Bestatter sind Menschenkenner. Das gilt auch für Thomas Lynch, der seit fünf Jahrzehnten ein Beerdigungsunternehmen in Michigan betreibt – und Bücher schreibt. Wenn der Tod eine Lücke in eine Familie reißt, bietet er den Hinterbliebenen sein offenes Ohr. Was er hört, erschreckt ihn mitunter. "Die Leute wollen, dass die Leiche ziemlich schnell verschwindet", sagt Lynch.
Zahl der Feuerbestattungen stark angestiegen
Den schnellsten Abschied beschert das Krematorium. Die "Cremation Association of North America" (CANA) schätzt, dass sich bis 2040 vier von fünf Amerikanern für das Krematorium und gegen den Sarg entscheiden werden. Schon heute ist die Einäscherung laut dem Dachverband der Branche die am häufigsten gewählte Bestattungsform. 56 Prozent der im Jahr 2020 Gestorbenen hätten für sich die Feuerbestattung gewählt - mehr als doppelt so viele wie 20 Jahre zuvor.
Das verändert die bisher häufig von religiösen Vorstellungen geprägte Trauerkultur der USA. Im Gegensatz zur herkömmlichen Bestattung komme es bei der Einäscherung weniger zu einer Auseinandersetzung mit dem Tod, sagt Bestatter Lynch. Das beobachtet auch der Direktor des Green-Wood-Friedhofs von Brooklyn, Richard Moylan. "Manche Leute wollen, dass es vorbei ist und einfach erledigt wird", fasst er zusammen, was viele Bestatter seit Jahren beobachten. "Diese Generation will kein dreitätiges Trauerritual mehr."
Religiöse Unterschiede
Während die Einäscherung im Hinduismus und Buddhismus gängige Praxis ist, lehnen Juden und Muslime sie ab. Anders die katholische Kirche, die 1963 das Verbot der Feuerbestattung aufhob. Eine Triebkraft für die wachsende Zahl von Feuerbestattungen in den USA ist die fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft. 2021 sank die Zahl der Menschen, die einer Kirche angehören, Umfragen zufolge erstmals unter 50 Prozent. Damit einher geht das Verschwinden des religiös geprägten Beerdigungsritus.
Innovationsschub in der Bestattungsbranche
Der Trend zur Feuerbestattung hat aber auch finanzielle Gründe. Die Einäscherung kostet nur etwa ein Drittel der durchschnittlich rund 9.000 Dollar, die für eine Beerdigung anfallen. Hohe Kosten, die viele Menschen nicht mehr tragen können oder wollen. Das haben auch Sarganbieter wie "Titan Casket" aus Seattle erkannt, die im Internet besonders günstige Modelle anbieten. Auch auf Amazon sind günstige Särge für etwa 1.000 Dollar zu haben.
Die Bestattungsbranche erlebt seit Jahren einen Innovationsschub. So haben beispielsweise "End-of-Life"-Zeremonien Konjunktur, die eher an Partys erinnern - was schon an der Garderobe der Trauergäste zu erkennen ist. Holzfäller-Hemden zu Cowboy-Stiefeln und schrille Kleidchen dominieren und verdrängen den dunklen Anzug und das hochgeschlossene Kostüm.
Wachsender Beliebtheit bei Umweltbewussten erfreut sich die Kompostierung von Toten. In Seattle im Bundesstaat Washington wirbt das Unternehmen "Recompose" für eine Schnellkompostierung von Leichen in nur 30 Tagen. Übrig bleibt ein Kubikmeter Erde, der in jedem Garten als Dünger ausgebracht werden kann.
Kaliforniens Bischöfe gegen Kompostierung
Kalifornien ist einer von bislang fünf Bundesstaaten, die diese Form der Beerdigung erlauben - gegen den Widerstand der dortigen Bischöfe. Das Prozedere erinnere an die "Entsorgung von Vieh" und reduziere den menschlichen Körper auf "eine Wegwerfware", schrieben sie im Sommer an Gouverneur Gavin Newsom.
Der Bestatter Thomas Lynch sieht in den sich verändernden Ritualen und Methoden das Unbehagen einer Generation. Der Trend zur Einäscherung sei dafür sichtbarer Ausdruck: Es geht schnell, ist preiswert und es bleibt nicht viel von dem Verstorbenen übrig. "Wir versuchen mit dem Tod umzugehen, ohne uns mit den Toten zu beschäftigen."