Forscher bekräftigt Kritik an Landeskirchen

Nur eine vollständige Analyse der Personalakten

Nach der Vorstellung der Missbrauchsstudie für die evangelische Kirche hat der Psychiater Harald Dreßing seine Kritik an der Zuarbeit der Landeskirchen bekräftigt. Diese haben nur einen Teil der Akten zur Verfügung gestellt.

Akten in einem Archiv / © Julia Steinbrecht (KNA)
Akten in einem Archiv / © Julia Steinbrecht ( KNA )

"Ich habe irritiert Meldungen aus einzelnen Kirchen gelesen, sie hätten alle Personalakten in die Hand genommen", sagte Dreßing am Freitag bei einer Tagung von Fachleuten und Kirchenmitarbeitern in Hannover. "Es mag sein, dass einzelne Landeskirchen alle Personalakten in die Hand genommen haben. Dann aber nur, um zu sehen, ob es darin eine Disziplinarakte gibt." Anwesende Mitarbeiter einzelner Landeskirchen erhoben daraufhin laut Widerspruch.

Harald Dreßing / © Arne Dedert (dpa)
Harald Dreßing / © Arne Dedert ( dpa )

Dreßing erklärte, er habe nur aus einer Landeskirche eine vollständige Personalaktenanalyse bekommen. Aus den anderen Landeskirchen lägen ihm entsprechende Unterlagen nicht vor.

Ein Teil der Akten zur Verfügung gestellt

Die erste bundesweite Missbrauchsstudie für evangelische Kirche und Diakonie war am Donnerstag in Hannover vorgestellt worden. Neben Dreßing waren zahlreiche weitere Wissenschaftler an der Erstellung beteiligt. In kirchlichen Akten fanden sie Hinweise auf 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte in den Jahren 1946 bis 2020. Weil den Forschern nach eigenen Angaben von 19 der 20 deutschen Landeskirchen nur ein Teil der Akten zur Verfügung gestellt wurde, gehen sie von weit höheren tatsächlichen Zahlen aus. Mit Hilfe einer Hochrechnung kommen sie auf fast 10.000 Betroffene.

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )
Quelle:
KNA