Experten streiten um Rentenerhöhung und Generationengerechtigkeit

Was ist gerecht?

Das Bundeskabinett hat eine außerordentliche Rentenerhöhung um 1,1 Prozent beschlossen. Das erscheint wenig für den einzelnen Rentner, vor allem angesichts der letzten Preis- und Mehrwertsteuererhöhungen. Für die zukünftige Generation kann dieser Schritt jedoch sehr teuer werden. Die Belastungen summieren sich bis 2011 auf 12 Milliarden Euro, schrieb das Handelsblatt. Belastungen der Rentenversicherung seien unabwendbar, erläutert Dr. Anette Reil-Held vom Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel im domradio. Die Belastungen von Rentnern und Beitragszahlern müssten aber ausbalanciert werden.

 (DR)

Es gäbe aber eigentlich keine Generationenkonflikte. Die Rentner hätten Verständnis für geringe Erhöhungen, wenn man ihnen erkläre, dass auch die Löhne sich schlecht entwickelt hätten. "Nur wenn die Politik sich zu so willkürlichen  Rentenerhöhungen nach Kassenlage hinreisen lässt", käme es zu Diskussionen. "Wir sollten lieber die Fakten sprechen lassen", propagiert Dr. Anette Reil-Held.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat die Bundesregierung aufgefordert, mehr gegen die drohende Altersarmut kommender Generationen zu tun. In der älter werdenden Gesellschaft werde die Alterssicherung immer wichtiger, sagte der NRW-Regierungschef. "Deshalb bin ich dafür, dass wir das gesamte System überdenken." Der Unionspolitiker forderte einen höheren steuerfinanzierten Anteil an der gesetzlichen Rente. Im Gegenzug könnten die Beiträge sinken. "Das käme auch der jungen Generation und der gesamten Wirtschaft zugute", so Rüttgers.

"Ich schlage vor, dass man nach 35 Jahren treuen Einzahlens in die Rentenkasse eine höhere Rente erhält als Hartz-IV-Niveau", sagte Rüttgers in einem Interview mit der in Düsseldorf erscheinenden "Westdeutschen Zeitung". Außerdem sprach sich Rüttgers für den Zugang gering verdienender Selbstständiger, wie Kiosk-Besitzer oder LKW-Fahrer, zur Riester-Rente aus.

Rente nicht auf Pump erhöhen
Der CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter hatte im Vorfeld vor einer "Rentenerhöhung auf Pump" gewarnt. Dass am 1. Juli die Altersbezüge außerplanmäßig um 1,1 Prozent steigen sollten, sei richtig. Wichtig sei aber die solide Finanzierung, sagte Kampeter der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Nach seinen Angaben sind die Voraussetzungen, bis 2011 einen ausgeglichenen Bundeshalt zu schaffen, "deutlich ungünstiger" geworden.

Der Zuschuss des Bundes zur Rentenkasse ist an den Rentenbeitrag gekoppelt. Das heißt, wenn der Rentenbeitrag nicht wie vorgesehen bis 2012 von 19,9 auf 19,1 sinkt, bleiben auch die Bundeszuschüsse höher als bisher geplant. Für den Finanzminister wird es dadurch schwieriger, 2011 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren zumal auch die Konjunktur schon wieder nachzulassen droht.

Rente nach Feudalherren Art?
Auch wenn die Finanzierung umstritten ist. Viele Politiker erkennen die Notwendigkeit einer Rentenerhöhung an. Der FDP-Bundesvize Rainer Brüderle kritisierte allerdings das Vorgehen der Regierung:  "Erst nimmt man ihnen etwas weg und jetzt kurz vor der Bundestagswahl macht man eine leichte Erhöhung." Dies erinnere ihn an das Modell der früheren Feudalherren. "Erst das Geld wegnehmen und jetzt ein bisschen zurückgeben - das ist keine seriöse, konsistente Politik". Weiter sagte der FDP-Politiker: "Die 1,1 Prozent, die jetzt als Großtat dargestellt werden, gleichen nicht einmal die steuerlichen Mehrbelastungen durch die Mehrwertsteuer bei den Rentnern aus, insofern ist das ein schlechtes Geschäft."

Unter dem Strich bleibt von den 1,1 Prozent Erhöhung zum 1. Juli nichts übrig", kritisiert auch der Präsident des mitgliederstarken Sozialverbands VdK, Walter Hirrlinger. Dass der Riesterfaktor zeitweise ausgesetzt werde, der Nachhaltigkeitsfaktor jedoch unangetastet bleibe, bedeute vor allem eines: "Es wird immer noch negativ in die Rente eingegriffen". Dazu komme die Inflationsrate von über drei Prozent. Hirrlinger sieht schwarz: "Der Kaufkraftverlust ist für die Rentner eine echte Belastung.

Hirrlinger warnte außerdem davor, den Riesterfaktor in wenigen Jahren nachzuholen. "Wenn der Nachhaltigkeitsfaktor und der Riesterfaktor umgesetzt werden, wird das zu weiteren Rentenkürzungen führen", sagte er. "Das halte ich für unerträglich." Hirrlinger kündigte für den Fall den Protest der rund 20 Millionen Rentner an. Zudem verbat er sich, "immer von den reichen Rentnern zu sprechen". Dies sei Unsinn. Im Schnitt liege die Altersrente bei 720 Euro.  

Vollkommen überzogen?
Die ehemalige stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen- Kefer nannte die Kritik an der "moderaten" Rentenerhöhung "vollkommen überzogen". Sie verwies auf eine Rücklage bei der gesetzlichen Rentenversicherung von annähernd 12 Milliarden Euro, die bis 2011 auf 24 Milliarden Euro steigen solle. Die für die Rentenanhebung veranschlagten Kosten dürften angesichts der steigenden finanziellen Reserven der Rentenkassen ohne weitere Belastungen der Beitragszahler verkraftet werden können, erklärte Engelen-Kefer, die Mitglied des SPD-Parteivorstandes ist.

Doch bei den Reserven liegt das Problem: 24 Milliarden Euro entsprechen der gesetzlichen vorgesehenen Notreserve von 1,5 Monatsausgaben. Erst wenn diese Rücklagen aufgebaut wurden, können die Rentenbeiträge gesenkt werden. Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) überlegt sogar, die Reserve auf 2,5 Monatsausgaben, das wären über Milliarden Euro, zu erhöhen. Beitragssenkungen würden dadurch in weite Ferne rücken. Die sind aber notwendig, damit Arbeitnehmer Spielraum bekommen, um privat vorzusorgen. Die gesetzliche Rente wird später nicht mehr reichen.