Schwester Katharina analysiert EM-Aus und Ende der Löw-Ära

"Finde ich so schade für ihn"

Thomas Müller mit seinem Fehlschuss als tragische Figur und ein Bundestrainer, der zu lange im Amt geblieben ist: Schwester Katharina analysiert als Fußball-Fan das frühe Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der EURO 2020.

Wo geht`s lang? Die Ära Löw als Bundestrainer ist Geschichte / © Christian Charisius (dpa)
Wo geht`s lang? Die Ära Löw als Bundestrainer ist Geschichte / © Christian Charisius ( dpa )

DOMRADIO.DE: Viele Fans haben gestern Abend sehr traurig nach der Niederlage vor dem Fernseher gesessen. Sie auch?

Schwester Katharina Hartleib (Olper Franziskanerin und Fußball-Fan): Ja klar. Wir hatten ja alle vor dem Turnier ein bisschen das Gefühl, man weiß nicht so genau, was man von der deutschen Mannschaft halten soll, sie hatte etwas von einer Wundertüte: sie kann in der Vorrunde rausfliegen, aber sie könnte auch Europameister werden. Dieses Gefühl hatte ich. Und bis kurz vor Schluss dachte ich, die schaffen das ja noch. Bis dahin hatten sie es ja auch immer geschafft.

DOMRADIO.DE: Als Thomas Müller dann alleine auf den Keeper zulief und das 1:1 auf dem Fuß hatte, wäre vielleicht noch etwas drin gewesen. Aber insgesamt: Ich fand den Auftritt zu mutlos, zu wenig inspirierend. Wenn man am Tag davor die Spanier, die Kroaten, die Franzosen und natürlich auch die Schweizer gesehen hatten, dann frage ich mich immer: warum kommt da in so einem wichtigen K.O.-Spiel dann so wenig Zündendes?

Schwester Katharina: Ja, ich hatte das Gefühl, die haben so ein Löw'sches Korsett an; die sind in eine Taktik gezwängt und niemand von denen, die ja sonst geniale Spieler sind, traut sich aus diesem Korsett raus und nimmt das Spiel in die Hand. Da hat man ja zum Beispiel bei der WM 2014 erlebt, dass da einige dabei waren, die es einfach in die Hand genommen haben und das Spiel vorangebracht haben.

Und ich finde, Thomas Müller war wirklich ein bisschen die tragische Figur. Der ist ja gestern in dem Spiel immer wieder nach vorne gelaufen und hat gewunken, dass die anderen doch mitkommen sollen. Und dann hat er diese eine Chance und schafft es nicht. Aber das kann jedem passieren. Er ist das Bild für die derzeitige Situation: Er hat etwas gewagt und schafft es dann nicht.

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf Jogi Löw, es war sein letztes Spiel als Bundestrainer. Er hat ja einiges geleistet in seinen 15 Jahren als Chef. Höhepunkt war natürlich der WM-Titel 2014. Da hätte er auch einen anderen Abgang eigentlich verdient gehabt, oder?

Schwester Katharina: Ja, dieser WM-Titel 2014 war wundervoll. Aber dieses deutsche Sprichwort ist nicht so falsch, das man gehen soll, wenn es am schönsten ist. Wenn er das gemacht hätte, wäre das, glaube ich, klug gewesen. Er hätte sagen können: Okay, das waren jetzt wunderbare Jahre und ich geh' jetzt. Aber er hat es halt nicht gemacht. Und wir müssen ehrlich gestehen, es gab zwar noch ein paar schöne Spiele, aber es ging eigentlich immer mehr bergab. Und das finde ich auch für ihn so schade. Das hat er eigentlich nicht verdient, aber ein bisschen ist er auch selber schuld.

DOMRADIO.DE: Und jetzt ein Neuanfang mit Hansi Flick. Wir haben ja schon im nächsten Jahr die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar kurz vor Weihnachten. Was haben wir da jetzt zu erwarten?

Schwester Katharina: So ein schlechtes Abschneiden bei einer EM ist für Hansi Flick das Beste, was ihm passieren konnte. Denn er kann jetzt ganz neu anfangen. Er hat bis zur nächsten WM nicht viel Zeit, aber er hat eine andere Fußball-Philosophie und lässt anders spielen. Und ich würde mir sehr wünschen, dass Flick die Mannschaft sich einspielen lässt. Das hat mir bei Jogi Löw immer gefehlt, er hat ja bis zum Schluss immer gewechselt, probiert, gemacht, getan. Die konnten sich nicht miteinander einspielen. Es ging einfach nicht. Das würde ich mir sehr wünschen, dass Hansi Flick das anders macht.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist das deutsche Fußball-Sommermärchen zu Ende, zumindest in diesem Jahr. Wir konnten das eigentlich ganz gut gebrauchen, so als Mutmacher in der Corona-Pandemie. Wie bauen bei uns jetzt wieder auf? Nehmen wir jetzt uns die Schweizer als Vorbild, die Weltmeister Frankreich aus dem Turnier geworfen haben?

Schwester Katharina: Also, ich rege mich ja immer so furchtbar auf, wenn Deutschland spielt. Nach dem Aus wird das Ganze entspannter. Und wenn man jetzt anguckt, wer ins Viertelfinale gekommen ist: Ich finde das so überraschend, weil viele drin sind, von denen wir das nicht gedacht hätten. Ich hatte ja als Favoriten Italien, Belgien und Frankreich auf dem Zettel. Gut, Frankreich ist rausgeflogen, aber Italien und Belgien sind drin. Und ob den Schweizern nochmal so ein Coup gelingt, weiß ich nicht. Aber ich finde es wundervoll, dass plötzlich andere Mannschaften mehr in den Fokus geraten. Und diesen Fußball zu genießen, der einfach nochmal anders ist, das freut mich.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Seit 2017 ist Schwester Katharina Hartleib aus Olpe bei DOMRADIO.DE on air. Mit Interviews, geistlichen Impulsen und als Fußball-Expertin / © Martin Biallas (DR)
Seit 2017 ist Schwester Katharina Hartleib aus Olpe bei DOMRADIO.DE on air. Mit Interviews, geistlichen Impulsen und als Fußball-Expertin / © Martin Biallas ( DR )
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