DOMRADIO.DE: An Weihnachten alleine sein: Das wollen wahrscheinlich die wenigsten Menschen freiwillig. Aber manchmal ist es einfach so, das muss ja auch gar nicht immer mit einem schlimmen Schicksal verbunden sein. Manche müssen arbeiten und können nicht nach Hause fahren. Andere wohnen vielleicht zu weit weg. Gibt es denn Angebote für solche Menschen?
Nora Klar (Beraterin in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Erzbistum Köln / EFL): Auf jeden Fall. Erst einmal ist es vielleicht manchmal auch ganz hilfreich, sich bewusst zu machen, dass man nicht alleine ist. Es gibt einfach viele Menschen, die an Weihnachten oder in der Weihnachtszeit nicht den familiären Anschluss haben, aus unterschiedlichen Gründen. Dann gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie man sich die Weihnachtszeit oder den Heiligen Abend auch besonders schön machen kann. Hilfreich kann es wirklich sein, im Vorfeld zum Beispiel zu überlegen: Wen könnte ich einladen? Sich selbst zu sagen: Ich bin heute Gastgeberin oder Gastgeber. Und: Wer ist an Weihnachten vielleicht auch alleine? Also wirklich das Fest zu sich nach Hause verlegen und einfach andere Menschen einladen – aktiv Anschluss suchen.
Dann gibt es natürlich auch noch die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Es gibt ganz viele Organisationen, in jeder Stadt eigentlich, die ehrenamtliche Helfer suchen, sei es bei der Essensausgabe oder zum Vorlesen von Geschichten im Altersheim. Da kann man sich wirklich einfach melden und fragen, ob Hilfe benötigt wird. Das ist auch eine Möglichkeit.
DOMRADIO.DE: Und dann gibt es ja auch verschiedene Vernetzungsangebote.
Klar: Auf jeden Fall. Die finde ich total grandios. Ich kannte das lange gar nicht, das ist etwas, was ich selbst erst vor ein paar Jahren kennengelernt hatte, weil mir eine Kollegin davon erzählt hat. Da gibt es zum Beispiel die Informationsplattform "Keiner bleibt allein". Ich kenne die von Instagram, aber ich glaube auch, dass man die auch über ihre Homepage kontaktieren kann. Nicht jeder hat ja Instagram. Die suchen Gastgeber. Das heißt, man sagt, wo man wohnt und wo man Anschluss sucht. Die haben ihr Netzwerk und schauen nach einem geeigneten Gastgeber. Oder aber man bietet selbst seinen Haushalt an und sagt: Ich bin heute Abend Gastgeber, wer möchte zu mir kommen? Das, finde ich, ist wirklich eine schöne Organisation.
Dann gibt es noch das "Silbernetz". Das ist ein Netzwerk für ältere Leute. Es ist ein bisschen so wie ein Sorgentelefon. Da steht wirklich immer jemand parat. Rund um die Uhr haben die Menschen die Möglichkeit, ein offenes Ohr vorzufinden. Man kann einfach telefonieren und vom Tag erzählen oder von seinen Sorgen und Ängsten. Das ist total schön. Gleichzeitig arbeiten die ein bisschen wie "Keiner bleibt allein". Sie vermitteln auch Telefonfreundschaften oder auch Kontakte in der Nachbarschaft.
DOMRADIO.DE: Wenn ich keines dieser Angebote annehmen kann oder will und dann an Weihnachten wirklich alleine zu Hause sitze: Was kann ich tun, um das Fest trotzdem zu begehen und vielleicht sogar was Positives draus mitzunehmen?
Klar: Ich glaube, dass manche Menschen das vielleicht sogar bewusst machen. Also sagen: Ich möchte gern Weihnachten alleine feiern, mir ist der ganze Trubel oder Konsum zu viel oder ich bin gar nicht so der Weihnachtsfan. Da kann man das unterschiedlich angehen. Wenn man sich jetzt sagt, mit Weihnachten habe ich's eigentlich gar nicht so, dann kann man sich eigentlich auch überlegen: Was sind meine Lieblingsbeschäftigungen? Wie sieht ein wunderschöner Tag für mich aus, was gehört dazu?
Man kann sich dann also vornehmen, diese ganzen Aktivitäten, die einem gut tun und die man gerne macht, an diesem Tag zu zelebrieren, so einen Tag, der mir gut tut, zu organisieren. Der muss dann auch gar nichts mit Weihnachten zu tun haben. Es kann auch sein, dass man ausgiebig badet und ein schönes Buch liest, oder schwimmen geht oder ins Kino.
DOMRADIO.DE: Wir wollen noch darüber sprechen, wie es ist, wenn man an Weihnachten Trauer hat oder einen Trauerfall verarbeitet. Manche Menschen sterben kurz vor Weihnachten oder eben auch irgendwann vorher im Jahr und dann bleibt ein Platz leer. Was geben Sie diesen Menschen mit?
Klar: Für die meisten Menschen ist gerade das Weihnachtsfest dann besonders schwierig, weil es für viele einfach das Familienfest ist. Weil dieses Fest auch mit so vielen Ritualen und Traditionen verbunden ist, kommt es dann oft vor, dass bestimmte Rituale und Traditionen auch noch an den Verstorbenen erinnern.
Das kann natürlich etwas Schönes sein. Viele Menschen finden es besonders wichtig, bestimmte Rituale und Traditionen, die sie mit dem Verstorbenen verbinden, auch weiterhin durchzuführen. Wenn man zum Beispiel jedes Jahr mit dem Opa den Weihnachtsbaum geschlagen hat, und es eine Tradition ist, die man einfach mit Weihnachten verbindet, dann finden manche Trauernde es total schön, das fortzuführen. Aber manche Menschen können mit dieser Trauer nicht umgehen oder die Trauer ist zu stark, wenn sie dieses Ritual weiterführen. Da rate ich auch den Menschen in der Beratung häufig, dass es auch gut tun kann, Dinge mal ganz anders zu machen, als es in den Jahren zuvor war.
DOMRADIO.DE: Gibt Weihnachten denn vielleicht auch die Möglichkeit, als Familie oder Freundeskreis Trauer ein Stück weit zu verarbeiten? Die Leute, die das betrifft, die kommen ja dann noch mal alle zusammen und vielleicht bietet das auch tatsächlich eine Chance?
Klar: Auf jeden Fall. Ich finde es immer wichtig, dass man die Festtage wirklich mit Menschen verbringt, mit denen man sich wohlfühlt. Es ist wichtig, dass die Trauer an diesen Tagen auch einen Platz findet. Es gilt also, der Trauer auch wirklich Raum zu geben und sie nicht zu unterdrücken. Das möchte man natürlich nur mit Menschen machen, bei denen man sich wohlfühlt. Deswegen ist es immer hilfreich, am Anfang zu schauen: Mit wem verbringe ich diese Tage? Fühle ich mich wohl mit diesen Menschen und kann ich da auch traurig sein, meine Traurigkeit zeigen? Dann ist es wirklich schön, dem Verstorbenen auch wirklich einen Platz zu geben.
Man kann das jetzt metaphorisch sehen, aber manche Menschen geben dem Verstorbenen wirklich einen Platz, zum Beispiel an der Festtafel. Manche stellen auch ein Foto auf oder man zündet eine Kerze für den Verstorbenen an. Was auch total schön sein kann, ist, gemeinsam über Geschichten, Anekdoten aus den letzten Jahren, von Weihnachten und der Weihnachtszeit zu erzählen und somit den Verstorbenen ein bisschen zu vergegenwärtigen.
DOMRADIO.DE: Weihnachten ist ja für viele ein sehr fröhliches Fest. Das Fest der Liebe, das Fest über die Freude der Geburt Christi. Wie kann ich als mich als Teil einer Weihnachtsrunde richtig verhalten, wenn ich weiß, dass jemand einen Angehörigen oder Freund verloren hat?
Klar: Das ist etwas, bei dem viele Menschen wirklich Hemmungen haben. Viele Menschen wissen nicht so richtig, wie sie mit Trauernden umgehen sollen – gerade auch zur Weihnachtszeit, denn das ist so ein fröhliches Fest. Da ist es wirklich wichtig, authentisch zu sein und den Trauernden einfach zu fragen, was er braucht. Auch die eigene Unsicherheit zu benennen, zu sagen: Ich weiß nicht so richtig, was ich sagen soll, ich will aber für dich da sein. Da ist jeder Trauernde ja auch ganz individuell. Die Unsicherheit ist normal. Was man dann tun kann, ist, diese Unsicherheit auch zu benennen und den Trauernden einfach zu fragen, was er braucht.
Das Interview führte Michelle Olion.