DOMRADIO.DE: Für die Verleihung ist gestern Ihre ganze Familie gekommen. War das für Sie ein wichtiger Tag?
Dr. Eva Weissweiler (Schriftstellerin, Musikwissenschaftlerin und Journalistin): Die ganze Familie ist nicht gekommen. Die ist sehr groß. Aber ein repräsentativer Teil der Familie ist gekommen. Natürlich war es für mich ein wichtiger Tag. Es ist ein Preis, um den man sich nicht bewerben kann, sondern den man zuerkannt bekommt. Ich habe es schon als angemessene und ehrenvolle Würdigung meiner Bemühungen um die Erforschung deutsch-jüdischer Frauenbiografien verstanden.
DOMRADIO.DE: Sie sind eine Pionierin der Frauenmusikforschung, und ein Themenschwerpunkt Ihrer Forschung war die Aufarbeitung der NS-Zeit in der Musikwissenschaft. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Weissweiler: Ich war selbst eine sehr ambitionierte junge Musikerin und bin in vielen Wettbewerben ausgezeichnet worden, als Klavierbegleiterin oder auch Alt-Blockflötenistin. Später im Studium der Musikwissenschaft ist mir aufgefallen, wie unglaublich patriarchal das ganze Musikleben damals noch geprägt war. Dirigenten, Komponisten, Orchestermusiker – alles Männer.
Das hat sich dann eigentlich erst durch eine feministische Initiative namens Frau und Musik, die wir Ende der 70er, Anfang der 80er-Jahre betrieben haben, geändert. Dass wir dagegen aufgestanden sind und Gleichberechtigung auch für die Frau im Musikleben gefordert haben.
DOMRADIO.DE: Ist es heute besser?
Weissweiler: Es ist in einigen Bereichen viel besser. Es gibt ja einige regelrechte Stardirigentinnen, auch noch sehr junge. Das WDR Symphonieorchester bekommt jetzt einen weiblichen Chef und in Berlin sind auch einige Dirigentinnen hoch aktiv. Komponistinnen gibt es immer noch nicht so besonders viele, aber die Orchester sind mit Frauen und Männern ungefähr gleich besetzt.
DOMRADIO.DE: Sie haben sich - abgesehen von dieser Musikwissenschaft - mit deutsch-jüdischen Frauenbiografien beschäftigt. Was für Frauen sind das, denen Sie sich gewidmet haben? Haben sie etwas gemeinsam?
Weissweiler: Sie haben alle etwas gemeinsam. Nämlich, dass sie entweder von Verfolgung bedroht waren und meistens große kreative und politische Leistungen vollbracht haben, die bis dato noch nicht richtig gewürdigt worden sind. Ich habe ja nicht nur Frauen des 20. Jahrhunderts und der Holocaust-Zeit genommen, sondern Eleanor Marx, die jüngste Tochter von Karl Marx. Sie war auch Jüdin. Oder die Töchter von Sigmund Freud.
Sie sind auch alle jüdischer Herkunft, die habe ich auch genommen. Als Angehörige der unmittelbaren Nachkriegsgeneration bin ich noch mit sehr viel antisemitischen Sprüchen in Schule, Universität und Elternhaus aufgewachsen. Ich hatte das Gefühl, etwas für die Aufarbeitung dieser Frauengeschichte tun zu müssen.
DOMRADIO.DE: In diesem Jahr haben Sie eine Biografie über Lisa Fittko veröffentlicht. Das war eine deutsch-österreichische Widerstandskämpferin gegen die Nazidiktatur in Deutschland. Was hat Sie an ihr und ihrer Biografie so fasziniert?
Weissweiler: Sie ist vor allem dadurch bekannt geworden, dass Sie als als ganz junge Frau mit knapp dreißig Jahren wirklich Hunderte von gefährdeten Flüchtlingen eine Schmugglerfahrt über die Pyrenäen oder über ein Tal der Pyrenäen geführt hat, die aus dem von Deutschland besetzten Frankreich nach Spanien fliehen wollten, um von dort nach Lissabon und dann von dort nach Amerika zu kommen.
Da die französischen Ausreisebedingungen ungeheuer erschwert waren, gab es praktisch nur die Möglichkeit, auf illegalem Weg Frankreich zu verlassen. Das hat sie mit einer Heldenhaftigkeit und einer Aufopferungsbereitschaft erster Güte möglich gemacht und dabei eigentlich bei jeder neuen Tour ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt.
DOMRADIO.DE: Wie sind Sie vorgegangen beim Recherchieren?
Weissweiler: Sie hat zwei autobiografische Bücher geschrieben. Die habe ich als erste Grundlage genommen. Dann habe ich aber gemerkt, dass sie natürlich, weil sie beide mit über 40 Jahren Abstand zu den Geschehnissen geschrieben sind, sehr lückenhaft waren. Dann bin ich in Archive gegangen.
Das war in erster Linie das Exilarchiv in Frankfurt. Dem hat sie einen großen Teil ihres Nachlasses selbst vermacht. Dann habe ich die lebenden Anverwandten, soweit sie dazu bereit waren, befragt und natürlich viele Nachlässe von ihren Zeitgenossen und auch zeitgenössische Exilliteratur und Exilzeitungen befragt.
DOMRADIO.DE: Haben Sie sich auch mit der Frage beschäftigt, ob eigentlich in dieser NS-Diktatur prozentual mehr Frauen als Männer jüdischen bedrohten Menschen geholfen haben?
Weissweiler: Damit habe ich mich beschäftigt, aber ich glaube nicht, dass das so war. Dass man das mit einem klaren Ja oder Nein beantworten kann. Dafür, dass Frauen es generell so schwierig hatten - übrigens auch in diesen ultralinken Kreisen der KPD - aus dem die meisten Widerstandskämpfer und Kämpferinnen kamen. Das war eine sehr frauenfeindliche Partei. In der Tat ist es erstaunlich, dass es doch einige Frauen gegeben hat, die da trotzdem mindestens genauso mutig gewesen sind wie die Männer, wenn nicht noch mutiger.
DOMRADIO.DE: Der Giesberts-Lewin Preis ist benannt nach zwei Männern, der eine - Johannes Giesberts - hat von Köln aus und der andere - Schaul Lewin – hat sich von Tel Aviv aus nach dem 2. Weltkrieg um Versöhnung durch Schüleraustausch verdient gemacht. Das war ja damals so kurz nach dem Holocaust ein riesen Schritt. Inwiefern haben sich die Frauen, die sie erforscht haben um Versöhnung verdient gemacht?
Weissweiler: Da bin ich mir im Moment nicht so sicher. Ich glaube, dazu waren sie alle in zu großer Gefahr, um sich auch noch aktiv um Versöhnung kümmern zu können. Sie mussten wirklich ihr Leben und das vieler ihrer Glaubensgenossen und Genossinnen und Ihrer Familie retten. Darum ging es in erster Linie. Es war dann für diejenigen, die den Holocaust überlebt haben, Luise Straus Ernst zum Beispiel, über die ich ja auch geschrieben habe.
Die Kölner Kunsthistorikerin und Journalistin hat nicht überlebt. Sie ist mit einem der letzten Transporte aus Südfrankreich nach Auschwitz gebracht worden. Aber für diejenigen, die überlebt haben, war einfach der reine Existenzkampf und das Verstehen dessen, was da passiert ist ganz wichtig. Die meisten sind im Exil gelandet. Was sollten sie da noch groß für Versöhnung tun? Ich glaube, sie waren sehr hart und sehr verbittert. Das meine ich jetzt nicht im negativen Sinne. Sie sind sehr hart durch das ganze Elend und die Ausrottung Ihrer Familie geworden.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie gestern diesen Preis bekommen, der auch von der Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit vergeben wird. Der war jetzt genau für Ihr jüngstes Biografiebuch, oder wofür haben Sie den bekommen?
Weissweiler: Der war, soweit ich das verstanden habe, durch die Rede von Professor Wilhelm eigentlich doch für mein gesamtes Werk. Er hat diesen Gedanken der Toleranz und Verständigung, sowohl bezogen in seiner Rede auf meine Werke über die archäologische Wiederentdeckung von Komponistinnen, wie auch auf das den Fokus auf Deutsch jüdische Frauenbiografien. Das hat er alles unter einem Aspekt gesehen, nämlich unter dem der Toleranz, der Gleichberechtigung und der Versöhnung.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie so die sich und viele Jahre sich mit dem Thema und mit diesen Frauen beschäftigen, zurückdenken, gibt es da eine Frau, die Ihnen untergekommen ist, die Sie am meisten beeindruckt hat in Ihrer Arbeit?
Weissweiler: Ja. Am meisten hat mich Luise Strauß Ernst beeindruckt. Sie war promovierte Kunsthistorikerin, arbeitete später hauptsächlich als Journalistin und Autorin. Wie sie sich als alleinerziehende Mutter von ihrem Mann, dem Maler Max Ernst, schmählich verlassen, im Exil auch durchgeschlagen hat, das war einfach fantastisch.
Immer wieder mit kleinen Nebenarbeiten, als Sekretärin, als Verkäuferin, als Putzhilfe, als Kindermädchen. Dann trotzdem literarisch ganz Großartiges geleistet. Und nie, jedenfalls bis zu dieser Zeit, verbittert und humorlos geworden. Das war einfach ganz toll.
Nachher, in Auschwitz, hatte sie keine Gelegenheit mehr, irgendeine Form von Humor an den Tag zu legen. Sie beeindruckt mich ganz besonders. Vor allem durch einen Satz, den sie mal gesagt hat: Ich habe ein Schiff, das sich Optimismus nennt. Es ist schon in manche Seenot geraten, aber es ist bis jetzt noch nie untergegangen.
DOMRADIO.DE: Sind Ihre Biografie Bücher über besondere Frauen auch ein Appell an Frauen aus der heutigen Zeit?
Weissweiler: Auf jeden Fall. Wir können uns gar nicht genug mit der deutsch-jüdischen Frauengeschichte befassen, weil diese Frauen, die waren doppelt und dreifach diskriminiert. Erstens, weil sie Frauen waren in einer patriarchal dominierten Zeit. Zweitens, weil sie Jüdin waren. Drittens, weil sie kreativ waren. Viertens, weil sie auch noch oft sehr links oder zumindest sozial engagiert waren.
Vieles davon vermisse ich bei der jüngeren Frauengeneration. Ich kann das nicht global sagen, aber ich sehe immer wieder Beispiele, dass junge Frauen erstaunlich schnell bereit sind, wieder in die traditionellen Rollenklischees hineinzugehen und all das, was unsere Generation feministisch erkämpft hat, lächerlich und unnötig finden.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.