Polens Verfassungsgericht prüft Abtreibungsgesetz

Fast vollständiges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen möglich

Polens Regierungspartei PiS scheut sich davor, im Parlament eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes zu beschließen. Deshalb ruft sie die höchsten Richter an. Die könnten nun ein fast totales Abtreibungsverbot erlassen.

Autor/in:
Oliver Hinz
Schwangerschaftstest / © Harald Oppitz (KNA)
Schwangerschaftstest / © Harald Oppitz ( KNA )

In Polen wird für diesen Donnerstag eines der wichtigsten Urteile des Jahres erwartet. Das Verfassungsgericht entscheidet darüber, ob Abtreibungen fast ganz verboten werden und künftig nur noch legal sind, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist. 119 der 460 Abgeordneten des Unterhauses (Sejm) haben das Gericht angerufen, damit es die bisher erlaubten sogenannten "eugenischen Abtreibungen", also von missgebildeten oder schwer kranken Föten, für unvereinbar mit der Verfassung des Landes erklärt. Alle Versuche, das Abtreibungsgesetz aus dem Jahr 1993 zu verschärfen, waren zuvor im Parlament gescheitert.

Debatte um Schwangerschaftsabbrüche in Polen

Artikel 4a lässt den Abbruch einer Schwangerschaft zu, wenn bei einer vorgeburtlichen Untersuchung "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere und irreversible Beeinträchtigung des Fötus oder eine unheilbare, das Leben bedrohende Krankheit" festgestellt wurde. Die Antragsteller von der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der oppositionellen ultrarechten Konföderation argumentieren, das verletze die Menschenwürde ungeborener Kinder. Sie berufen sich auf Artikel 30 der Verfassung. Er lautet: "Die Würde des Menschen ist ihm angeboren und unveräußerlich. ... Sie ist unverletzlich, ihre Beachtung und ihr Schutz ist Verpflichtung der öffentlichen Gewalt."

Frauenrechtlerinnen sowie linke und liberale Politiker halten es dagegen für grausam, die Geburt von todkranken Kindern zu erzwingen. Die Abgeordnete Agnieszka Dziemianowicz-Bak von der linksgerichteten Partei Razem warf der PiS vor, es gehe ihr nicht um den Schutz des Lebens, sondern nur um die perverse, abscheuliche Bekräftigung von Tod und Leid". PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski wünsche sich, dass Frauen Kinder gebären und sie taufen lassen, "nur um dann zu sehen, wie sie sterben".

Für ein Verbot von "eugenischen Abtreibungen" engagiert sich indes der vom Parlament gewählte Beauftragte für Kinderrechte, Mikolaj Pawlak. In seiner Stellungnahme für das Gericht verweist er auf die steigende Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen. 2008 seien es noch 499 gewesen, 2019 bereits 1.110, davon 1.074 aus "eugenischen Gründen" meist nach der Diagnose Trisomie 21 oder Down-Syndrom. "Menschen mit dieser Art von Behinderung leben in vielen Fällen nicht nur selbstständig, sondern die Geschichte zeigt, dass sie sogar die Welt verändern, andere inspirieren und ihre Talente entwickeln", so Pawlak. "Das Gesetz darf keine so glatte Diskriminierung betreiben."

Volksinitiativen gegen Schwangerschaftsabbrüche

Die seit 2015 regierende PiS laviert zwischen einer von der katholischen Kirche befürworteten Gesetzesverschärfung und der bestehenden Regelung. 2018 ruderte sie angesichts einer Protestwelle gegen ein geplantes Abtreibungsverbot zurück. Der einflussreiche Chef des Kirchensenders "Radio Maryja", Pater Tadeusz Rydzyk, klagte daher: "Ich bezweifle, dass die sogenannte Rechte dieses Vorhaben wirklich voranbringen will."

Abtreibungsgegner haben mehrmals Unterschriften gesammelt und dem Sejm übergeben. Zuletzt reichten sie im November 2017 mehr als 800.000 Unterschriften für einen Gesetzentwurf ein. Die damalige Ministerpräsidentin Beata Szydlo (PiS) kündigte daraufhin zunächst an, sie werde für ein Verbot "eugenischer Abtreibungen" stimmen. Doch dann ließ die PiS die Volksinitiative im Giftschrank verschwinden.

Entscheidung dem Verfassungsgericht übertragen

Umfragen zufolge befürwortet die Mehrheit der Polen das seit 1993 bestehende Abtreibungsgesetz. Der eleganteste Weg scheint für die PiS somit, die Entscheidung dem Verfassungsgericht zu übertragen. Schon 2017 riefen es mehr als 100 Abgeordnete hauptsächlich der PiS deshalb an. Die Richter kamen diesem Auftrag aber bis zum Ende der Legislaturperiode im November 2019 nicht nach; damit verfiel der Prüfauftrag. Deshalb mussten sich die Abgeordneten des neuen Sejm erneut an das Verfassungsgericht wenden.,

Auch der Bischofskonferenz-Vorsitzende, Erzbischof Stanislaw Gadecki, rügte die Richter im Herbst 2019: "Das Ausbleiben einer Entscheidung des Verfassungsgerichts bewirkt, dass in den kommenden Jahren Hunderte Kinder getötet werden, nur weil sie wehrlos sind und vom Schicksal benachteiligt wurden."


Stanislaw Gadecki, Erzbischof von Posen / © Paul Haring (KNA)
Stanislaw Gadecki, Erzbischof von Posen / © Paul Haring ( KNA )
Quelle:
KNA
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