Experte kritisiert Mängel im neuen Vatikan-Grundgesetz

"Nicht viel Neues drin"

Papst Franziskus hat Mitte Mai ein neues Grundgesetz für den Vatikanstaat beschlossen. Vatikan-Kenner Ulrich Nersinger ist enttäuscht vom Gesetzestext. Im Interview erklärt er, warum er darin nicht die viel beschworene Reform sieht.

Papst Franziskus schreibt / © Cristian Gennari (KNA)
Papst Franziskus schreibt / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Mitte Mai hat Papst Franziskus ein neues Grundgesetz für den Vatikanstaat beschlossen. Die Änderung, so heißt es, soll dazu dienen, dass die vatikanische Gesetzgebung besser den Erfordernissen unserer Zeit entsprechen kann. Stellt sich der Vatikanstaat mit diesem neuen Grundgesetz tatsächlich zeitgemäßer auf?

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte): Ich hatte große Erwartungen an den Text. Aber nach meiner Lektüre kam mir der Ausspruch des alten römischen Dichters Horaz in den Sinn, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert lebte. Der hat einmal gesagt: "Die Berge kreisen und geboren wird ein lächerliches Mäuslein". Daran wurde ich ein bisschen erinnert.

Der Fokus der medialen Berichterstattung lag vor allem darauf, dass in der Päpstlichen Kommission, der die Verwaltung des Vatikanstaat anvertraut ist, neben den Kardinälen nun auch Laien teilnehmen können, also sowohl Frauen als auch Männer.

Das klingt erst einmal sensationell, ist aber, wenn man sich die Struktur des Vatikanstaats anschaut, eigentlich gar nichts Besonderes.

Ulrich Nersinger

"Der Vatikanstaat ist eine absolute Monarchie und das kommt auch in dem neuen Text deutlich zum Tragen."

Der Vatikanstaat ist eine absolute Monarchie und das kommt auch in dem neuen Text deutlich zum Tragen. Der Papst besteht in der Präambel auf seiner Souveränität.

Schon in den ersten Artikeln steht, dass alle Gewalten, die im Vatikanstadt existieren, in seiner Person zu finden sind – also die gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt. Alles liegt in den Händen des Papstes und jede andere Autorität, alle andere Verwaltungsformen, sind eigentlich delegierte Formen.

DOMRADIO.DE: Was fehlt Ihnen konkret?

Nersinger: Erst einmal muss man sich den Text genau anschauen. Dann sieht man, dass er sehr viele Wiederholungen hat. Er gibt Sachen wieder, die eigentlich selbstverständlich sind. Manchmal habe ich gedacht, dieser Text würde sich für diese englisch-deutsche Buchreihe "For Dummies" eignen.

Meiner Meinung nach ist der Text handwerklich nicht gut gemacht. Das höre ich auch von vielen Experten. Der Text hat viele technische Fehler. Ein Beispiel: Der Papst spricht in der Präambel in der ersten Person, auch im Schlusswort kommt die erste Person zum Tragen. Aber dann schließt der Text mit dem Pluralis Majestatis, mit dem majestätischen Plural, ab..."im soundsovielten Jahre unseres Pontifikats". Das sind handwerkliche Fehler, die mich stören und die auch irgendwie nicht schlüssig sind.

Ulrich Nersinger

"Manchmal habe ich gedacht, dieser Text würde sich für diese englisch-deutsche Buchreihe 'For Dummies' eignen."

Dass Laien an der Verwaltung des Vatikanstaates beteiligt sind, war schon immer so. Man muss sich mal vor Augen halten, dass es schon 1929, im Jahr der Gründung des Vatikanstaates, einen weltlichen Gouverneur gab. Das war ein römischer Marchese, der bis 1952 regierte und das sehr gut gemacht hat.

Also da ist nicht viel Neues drin, weil alle Gewalt, die ausgeübt wird, immer eine delegierte ist, die immer auf dem Papst beruht. Von daher ist auch die Berufung von Laien nichts Besonderes.

Der Vatikanstaat ist ja nichts Sakrales. Man braucht ja keine Priester oder die Bischofsweihe, um Gesetze zu formulieren oder um den Staat zu regieren.

DOMRADIO.DE: Mal abseits der handwerklichen Fehler, die Sie beschrieben haben. Hat sich denn auch etwas mit diesem neuen Text verschlechtert?

Nersinger: Ja, mir und vielen anderen ist aufgefallen, dass das Arbeitsamt in diesem Text weggefallen ist. In den alten Verfassungen, etwa der von 2000 von Papst Johannes Paul II., wurde das Ufficio di Lavoro, das Arbeitsamt, erwähnt. Also eine Behörde, an die sich auch Arbeiter und Angestellte des Vatikanstaat in Streitfällen wenden konnten.

DOMRADIO.DE: Ihre abschließende Einschätzung? Kein großer Wurf, sondern viel Wind um nicht sehr viel?

Ulrich Nersinger

"Es ist großes Getöse, aber es ist nicht viel herausgekommen. Das ist aber bei vielen vatikanischen Gesetzen zu beobachten"

Nersinger: Es ist großes Getöse, aber es ist nicht viel herausgekommen. Das ist aber bei vielen vatikanischen Gesetzen zu beobachten. Man hat in den letzten Wochen und Monaten gemerkt, dass hier eine gewisse Qualifikation fehlt, also auch von den Leuten, die diese Gesetze formuliert haben.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Neues Grundgesetz für den Vatikanstaat

Papst Franziskus hat ein neues Grundgesetz für den Vatikanstaat vorgelegt. Ziel der Änderung der Verfassung soll es sein, die vatikanische Gesetzgebung "den Erfordernissen unserer Zeit" anzupassen, teilte der Heilige Stuhl mit.

Die Neuerungen umfassen unter anderem die Aufstellung der Päpstlichen Kommission sowie Fragen des vatikanischen Haushalts. Das Oberhaupt der katholischen Kirche ersetzt damit die 2000 von Papst Johannes Paul II. erlassene Verfassung.

Blick auf die Kuppeln des Petersdoms / © bellena (shutterstock)
Blick auf die Kuppeln des Petersdoms / © bellena ( shutterstock )
Quelle:
DR