DOMRADIO.DE: Es ist kein schönes Gefühl, dabei kennt es bestimmt jeder von uns: Einsamkeit. Das muss kein Phänomen des Alters sein, auch junge Menschen und Kinder sind davon betroffen. Eine Studie der DAK hat herausgefunden, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien eher einsam sind als Kinder aus wohlhabenderen Elternhäusern. Herr Beckmann, können Sie mit Ihren Erfahrungen die Ergebnisse der Studie bestätigen?
Friedel Beckmann (Psychologischer Psychotherapeut, Leiter der Beratungsstelle "Die Jugendberatung" in Düsseldorf): Wir können bestätigen, dass Einsamkeit bzw. Gefühle des Ausgeschlossenseins auch im jungen Lebensalter ein sehr großes Thema sind. Wir arbeiten hier seit Jahrzehnten und das ist immer wieder ein Thema. Aber dieser Zusammenhang (von sozialem Hintergrund und Einsamkeit, Anm. d. Red.) ist uns noch nicht aufgefallen.
Wir hätten bis jetzt vor der Studie gesagt: Das ist ein Thema, das in allen sozialen Schichten vorkommt. Aber das heißt ja nicht, dass es nicht stimmt. Wir haben keine repräsentativen Untersuchungen an Tausenden von Leuten gemacht.
DOMRADIO.DE: Können Sie sich erklären, wie es zu den Ergebnissen gekommen ist?
Beckmann: Ja, die Erklärung wäre, dass Jugendliche aus niedrigeren sozialen Schichten – wenn man sich so ausdrücken will – sehr viel weniger Chancen haben. In dem Zusammenhang kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das dann auch ein Ergebnis ist.
In vielen Bereichen sind Jugendliche mit geringeren Chancen sehr viel mehr gehandicapt – das fängt bei der Gesundheit an und geht bis zu den Chancen, was Ausbildung und Beruf angeht. Es ist ein Phänomen der breiten Benachteiligung.
DOMRADIO.DE: Bleiben wir mal bei der Einsamkeit an sich. Was macht Einsamkeit überhaupt aus?
Beckmann: Einsamkeit würde ich erst einmal unterscheiden in äußere oder innere Einsamkeit. Äußere Einsamkeit im Sinne von wenig oder gar keine Kontakte haben. Kontakte, gute soziale Beziehungen zu haben, ist ja ein Grundbedürfnis von Menschen.
Das andere wäre eine innere Einsamkeit. Man kann durchaus mit Menschen zusammen sein und sich einsam bzw. ausgeschlossen oder abgeschnitten fühlen, weil man zum Beispiel das Gefühl hat, man gehört nicht richtig dazu oder weil man irgendwie ein Thema mit sich herumträgt, was einen von den anderen abschneidet. Diese beiden Formen würde ich einmal grob unterscheiden.
Einsamkeit ist ein sehr unangenehmes, beißendes Gefühl. Aus psychologischer Sicht ist es eine ziemliche Bedrohung, keine Kontakte zu haben. Das Gegenteil ist im Grunde das warme und gute Gefühl der Zugehörigkeit. Und es gibt den Unterschied zur selbstgewählten Einsamkeit – man will ja auch mal alleine sein.
DOMRADIO.DE: Was macht die Jugendberatung Düsseldorf? Wie helfen Sie Kindern, die einsam sind?
Beckmann: Es gibt natürlich kein Patentrezept. Zum einen bieten wir Gruppen an, das ist die eine Möglichkeit: in einer Gruppe frei zu sprechen; zu sehen, anderen geht es auch so; sich Tipps von anderen holen. Es ist ein erleichterndes Gefühl, dass es überhaupt Thema sein darf. Es ist ja ein sehr schambehaftetes Thema, weil es oft an das Gefühl des eigenen Versagens gekoppelt ist.
Wenn Jugendliche oder junge Erwachsene einzeln kommen, dann fragen wir sehr ausführlich, wie überhaupt die Lebenssituation ist, wie sich das Thema entwickelt hat. Fing es schon im Kindergarten an oder ist es ein aktuelles Phänomen, weil zum Beispiel schlechte Erfahrungen gemacht wurden oder weil man ausgeschlossen worden ist? Es gibt eine gründliche Analyse. Darauf kann man dann aufbauen.
DOMRADIO.DE: Welchen Tipp haben Sie für jeden Einzelnen und für die Kirche, wenn man mit Kindern Kontakt bekommt, die einsam sind?
Beckmann: Das werden die Kinder wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres sagen. Es geht darum, eine Sensibilität und Aufmerksamkeit zu entwickeln und zu fördern, dass Kontakte entstehen. Die Kirche hat eine Menge Möglichkeiten in den Gemeinden und Jugendzentren. Da geht es in erster Linie darum, Angebote zu machen und Gemeinschaft zu ermöglichen, eine Sensibilität zu entwickeln und ein Auge dafür zu haben, dass es das Thema auch gibt.
DOMRADIO.DE: Tritt Einsamkeit bei Kindern häufig auf oder ist das ein selten auftretendes Phänomen?
Beckmann: Das ist ein sehr häufiges Phänomen. Ich meinte ja schon, dass wir über eine jahrzehntelange Erfahrung verfügen und das ein Dauerthema hier in der Jugendberatungsstelle ist. Jugendliche und junge Erwachsene haben damit sehr viel zu tun. Dazugehören oder ausgegrenzt sein, gute Kontakte haben – das ist ein Dauerthema.
Einsamkeit, Isolation, das war und ist lange Zeit immer ein Thema gewesen und ein sehr bedrohliches, unangenehmes Thema für Jugendliche.
Das Interview führte Bernd Hamer.