Eine Studie zur Klimakrise, die neuesten Meldungen zum Krieg im Nahen Osten – und dann ein Kochrezept. Diese Flut und auch dieser Mix auf Sozialen Medien "überfordert einfach", sagt Maxi Gstettenbauer. Was der Comedian und Autor ("Meine Depression ist deine Depression") so auf den Punkt bringt, weist auf eine problematische Entwicklung hin: Einsame Menschen fühlen sich durch die Krisen in der Welt oftmals stärker herausgefordert. Und Einsamkeit nimmt zu.
Vor Corona habe sich jeder Zehnte einsam gefühlt; der Anteil sei dann auf bis zu 40 Prozent gestiegen, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Mittwoch im Deutschlandfunk. Nun sollen Forschung und Information gestärkt werden – mit der "Strategie gegen Einsamkeit", die am selben Tag vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Weiters ist eine Sensibilisierungskampagne mit Aktionstagen und -wochen vorgesehen sowie eine Stärkung von Angeboten, die menschlichen Kontakt ermöglichen – vom Sportverein über die Pflege bis zum Mehrgenerationenhaus.
Kein Problem nur älterer Menschen
Einsamkeit sei keine Krankheit, könne aber langfristig die mentale und körperliche Gesundheit beeinträchtigen, so Paus weiter. Durch den Vertrauensverlust gegenüber der Umgebung sei auch die Teilhabe an der Demokratie gefährdet.
Als erstes Bundesland hat Nordrhein-Westfalen eine entsprechende Stabstelle eingerichtet. Laut einer Studie, die das bevölkerungsreichte Bundesland kürzlich vorlegte, wurde Einsamkeit zu lange hauptsächlich als Problem älterer Menschen missverstanden.
Maike Luhmann, Psychologin und Autorin der NRW-Studie, wirbt für Differenzierung. Einsamkeit sei eine Erfahrung, die zum Leben dazugehöre. "Aber aus starker Einsamkeit kommen viele nicht mehr heraus." Es gehe also nicht um Menschen, die mit wenigen Sozialkontakten zufrieden seien und auch nicht um freiwilliges Alleinsein, sondern um ein "tiefes, schmerzhaftes Gefühl".
Gesellschaftlicher Druck, glücklich zu sein
In ihrer Studie ging es sowohl um emotionale Einsamkeit – also ein Gefühl allgemeiner Leere – als auch um soziale Einsamkeit, also darum, ob Menschen fehlen, auf die man sich verlassen kann und ob man sich oft im Stich gelassen fühle. Als "stark einsam" gelten diejenigen, die allen drei Aussagen zugestimmt haben. Eine Studie der Uni Jena hatte zuletzt gezeigt, dass nicht einsam sein muss, wer allein lebt.
Allerdings würden Menschen, die lange allein waren, "mit einer gewissen Skepsis" betrachtet, kritisierte der Psychiater Rainer Gross kürzlich in der Zeitschrift "Psychologie Heute". Dies sei "ein Stigma, das dann oft zur Selbststigmatisierung führt. Es gibt einen ganz ungeheuren gesellschaftlichen Druck, glücklich zu sein. Und glücklich ist man scheinbar nur dann, wenn man allzeit prickelnde Beziehungen hat, Frieden mit den Eltern geschlossen hat, ein pulsierendes soziales Netz".
Umgekehrt zögen sich psychisch erkrankte Menschen häufig zurück und würden dadurch erst einsam, sagt die Psychologin Franca Cerutti.
Daraus könne ein "Kompetenz-Defizit" entstehen insofern, als Betroffene sich irgendwann nicht mehr trauten, auf andere zuzugehen oder nicht mehr wüssten, wie sie Gesichtsausdrücke lesen könnten.
Gegenmaßnahme: Sport, Musik, Kontakte
Zugleich mahnt Andrea Lehmann, Projektreferentin beim Malteser-Projekt "Miteinander – Füreinander", Einsamkeit nicht nur als etwas zu sehen, das es zu bekämpfen und zu verbannen gilt. "Sie kann ein Hinweis darauf sein, was uns fehlt." Wer ein Gefühl als solches Signal erkenne, könne auch Strategien entwickeln, um damit umzugehen.
Zur Advents- und Weihnachtszeit sind viele Menschen mehr zu Hause als im Sommer – und mancher wird sich der Einsamkeit vielleicht erst bewusst. Luhmanns Studie benennt auch Strategien, die Menschen gegen Einsamkeit ergreifen. Als besonders wirksam erlebten Befragte demnach Sport, Musik hören oder Kontakt mit Bekannten – auch online. Zwar könne exzessive Mediennutzung problematisch werden; zugleich fühlten sich viele Menschen etwa über Messenger-Dienste mit anderen verbunden. Und nicht nur im Netz lassen sich Gleichgesinnte finden, darauf weist etwas die Telefonseelsorge hin, sondern auch bei kirchlichen Angeboten wie Kreativkursen, Chören oder Gemeinde-Ausflügen.