Und an dieser Auslegung liegt es, dass man offensichtlich widersprechende Vorstellungen hier in eins bringt und die die Abtreibung und das Tragen von Waffen in einer ähnlichen Art und Weise interpretiert.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR