Felix Genn blickt auf sein bischöfliches Wirken zurück

"Ich schaue nicht auf Erfolge"

Am 6. März wird Münsters Bischof Felix Genn 75 Jahre alt. Kurz darauf könnte der Papst sein Rücktrittsgesuch annehmen. Im Interview spricht Genn über Geburtstagswünsche und seine Zeiten als Bischof in Trier, Essen und Münster.

Felix Genn, Bischof von Münster / © Julia Steinbrecht (KNA)

Katholische Nachrichtenagentur (KNA): Herr Bischof, in drei Wochen werden Sie 75. Für den 9. März ist eine große Feier geplant.

Bischof Felix Genn (Bischof von Münster): Ich wollte keine große Feier, aber ich komme ja nicht drumherum.

KNA: Was wünschen Sie sich?

Genn: Ich wünsche mir, dass es hier im Bistum gut weitergeht. Das gilt für die Strukturreformen, die aber nur den Rahmen bilden sollen für das Glaubensleben und die Weitergabe des Glaubens.

KNA: Wissen Sie schon, wann der Papst Ihren Rücktritt annimmt?

Genn: Der Nuntius, so hat er mir gesagt, wird am 9. März dazu etwas sagen. Aber es lässt sich noch nicht sagen, ob der Rücktritt angenommen wird. Wir warten.

KNA: Sie sind bald 26 Jahre Bischof: vier Jahre Weihbischof in Trier, sechs Jahre Bischof in Essen und 16 Jahre in Münster. Was hat Sie die meiste Kraft gekostet, was war Ihr größter Erfolg?

Genn: Die meiste Kraft hat mich das Thema des sexuellen Missbrauchs gekostet. Es bleibt für mich unfassbar, welches Leid Priester hier jungen Menschen angetan haben. Das Thema ist auch noch nicht vorbei, sondern muss weiter aufgearbeitet werden. Viel Kraft gekostet haben mich auch die Strukturveränderungen, die aber sicher notwendig waren. Diese haben gewachsene Strukturen aufgehoben und damit Heimatgefühle von Menschen verletzt.

KNA: Und der größte Erfolg?

Genn: Ich schaue nicht auf Erfolge, sondern kann schöne Ereignisse benennen: 2008 in Essen der 50. Geburtstag des Ruhrbistums, 2014 in Münster das 750-Jahr-Jubiläum des Doms, insbesondere mit vielen Schülerinnen und Schülern, 2017 das Weltfriedenstreffen der Gemeinschaft Sant'Egidio und 2018 der Katholikentag. Abgesehen davon habe ich auch viele Begegnungen mit Jugendlichen in der Jugendkirche Effata positiv in Erinnerung. Dieses Format fand ich wirklich gelungen.

Felix Genn, Bischof von Münster 

"Ich denke, dass ich bei meinen Grundauffassungen und insbesondere bei meiner Grundhaltung geblieben bin."

KNA: Sie haben Ihre Meinung zu manchen Themen in der Kirche im Laufe der Zeit geändert. Was außer dem Missbrauchsskandal hat Sie dabei am meisten beeinflusst?

Genn: Ich muss immer etwas schmunzeln, wenn man sagt, ich hätte mich geändert. Ich denke, dass ich bei meinen Grundauffassungen und insbesondere bei meiner Grundhaltung geblieben bin und versuche, mich Fragestellungen differenziert zu stellen. In Trier, in Essen und in Münster habe ich versucht, zunächst auf das zu hören, was Menschen mir sagen und ihnen offen zu begegnen.

Ich habe versucht, auf die Fragen der Menschen zu antworten - in größerer Differenziertheit. Die Lebenssituationen der Menschen können nicht nur dogmatisch oder von der Moraltheologie her beurteilt werden. Vielmehr habe ich den Versuch unternommen, kirchliche Lehre und gelebte Praxis von Menschen miteinander in Verbindung zu bringen.

Manchen Dissens muss man dann auch einfach einmal aushalten, vor allem aber sollte man die Menschen nicht verurteilen.

KNA: Sie arbeiten seit vielen Jahren in der Vatikanbehörde für die Bischöfe. Deren früherer Leiter, Kardinal Ouellet, hat einmal gesagt, jeder dritte vom Papst ausgewählte Bischofskandidat sage ab. Wie ist Ihr Eindruck: Wie viel Prozent der Bischöfe sind ihrer Aufgabe gewachsen?

Genn: Zur Zahl von Kardinal Ouellet kann ich nichts sagen. Aber es gibt tatsächlich viele Absagen. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass das Bischofsamt etwas Überforderndes hat. 

Es ist heute oft so, dass viele sich eine solche Leitungsaufgabe in dieser komplexen Welt kaum zutrauen. Wie viele Bischöfe ihrer Aufgabe gewachsen sind, vermag ich nicht zu sagen. Wer heute Bischof wird, muss fest im Glauben der Kirche verwurzelt und gleichzeitig beweglich und dialogfähig sein - wie ein Baum, der seine Zweige in verschiedene Richtungen ausstreckt. 

Nur dann wird es uns als Kirche gelingen, Menschen in all ihrer Vielfalt für den Glauben zu begeistern.

Felix Genn, Bischof von Münster 

"Wer heute Bischof wird, muss fest im Glauben der Kirche verwurzelt und gleichzeitig beweglich und dialogfähig sein."

KNA: Wie lange machen Sie die Arbeit noch im Dikasterium?

Genn: Solange ich gebraucht werde. Meine aktuelle fünfjährige Amtszeit läuft bis 2029. Wenn ich es gesundheitlich schaffe, mache ich das auch.

KNA: Sie sind für diese Aufgabe sehr häufig nach Rom gereist.

Genn: Das war mir auch wichtig, weil ich gemerkt habe, wie sehr es durch den Synodalen Weg notwendig ist, in Rom Vertrauen aufzubauen. Mein Ziel war es, deutlich zu machen, dass wir uns als deutsche Kirche nicht in eine zweite Reformation begeben.

KNA: Ist das gelungen?

Genn: Ich kann nur sagen, ich komme mit den Verantowrtlichen in Rom sehr gut zurecht. Es gibt ein sehr transparentes Verhältnis, wir schätzen und vertrauen uns.

KNA: Wenn es um Ihre eigene Nachfolge geht, reisen Sie aber nicht nach Rom?

Genn: Ich werde mich aus dem Verfahren, in dem mein Nachfolger bestimmt wird, heraushalten. Ich habe versucht, dieses Bistum 16 Jahre lang einigermaßen verantwortlich zu leiten. 

Deswegen habe ich noch nicht den Abstand, um zu sagen: Dieser oder jener ist der beste Kandidat. Ich werde weder Namen nach Rom geben, noch welche kommentieren, wenn ich gefragt werde.

Felix Genn, Bischof von Münster 

"Ich werde weder Namen nach Rom geben, noch welche kommentieren, wenn ich gefragt werde."

KNA: Der Papst hat Sie persönlich zur Weltsynode berufen. Gleichzeitig koordinieren sie eine Arbeitsgruppe, die Möglichkeiten prüft, Laien bei der Suche und Auswahl geeigneter Bischofskandidaten besser zu beteiligen. Welche Ideen gibt es dazu?

Genn: Es sind vor allem zwei Aufgaben, die wir bis Juni für den Papst in einen Text bringen sollen. Erstens: Wie werden als Entscheidungshilfe für den Papst weltweit noch mehr Personen, sowohl Bischofskonferenzen als auch insbesondere gläubige Laien, in die Auswahl von Kandidaten einbezogen? 

Zweitens: Wie werden zukünftige Bischöfe aus- und weitergebildet? Eine synodale Kirche braucht synodale Bischöfe, die synodal ausgebildet werden. Zu diesen Themen gibt es bereits viele Rückmeldungen aus der Weltkirche.

KNA: Woher kommen besonders viele?

Genn: Aus allen Regionen. Der Wunsch, mehr Leute bei der Auswahl von Bischofskandidaten zu beteiligen, ist überall gleich groß.

KNA: Zum 1. März, also kurz vor Ihrem Amtsende, haben Sie noch einen Schlichtungsrat und eine Disziplinarordnung für Kleriker eingerichtet. Was hat Sie dazu bewogen?

Genn: Das ist zunächst das Einlösen eines Versprechens, das ich im Juni 2022 nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens für unser Bistum gegeben habe. Damals habe ich gesagt: Wir brauchen eine transparente Form der Gerichtsbarkeit, bei der Entscheidungen des Bischofs und seiner Behörde von Menschen, die damit unzufrieden sind, in Frage gestellt und verhandelt werden können. 

Das hatten wir erst unter den Begriff der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesetzt. Nach guten Gesprächen mit römischen Verantwortlichen haben wir das aber geändert und errichten jetzt einen Schlichtungsrat.

KNA: Warum?

Genn: Der Schlichtungsrat ist mit dem Weltkirchenrecht zu vereinbaren und noch vor Ende meiner Amtszeit umzusetzen. Die Disziplinarordnung ist gedacht für Taten, die für einen Kleriker unangemessen sind, aber weder nach staatlichem noch nach kirchlichem Recht strafbar sind. 

Nehmen wir an, ein Pfarrer verweigert einem Paar die Taufe, weil es nicht verheiratet ist. Kirchenrechtlich kann ich nichts dagegen machen. Über die Disziplinarordnung kann der Bischof ihn dazu anweisen.

KNA: Der Schlichtungsrat kann nach Lösungen suchen, ob die Parteien dessen Empfehlung annehmen, bleibt aber eine Sache des guten Willens, oder?

Genn: Ja. Ziel ist natürlich, dass die Parteien den Vorschlag annehmen. Falls nicht, gibt es immer noch den Weg über das Kirchengericht der Apostolischen Signatur in Rom.

KNA: Wo werden Sie als Ruheständler wohnen?

Genn: Hier in Münster, direkt am Domplatz um die Ecke vom Bischofshaus.

KNA: Sie sind Weinliebhaber. Wenn der ersehnte Ruhestand bekannt gegeben und wirksam ist - welchen Tropfen würden Sie an dem Abend öffnen?

Genn: Gute Frage. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Wahrscheinlich würde ich zu einer Auslese greifen, die ein beträchtliches Datum hätte.

Das Interview führte Roland Juchem.

Bistum Münster

Das Bistum Münster ist mit etwa 1,92 Millionen Katholiken die nach Mitgliedern zweitgrößte Diözese Deutschlands. Das an die Niederlande angrenzende und bis an die Nordsee reichende Bistum ist auf einer Fläche von 15.000 Quadratkilometern in fünf Regionen gegliedert. Vier von ihnen liegen in Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommt der eigenständige Offizialatsbezirk Oldenburg in Niedersachsen. Seit 29. März 2009 leitet Bischof Felix Genn das Traditionsbistum.

Münster: Außenansicht vom Dom St. Paulus / © David Inderlied (dpa)