Es sei nur eine Momentaufnahme gewesen, erzählt Bernd Steiner noch immer sichtlich bewegt. "Aber eine, die mich total geflasht hat." Die Begeisterung über seine Entdeckung ist ihm noch Wochen später anzusehen. "Fast habe ich mich erschrocken. Diese beiden Gesichter hatte ich vorher noch nie bemerkt. Wo kommen die denn jetzt her, habe ich mich gefragt."
Eigentlich sei es ein Tag wie jeder andere gewesen, erinnert sich der 53-Jährige rückblickend. Ein Tag, an dem der langjährige Florist des Domes wie sonst auch eimerweise frische Blumen anliefert und in der Vierung, aber auch in der Marienkapelle und vor dem Gero-Kreuz in stundenlanger Feinarbeit kunstvoll arrangierte Bukets steckt. "Ich hatte gerade die Vase unterhalb der Mailänder Madonna gefüllt – da traf es mich wie ein Blitz."
Sonst wisse er nichts weiter über diese zwei Gestalten auf dem Freskofragment und deren schemenhafte Umrisse auf der Rückseite der südlichen Chorschranken, auch die Literaturlage sei dünn, sagt er über den jüngsten seiner wechselnden Lieblingsorte im Kölner Dom. "Nur dass das richtig krass war, wie die Mittagssonne plötzlich genau auf diesen Porträts stand, mit einem Mal zwei Zuschauer mehr im Raum waren und mich ganz in ihren Bann gezogen haben." Auf den ersten Blick sei ihm die in ihren Zügen weitaus zugewandtere Figur wie ein engelhaftes Wesen erschienen. "Vielleicht ein bisschen androgyn, aber sanft und von jugendlicher Schönheit. Die andere dagegen eher abgewandt, sichtlich alt, fast griesgrämig."
"Ein Gegensatzpaar, das man dort nicht vermutet", interpretiert Steiner die nicht näher zu identifizierenden Heiligenbildnisse aus dem 14. Jahrhundert und meint: "Das Eine kann ohne das andere nicht sein, beide bedingen sich gegenseitig – so wie es schon im biblischen Buch Kohelet steht. Da hat auch ‚ein jegliches Ding unter der Sonne’ seine Berechtigung und es gibt für alles eine Zeit." Diese alttestamentarische Lesung sei ihm immer schon nahe gewesen. "Weil sie – in allen Facetten und mit ihren vielen Gegensatzpaarungen – das komplette Leben abbildet: vom Geborenwerden bis zum Sterben."
Fast bei den Benediktinern eingetreten
Der Kreislauf des Lebens, Werden und Vergehen, Blühen und Verwelken – das ist gewissermaßen das täglich Brot von Florist Steiner, der mit 19 auch schon mal in den Benediktinerorden eintreten wollte, nach dem Zivildienst sogar ein Theologie- und Kunststudium aufgenommen hat, dann aber doch lieber die kreativ-handwerkliche Richtung einschlagen wollte, so dass letztlich die Wahl auf die Floristik fiel. Auch weil er in seinen Wunschberufen Goldschmied oder Glaskünstler keine Ausbildungsstelle fand. Zum Glück. Denn heute möchte er nichts lieber machen als genau das, was er schon als Teenager am besten konnte und wofür er ganz offensichtlich eine besondere Gabe hat: Kirchen mit anspruchsvoller Blumenkunst verschönern.
Schon als Messdiener entdeckt er für sich in diesem Hobby eine Passion und hilft in seiner Heimatgemeinde im Siegerland dabei, das Gotteshaus zu besonderen Kirchenfesten mit viel Sinn für Atmosphärisches herzurichten. Die Liturgie unterstützen, nennt er das und bevorzugt statt "Dekoration" lieber den Begriff "Schmuck". "Das ist für mich ein großer Unterschied", betont der Floristmeister, "schließlich geht es um mehr als nur äußeres Beiwerk. Trotzdem dürfen Blumen nie aufdringlich sein, grell durch den Altarraum brüllen."
Heute hat sich Steiner mit seiner Arbeit für den Dom einen Lebenstraum erfüllt, doch lange nicht geglaubt, dass aus Wunschdenken eines Tages Wirklichkeit werden könnte. Jedenfalls nicht, als er als Jugendlicher während einer Taizé-Fahrt einen Zwischenstopp in Köln einlegt und ihn seitdem die Sehnsucht leitet, Teil des Teams dieser imposanten Kirche zu sein und hier eine Aufgabe zu übernehmen. "Am liebsten hätte ich ja eigentlich für ein Königshaus gearbeitet. Nun sind daraus gleich drei Royals geworden und Heilige noch obendrein. Mehr geht doch nicht, oder?", freut er sich. "Dieser Dom ist einfach unglaublich", schwärmt er. "Immer noch entdecke ich etwas Neues, selbst nach all den Jahren noch, so dass kein Tag wie der andere ist und es in diesem erhabenen Raum nicht an Abwechslung, aber auch nicht an Herausforderungen fehlt."
Eine davon sind die großen Feste im Kirchenjahr, wenn es beim Blumenschmuck besonders üppig zugehen darf, der Experte die Farben immer auch analog zum Anlass wählt: weiß und gelb zu Ostern, rot zu Pfingsten und blau-weiß zu Mariä Himmelfahrt. Auch bei Trauerfeiern ist Steiner ganz in seinem Element. Dann lautet die Maxime: statt bunter Pracht bewusste Zurückhaltung. "Es muss passen. Blumen sind kein Selbstzweck, sondern müssen sich in den Kontext fügen." Wie damals beim Staatsakt für die Opfer des Germanwings-Absturzes, als das Leid der Trauernden im Fokus stand. "Da gingen Fotos vom Dom um die ganze Welt. Das muss man im Blick haben und sich entsprechend zurücknehmen. Mir ist wichtig, jeden Anlass in die Sprache der Blumen zu übersetzen."
Den natürlichen Kreislauf des Wachsens respektieren
Und dafür hat Steiner ein untrügliches Gefühl. Auch in Fragen des Geschmacks ist er stilsicher. Denn der Blumenfachmann, der sich vieles bei seiner früheren, inzwischen verstorbenen Chefin Renate Schnieders abschauen konnte, die ihm auch die Tür zum Dom geöffnet hat, ist durch und durch Profi, gut organisiert, zuverlässig und fix. Hat aber auch seinen eigenen Kopf. "Blumen von Steiner", so wirbt er auf der Website seines Geschäfts im Belgischen Viertel, "heißt, Mut haben, sich von allzu kurzlebigen Trends zu lösen, frei zu gestalten und von der Natur inspirieren zu lassen." Was heißt, dass nicht immer alles in Reih und Glied stehen, ein Gesteck brave Umrissformen haben muss, wie er erläutert. Aber es bedeutet auch: die Jahreszeiten und den natürlichen Kreislauf des Wachsens und Gedeihens zu respektieren, also keine Pfingstrosen im Winter oder Ranunkeln im Sommer. Am liebsten heimische und saisonale Gewächse.
"Deshalb leide ich auch darunter, dass wir Floristen eigentlich nicht bedacht mit der Schöpfung umgehen, indem wir viel Müll produzieren, von daher nicht nachhaltig arbeiten", bekennt er ehrlich. Gleichzeitig reize ihn genau dieses Thema von Entstehung und Vergänglichkeit. "Das Helle und das Dunkle gehören nun mal zusammen. Es ist – wie gesagt – die Spannung von Gegensätzen, die es auszuhalten gilt. Überall im Leben", erklärt er. Und dass er sich von allem Morbiden – auch in der Welt von Fauna und Flora – magisch angezogen fühle. "Deshalb mag ich auch die fast schwarzen Schwertlilien, die am Sumpfufer wachsen, oder Blumen in dunklen Passions- und Schlammtönen. Besonders aber fasziniert mich die Christrose, die ausgerechnet mitten im kargen Dezember ihre wahre Schönheit entfaltet. Ein Wunder zu Jesu Geburt."
Es ist eine Freude, Steiner zuzusehen, in welchem Tempo er lange Gräser mit kurzen Blütenknollen, volle Rosenkelche mit hochgewachsenen Meerzwiebeln kombiniert und auch die Farbpalette immerzu neu mischt – manchmal gegen gängige Sehgewohnheiten – und nie, wie er ausdrücklich betont, das Gleiche wiederholt. "Eine Frage des Berufsethos", lacht er. Steiner hat eine Botschaft, und die lebt er.
Ein echter Künstler und ein bisschen auch ein Philosoph
Immerhin verbringt er vor großen Festen – Weihnachten, Ostern oder der Dreikönigswallfahrt – auch schon mal locker acht Stunden am Stück in Kölns Kathedrale. Dann verschanzt er sich im Dreikönigssaal neben der Sakramentskapelle und lässt dort inmitten eines Meeres der schillerndsten Blüten prächtige Kreationen entstehen. Manchmal auch ganz andere als die, die er vorher im Kopf hatte, weil das Angebotssortiment der frischen Blumen auf dem Großmarkt am Mittag dann doch nicht dem Bestellplan vom Vortag entspricht und tagelange Planungen spontan über den Haufen geworfen werden müssen. Doch so schnell bringt den quirligen Mann mit den bunten T-Shirts und der Nickelbrille nichts aus der Fassung. Wenn es um Blumen geht, ist er ein echter Künstler und ein bisschen auch ein Philosoph, der sich zu seinem Können viele Gedanken macht.
Dabei schöpft er immer auch aus seinem katholischen Background und einem tief verankerten Glauben. Nicht von ungefähr hat er einer Buchpublikation, die er zusammen mit zwei Theologen geschrieben hat, den bezeichnenden Titel "Das Auge betet mit" gegeben. Mit dieser Orientierungshilfe wie auch in zahlreichen Workshops gibt er Küstern, angehenden Sakralfloristen, aber auch Ehrenamtlichen, die beim kirchlichen Blumenschmuck aushelfen, etwas von seinem reichen Erfahrungsschatz ab.
Und noch etwas ist Steiner wichtig, wenn er den Dom betritt: Demut – trotz jahrzehntelanger Routine und der Tatsache, dass er im Dom ein- und ausgehen darf, selbst wenn dieser für den normalen Publikumsverkehr schon längst geschlossen ist. "Am Anfang kam mir meine Aufgabe wie der Kampf Davids gegen Goliath vor. Was sollten meine Blumen, die nach wenigen Tagen ohnehin wieder verschwinden, schon gegen die unfassbaren Ausmaße dieser Architektur ausrichten? Mittlerweile bin ich da gelassener geworden, doch die Ehrfurcht ist geblieben."
Natürlichkeit, Qualität und Schönheit – das sind für Steiner wichtige Kriterien, wenn er Blumen "inszeniert" wie jetzt bei der Dreikönigswallfahrt an den einzelnen Pilgerstation im Dom. Gleichzeitig sollen sie immer auch starke Symbolkraft haben, das aktuelle Fest unterstreichen. "Bei der Wallfahrt geht es um die bunte Vielfalt der Gläubigen, die zum Schrein der drei Weisen pilgern, die ihrerseits wiederum unterschiedliche Kulturen repräsentieren und sinnbildlich für die gesamte Menschheit stehen. Diese ‚Diversität’ soll sich auch in meinen Blumen widerspiegeln", begründet er die Zusammenstellung von blassrosa Hortensien, lila und lachsroten Rosen, kräftig gelben Steppenkerzen, orangenen Chrysanthemen und verschiedenen Nelkensorten, darunter die apricotfarbene Copacabana, die ihrem extravaganten Namen alle Ehre macht. "Was ich hier tue, ist meine Form des Gebets", stellt Steiner fest. "Ich stehe im Dienst der Heiligen Drei Könige – und das jedes Mal neu mit großer Dankbarkeit."