Forscher erklärt das Phänomen Einsamkeit

"Subjektive Wahrnehmung"

Die Festtage stehen vor der Tür. Aber nicht alle freuen sich darauf. Dazu gehören Menschen, die wissen, dass eine einsame Zeit auf sie zukommt. Der Forscher Marcus Mund erklärt, was Einsamkeit ausmacht und wie sie sich entwickelt.

Autor/in:
Elena Hong
Symbolbild Einsame Frau / © Nikodash (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was ist Einsamkeit eigentlich genau?

Prof. Marcus Mund (Institut für Psychologie an der Universität Klagenfurt): Einsamkeit wird in der Wissenschaft als die subjektive, defizitäre Wahrnehmung der eigenen sozialen Beziehungen beschrieben. Menschen nehmen also wahr, dass ihre sozialen Beziehungen nicht ausreichend sind. 

Das gilt entweder in Bezug auf die Anzahl von sozialen Kontakten, also Menschen haben nicht so viele soziale Kontakte, wie sie gerne hätten oder in Bezug auf qualitative Aspekte. Die Beziehungen, die da sind, fühlen sich in diesem Fall nicht nah genug, nicht eng genug oder irgendwie leer an. 

Prof. Marcus Mund

"Es scheint keine Einsamkeitsepidemie zu geben."

DOMRADIO.DE: Es heißt immer, dass Einsamkeit in unserer Gesellschaft zunimmt. Stimmt das oder ist das ein subjektives Gefühl? 

Mund: Da ist die Datenlage im Moment noch sehr schwach. Die Daten, die wir allerdings haben, deuten darauf hin, dass in vielen Altersbereichen Einsamkeit tatsächlich in den letzten Jahren nicht zugenommen hat. Es scheint keine Einsamkeitsepidemie zu geben. 

Wir haben das mal für junge Erwachsene zeigen können. Da ist in den letzten 40 Jahren doch ein leichter Anstieg der Einsamkeit zu verzeichnen. Natürlich gab es auch im Zuge der Pandemie Anstiege in der Einsamkeit, die aber mit dem mit dem Rückgang oder der Lockerung der Maßnahmen auch zurückgegangen ist. 

Es scheint insgesamt keinen substanziellen, lang anhaltenden Anstieg in den Einsamkeitsniveaus zu geben.

Prof. Marcus Mund

"Es kann auch Personen geben, die in ganz großen sozialen Netzwerken unterwegs sind und ganz viele Bekannte haben und trotzdem Einsamkeit erleben."

DOMRADIO.DE: Es gibt aber durchaus den demografischen Wandel und auch mehr Singlehaushalte als früher. 

Mund: Ja, wobei das nicht zwangsläufig etwas mit Einsamkeit zu tun hat – weder das Alter noch die Lebensform oder der Lebensstil. Bei Einsamkeit ist es wichtig, immer im Hinterkopf zu behalten, dass diese subjektive Wahrnehmung der eigenen Beziehungen in irgendeinem Aspekt als mangelhaft gegeben ist. 

Das heißt, es kann auch Personen geben, die in ganz großen sozialen Netzwerken unterwegs sind und ganz viele Bekannte haben und trotzdem Einsamkeit erleben, weil die Beziehungen nicht nah genug sind oder sich nicht eng genug anfühlen. 

Es gibt auch Personen, die ganz kleine soziale Netzwerke und wenige soziale Kontakte haben, die aber trotzdem Einsamkeit überhaupt nicht kennen, weil die Beziehungen, die sie haben, die Kontakte, die sie haben, das Bedürfnis nach Nähe und Intimität völlig ausreichend befriedigen können. 

Beim Alleinsein ist es auch so. Im Kindes- und Jugendalter kommt es zusammen vor. Wenn Kinder und Jugendliche allein sind, sind sie häufig auch einsam. Im Laufe des Erwachsenenalters differenziert sich das aber. Dann kann das Alleinsein sogar häufig als positiv empfunden werden. Alleinsein kann auch selbstgewählt aufgesucht und meistens auch wieder beendet werden, was bei der Einsamkeit leider nicht geht. 

Prof. Marcus Mund

"Die Gründe (..) sind ganz individuell."

DOMRADIO.DE: Trotzdem ist es ja so, dass viele Menschen jetzt alleine in ihren Wohnungen sitzen. Das Paradoxe ist ja, dass man sich so schwertut, zusammenzukommen und vielleicht gerade in der Adventszeit verstärkt dieses Gefühl hat, alleine zu sein. Was sind denn die Gründe für die Einsamkeit aus Ihrer Sicht? 

Mund: Die Gründe – und das macht es psychologisch interessant – sind ganz individuell. Wir kennen einige Variablen, die was mit Einsamkeit zu tun haben. Aber selbst wenn wir alle demografischen und Persönlichkeitsvariablen einer Person kennen würden, könnten wir immer noch nicht genau vorhersagen, ob diese konkrete Person Einsamkeit empfindet oder erlebt oder nicht. 

Das liegt daran, dass wirklich diese subjektive Wahrnehmung der Beziehungen so wichtig ist. Auch Beziehungsstandards und viele verschiedene Sachen spielen eine Rolle, sodass man nicht sagen kann, es gibt so ein ganz klares Profil einer einsamen Person. Das macht es so schwierig, einsame Personen zu entdecken und mit Einsamkeit umzugehen. 

DOMRADIO.DE: Man sieht es Ihnen also nicht an? 

Mund: Ja, ganz genau. 

DOMRADIO.DE: Wir wissen mittlerweile, dass es gefährlich sein kann, chronisch einsam zu sein und in Isolation zu leben. Es schlägt auf die Psyche und die Gesundheit. Die Bundesregierung hat darauf reagiert und ein 30 Seiten langes Strategiepapier veröffentlicht. Es umfasst Maßnahmen, Aktionswochen und Schulungen, die für das Thema sensibilisieren. Ist das aus Ihrer Sicht ein Schritt in die richtige Richtung? 

Mund: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es sind viele Sachen, die zu begrüßen sind und ein guter erster Schritt sind. Es gibt natürlich auch ein paar Sachen, die fehlen noch in diesem Strategiepapier. 

Am Ende hängt es davon ab, ob dann diese ganzen geplanten Maßnahmen auch finanziell unterfüttert werden können und wirklich umgesetzt werden können. Als erster Schritt ist es aber auf jeden Fall zu begrüßen. 

Das Interview führte Elena Hong.

Kabinett beschließt Maßnahmenbündel gegen Einsamkeit

Die Bundesregierung macht gegen Vereinsamung und soziale Isolation mobil. Das Kabinett beschloss am Mittwoch die sogenannte Einsamkeitsstrategie von Familienministerin Lisa Paus (Grüne). 

Bündel von Maßnahmen

Darin ist ein Bündel von Maßnahmen vorgesehen, um Betroffene zu unterstützen und der Vereinsamung einzelner Bevölkerungsgruppen gezielt vorzubeugen. Unter anderem werden Förderprogramme für einzelne Projekte in Aussicht gestellt sowie eine bessere Vernetzung der Angebote – etwa durch eine "bundesweite Koalition gegen Einsamkeit".

Einsamkeit / © FotoDuets (shutterstock)
Quelle:
DR