"Die Zeit des Zurücklehnens und Zurückhaltens ist vorbei", sagte Ucar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Muslime stünden in der Verantwortung, ihre Positionen öffentlich darzulegen und zu erklären, "wie sie persönlich ihren Glauben verstehen und leben".
Auch einfache Muslime sollten versuchen, mit Rechtspopulisten zu diskutieren, sagte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Nicht alle hätten ein geschlossenes Weltbild. Studien zeigten, dass viele Bürger, die politisch nicht rechts zu verorten seien, Angst vor dem Islam hätten. "Deshalb sind selbst laienhafte theologische Dispute besser als Stillschweigen."
Einige Institutionen fernab der Realität
Einige muslimische Institutionen lebten jedoch fernab der Realität und entzögen sich jedem öffentlichen Diskurs. Ihnen fehlten sprachliche Grundkompetenzen oder sie verstünden sich als Heimatvereine, kritisierte Ucar. Teile der Gesellschaft stellten unterdessen das Existenzrecht von Muslimen infrage. Das zeige, wie fragil die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei.
Ucar appellierte an Gesellschaft, Politik und Kirchen, neue Ideen und Modelle zu entwickeln, um Menschen unterschiedlicher Religionen zueinander zu führen. Noch immer existiere unter Nichtmuslimen eine große Hemmschwelle, Moscheen zu besuchen.
Wenige Besucher an Tagen der offenen Moscheen
Selbst an den jährlich am 3. Oktober ausgerufenen Tagen der offenen Moscheen trauten sich nur wenige Besucher dorthin, sagte der Theologieprofessor anlässlich eines Fachkongresses über den Islam in westlichen Gesellschaften in Osnabrück. Wissenschaftler aus den USA und Westeuropa wollen dort ab Donnerstag drei Tage lang unterschiedliche theologische Positionen erörtern.
Solche Diskussionen über die Vielfalt und die Weiterentwicklung theologischer Lehrmeinungen sollten nach den Worten Ucars künftig vermehrt auch in den Moscheegemeinden geführt werden. Der Islam sei in Europa viel stärker als in islamisch geprägten Ländern einem Modernisierungsdruck ausgesetzt. Gleichzeitig spürten viele Muslime die schwere Last der Tradition und hätten Angst, sich zu sehr anzubiedern.
In der Begegnung mit der Moderne hätten sie es versäumt, "in den Räumen zu lüften. Jetzt sind sie verunsichert und schwanken zwischen den Extremen, die Fenster weit aufzureißen oder ganz geschlossen zu halten", sagte der Experte. Differenzen innerhalb der islamischen Theologie müssten jedoch ausgetragen werden. "Wer die überzeugenderen Argumente hat, der wird sich theologisch durchsetzen."