Forscher entdecken Altar aus Kreuzritterzeit in Grabeskirche

Sensationsfund hinter Graffiti

Es ist der Ort, an dem Jesus wohl begraben wurde. In der Jerusalemer Grabeskirche haben Forscher ein Altarteil aus der Zeit der Kreuzritter entdeckt. Lange dachte man, der Hochaltar sei verschollen, doch er war die ganze Zeit vor Ort.

Autor/in:
Tobias Fricke
Blick auf die Grabeskirche mit Baugerüsten, am 10. April 2024 in Jerusalem / © Johannes Schidelko (KNA)
Blick auf die Grabeskirche mit Baugerüsten, am 10. April 2024 in Jerusalem / © Johannes Schidelko ( KNA )

DOMRADIO.DE: Man könnte denken, dass jeder Stein in der Jerusalemer Grabeskirche erforscht wurde. Was haben Sie denn dort gefunden?

Ilya Berkovich, wissenschaftlicher Mitarbeiter (privat)
Ilya Berkovich, wissenschaftlicher Mitarbeiter / ( privat )

Ilya Berkovich (Österreichische Akademie der Wissenschaften): Während der Renovierungsarbeiten wurden die Steinstücke in der Kirche erstmal gründlich dokumentiert. Dazwischen war eine große, flache Steinplatte, die an einer Wand im hinteren Korridor stand. Diese Platte wurde von mehreren Touristen und Besuchern mit Graffiti beschmiert. Diese Platte wurde umgedreht und erstaunlicherweise sahen wir auf der anderen Seite wunderbare Kosmatenarbeit (Anm. d. R.: Kosmaten sind Marmordekorateure), also mittelalterliche Kunst aus Rom.

Die Rückseite ist mit Graffiti bedeckt, doch der Hochaltar soll viele hunderte Jahre alt sein und galt als verschollen / © Amit Re’em© Israel Antiquities Authority
Die Rückseite ist mit Graffiti bedeckt, doch der Hochaltar soll viele hunderte Jahre alt sein und galt als verschollen / © Amit Re’em© Israel Antiquities Authority

DOMRADIO.DE: Wozu gehört diese Platte?

Berkovich: Nach Forschungen konnten wir herausfinden, dass es sich um eine dekorierte Frontplatte von dem Hochaltar der Kreuzfahrerkirche handelt.

DOMRADIO.DE: Sie wussten zumindest theoretisch von der Existenz dieses Hochaltars. Aber er war bis jetzt nicht entdeckt. Woher wussten Sie davon?

Berkovich: Wir wussten ganz genau, dass dort ein Hochaltar war. Wir wissen auch ganz genau, an welchem Tag dieser Altar geweiht wurde: das war der 15. Juli 1149, so vor 875 Jahren. Es gibt konkrete Pilgerberichte aus dem zwölften Jahrhundert, die uns das erzählen. Beschreibungen von diesem Altar tauchen wieder und wieder in Pilgerberichten bis ins frühe 19. Jahrhundert auf.

Der Hochaltar soll aus der Zeit der Kreuzritter stammen und wurde jetzt erst entdeckt.  / © Shai Halevi© Israel Antiquities Authority
Der Hochaltar soll aus der Zeit der Kreuzritter stammen und wurde jetzt erst entdeckt. / © Shai Halevi© Israel Antiquities Authority

DOMRADIO.DE: Man kann es sich schwer vorstellen, warum so ein Hochaltar plötzlich weg ist. Wie kann das sein, dass nicht bemerkt worden ist, dass er die ganze Zeit zumindest als Teil in der Grabeskirche stand?

Berkovich: Im Jahr 1808 kam es in die Grabeskirche zu einem große Feuer. Der Teil, wo der Altar stand, war stark beschädigt. Und seitdem war der Altar nicht mehr da, das haben zumindest alle gedacht bis zu unserer Entdeckung. Genau genommen geht es um eine Wiederentdeckung, denn während unserer Forschungen haben wir einen technischen Bericht aus den 1960er Jahren gefunden, wo dieses Teil kurz beschrieben ist. Der damalige Entdecker hat nicht ganz verstanden, was er gesehen hat und seitdem war die Platte wieder "weg".

DOMRADIO.DE: Inwiefern wird der Papst ziemlich sicher eine Rolle gespielt haben für die Erstellung dieses Kreuzritteraltars?

Rekonstruktion: Der Hochaltar aus der Zeit der Kreuzritter hat vermutlich so ausgesehen / © Ilya Berkovich/Amit Re’em
Rekonstruktion: Der Hochaltar aus der Zeit der Kreuzritter hat vermutlich so ausgesehen / © Ilya Berkovich/Amit Re’em

Berkovich: Wir glauben, er war der Stifter des Altars. Denn es geht um Kosmatenarbeit. Kosmaten waren eine kleine Gruppe von gelernten, römischen Marmormeistern. Sie haben mehrere Kirchen in Rom dekoriert sowie in der näheren Umgebung von Rom, in der Region Latium. Das einzige Beispiel von Kosmatenarbeit außerhalb Italiens, das bis jetzt bekannt war, ist Westminster Abbey in London, und jetzt haben wir ein zweites Beispiel außerhalb Italiens gefunden, in Jerusalem.

DOMRADIO.DE: Das ist wirklich ziemlich spektakulär. Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Beteiligung des Papstes also?

Berkovich: 1149 wurde die Grabeskirche erweitert und teilweise wieder im romanischen Stil gebaut, quasi wie der "letzte Schrei" der europäische Mode. Und wir sind nicht überrascht, dass der Papst einen von seinen Meistern nach Jerusalem geschickt und in einen der wichtigsten Teile der neuen Kirche investiert hat.

Das Interview führte Tobias Fricke. 

Quelle:
DR