Experten fordern Studie über Babyklappen und anonyme Geburten

Langjährige Erfahrung, aber wenig Wissen

Experten haben bei einer Anhörung des Deutschen Ethikrats massive Kritik an Babyklappen und Möglichkeiten anonymer Geburt geäußert. Keiner der acht Sachverständigen sah am Donnerstag in Berlin Belege dafür, dass die Einführung dieser Angebote seit dem Jahr 2000 zu einem Rückgang von Neugeborenen-Tötungen geführt habe. Stattdessen sorge ein Handeln im rechtsfreien Raum für neue Findelkinder, die ihre Herkunft und familiäre Identität nicht kennten.

 (DR)

Babyklappen sind öffentlich zugängliche, geschützte Wärmebettchen, in denen Frauen anonym ihr Neugeborenes legen und zur Adoption freigeben können. Über einen Alarm werden eine Klinik oder Hebammen auf das Kind aufmerksam gemacht, so dass sie sich um den Säugling kümmern können. In Deutschland gibt es nach einer jüngsten Zählung 76 Babyklappen. Viele von ihnen werden von kirchlichen Einrichtungen getragen. Daneben gibt es rund 130 Krankenhäuser in Deutschland, in denen anonyme Entbindungen vorgenommen werden. Dabei gibt die Frau ihre Identität nicht preis.

Nach Erfahrungen des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF), der selbst Babyklappen betreibt, lassen sich die schwangeren Frauen in tiefen Notsituationen in drei Gruppen einteilen. Manche seien mit einem «personalen Kontakt» überfordert und wählten daher die völlig anonyme Babyklappe, um ihr Kind in Sicherheit zu bringen, berichtete Monika Kleine, SKF-Geschäftsführerin in Köln, bei der Anhörung.

Andere wollten die Anonymität gegenüber dem Kind wahren oder das Kind vor ihrem Partner oder ihrer Familie verheimlichen. Diesen Frauen könne häufig mit einer vertraulichen Beratung geholfen werden, bei der nur die Beraterin den Namen der Frau erfährt.

Frauen, die aufgrund ihrer Lebensumstände und ihrer psychisch-sozialen Verfassung jedoch ihr Kind töten wollten, würden weder über Babyklappen noch über «niedrigschwellige» Beratungsangebote erreicht, lautete das Fazit von Kleine. Der SKF hat sich daher nach eigenen Angaben 2004 entschlossen, keine weiteren Babyklappen einzurichten.

Bei der Anhörung im Ethikrat wiesen Juristen darauf hin, dass die Mutter sowohl ihre Unterhaltspflicht als auch das Grundrecht des Kindes verletze, seine Abstammung zu kennen. Auch der Sozialdienst Katholischer Frauen verfolgt daher das Ziel, dass die Frauen ihre Identität preisgeben und ihr Kind zu einer regulären Adoption freigeben, wenn sie es nicht behalten können oder wollen.

Um schwangeren Frauen in Notsituationen besser helfen zu können, schlug die Vorsitzende des SKF, Maria Elisabeth Thoma, ein dreistufiges Modell vor. Die anonyme Beratung von Schwangeren müsse gestärkt werden. Daneben sollten Krankenhäuser «vertrauliche Geburten» anbieten. Dabei gebe die Frau zwar ihre Daten an, diese würden aber streng vertraulich verwahrt und nicht weitergegeben. Als dritte Maßnahme nannte Thoma Inkognito-Adoptionen, bei denen die Adoptiveltern und das Kind den Namen der leiblichen Mutter nicht kennen, aber erfahren können, wenn die Mutter dem zustimmt.

Thoma bemängelte, dass es nach acht Jahren Erfahrung mit Babyklappen - die erste wurde 2000 in Hamburg eingerichtet - keine bundesweite qualifizierte wissenschaftliche Auswertung zu dem Thema gebe. Nur wenn man die Motive der Frauen besser kenne, lasse sich entscheiden, ob Babyklappen weiterhin sinnvoll seien oder die Hilfe woanders ansetzen müsse.

Im Bundesfamilienministerium werden derzeit Vorbereitungen für eine solche Studie getroffen. Es gebe keine «valide Datenbasis», bestätigte ein Ministeriumssprecher dem epd. Union und SPD hatten schon in ihrem Koalitionsvertrag 2005 festgeschrieben, die Erfahrungen mit anonymer Geburt auszuwerten und «soweit notwendig gesetzliche Regelungen» zu schaffen. Bisherige Versuche verschiedener Bundestagsfraktionen und einzelner Länder im Bundesrat scheiterten an verfassungsrechtlichen Bedenken.

Experten lehnen Bybyklappen fast einhellig ab
Bei der Anhörung im Ethikrat äußerten sich die Experten gegenüber der Babyklappe fast einhellig ablehnend. Ulrike Herpich-Behrens von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung und zuständig für Adoptionen berichtete, dass die betroffenen Frauen meistens mit ihrer Situation überfordert seien. Es habe bislang aber keine Hinweise darauf gegeben, dass eine Frau ohne die Babyklappe als Alternative ihr Kind getötet hätte, sagte Herpich-Behrens.

Die Behördenvertreterin erinnerte an den Fall in Hannover, der Anfang des Jahres Schlagzeilen gemacht hatte. Vor der Babyklappe des Friederikenstifts war im Januar ein Neugeborenes abgelegt worden. Der Säugling wurde erfroren aufgefunden, und es stellte sich heraus, dass sich die Klappe nicht öffnen ließ. Herpich-Behrens zog eine drastische Schlussfolgerung: «Es gibt Kinder, die sterben, weil ihre Mütter sie in die Babyklappe legen wollten.» Im Fall von Hannover ist allerdings nach wie vor ungeklärt, ob die Mutter versucht hat, das Kind in das Wärmebett zu legen, oder ob der Junge zu dem Zeitpunkt schon tot war.

"Entsorgung" eines Problems?
Joachim Neuerburg, Chefarzt einer Herner Frauenklinik, meinte, die Möglichkeit anonymer Geburten verhindere weder Kindsaussetzungen noch -tötungen. Sie schaffe «faktisch rund 100 neue Findelkinder» jährlich. Solche Angebote senkten die Hemmschwelle für eine Abgabe oder «Entsorgung» eines Problems.

Auch der Kölner Staatsanwalt Stephan Neuheuser, der 2001 juristisch gegen Mitarbeiterinnen des Kölner Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) vorging, bekräftigte seine Kritik. Trotz der Einführung von Babyklappen gebe es in Köln nach wie vor Kindstötungen, gerade auch bei Neugeborenen. Die Bonner Psychotherapeutin Anke Rohde, die als Forensikern intensiv bislang 17 Frauen nach Neugeborenen-Tötungen befragt hat, zeigte sich überzeugt, dass die Angebote Fälle von Kindstötungen nicht verhindern. Oft hänge es an einem seidenen Faden, ob ein Kind in einer hochproblematischen emotionalen Situation der Mutter überlebe, «dann hängt es aber nicht an Babyklappe oder anonymer Geburt».

Der Regensburger Hochschullehrer für Öffentliches Recht, Thorsten Kingreen, verwies darauf, dass alle Verfassungsrechtler, die sich bisher dazu geäußert hätten, die Angebote für verfassungswidrig hielten. Juristisch geht es um das Grundrecht des Kindes auf Kenntnis seiner Identität und Herkunft. Er plädierte für eine andere, niedrigschwellige Adoptionsvermittlung.

Vor der Anhörung hatte der im Ethikrat vertretene katholische Augsburger Weihbischof Anton Losinger Babyklappen und anonyme Geburten in Kliniken verteidigt. Im Extremfall könnten sie das Leben Neugeborener retten, sagte er im RBB. Er räumte ein, Babyklappen und anonyme Geburt dürften keine Versuchung bieten, dass Kinder «sozial entsorgt werden». Neben dem SkF sind auch eine Reihe von Krankenhäusern in katholischer Trägerschaft in diesem Bereich engagiert.