Fragen und Antworten zum Benedikt-Verfahren in Traunstein

Missbrauchsopfer will Schadensersatz

Am kommenden Dienstag beginnt vor dem Landgericht Traunstein ein Zivilprozess, der für Schlagzeilen sorgt. Ein Missbrauchsbetroffener aus Bayern will mehrere hunderttausend Euro Schadensersatz, auch von den Erben Benedikts XVI.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Papst Benedikt XVI. erhebt die Hand am 11. Oktober 2012 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Benedikt XVI. erhebt die Hand am 11. Oktober 2012 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Wer ist der Kläger?

Andreas Perr (39) aus dem oberbayerischen Garching an der Alz gibt an, von seinem früheren Pfarrer Peter H. Mitte der 1990er Jahre zusammen mit anderen Jungen missbraucht worden zu sein. Das habe ihn völlig aus der Bahn geworfen. Perr wird von der Garchinger «Initiative Sauerteig» unterstützt, die für ihn nach eigenen Angaben bereits 25.000 Euro zur Finanzierung seiner Prozesskosten gesammelt hat. Peter H. ist ein Wiederholungstäter, der an verschiedenen Orten Kinder missbraucht hat. Im 2022 veröffentlichten Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese München und Freising füllt sein Fall einen Sonderband.

Wer sind die Beklagten?

Die Klage richtet sich gegen drei Personen sowie eine Körperschaft, das Erzbistum München und Freising. Außer dem mutmaßlichen Täter selbst soll das Erzbistum für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden, dazu die früheren Münchner Erzbischöfe Kardinal Friedrich Wetter (95) und Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., der mehrere Monate nach Einreichung der Klage am Silvestertag 2022 gestorben ist.

Was will der Kläger erreichen?

Er verlangt insgesamt 350.000 Euro Schmerzensgeld, 300.000 Euro vom Erzbistum München und Freising und 50.000 Euro von den Erben des früheren Papstes Benedikt XVI. Diese sind aber noch nicht ermittelt, weshalb der Anwalt des Klägers eine Abtrennung dieses Verfahrens beantragt hat. Darüber ist noch nicht entschieden.

Wie haben sich die Beklagten positioniert?

Das Erzbistum München und Freising, gegen das sich der Großteil der Forderung richtet, hat sich grundsätzlich bereiterklärt, ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten. Dies könnte auch auf dem Weg eines Vergleichs erreicht werden. Der Anwalt des mutmaßlichen Täters hat die Tat selbst nicht bestritten, aber die Abweisung der Klage beantragt. Von den potenziellen Erben von Benedikt XVI. hat zumindest eine von mehreren Cousinen das Erbe ausgeschlagen und ist damit keine Verfahrensbeteiligte. Von einer Reaktion anderer Verwandter ist noch nichts bekannt.

Welche Rolle spielt Georg Gänswein?

Der Erzbischof ist als einstiger Privatsekretär Benedikts mit der Testamentsvollstreckung beauftragt. Nach eigenen Angaben hat er vor einigen Monaten mit der Suche nach Verwandten des Verstorbenen begonnen, die als mögliche Erben in Betracht kommen. Insgesamt fünf Cousinen sollen von ihm Post erhalten haben. Zum nicht näher bezifferten Nachlass gehören als mögliche Schulden auch etwaige Schmerzensgeldforderungen aus dem Traunsteiner Zivilprozess.

Gibt es vergleichbare Gerichtsverfahren?

Am 13. Juni 2023 verurteilte das Landgericht Köln das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen. Es war die erste derartige Entscheidung in Deutschland. Die Fallkonstellation unterscheidet sich aber erheblich von der in Traunstein. Im Kölner Prozess ging es um einen Schaden aufgrund von 320 einzelnen Missbrauchstaten über mehrere Jahre hinweg. Beiden Fällen gemeinsam ist: Es geht um die Haftung kirchlicher Amtsträger für Schäden, die kirchliche Angestellte angerichtet haben. Diese Verantwortung haben sowohl das Erzbistum Köln als auch das Erzbistum München und Freising dem Grunde nach bejaht.

Welche Bedeutung hat der Prozess über den Einzelfall hinaus?

Sollte der Kläger in Traunstein eine erhebliche Summe erstreiten, könnte dies andere Missbrauchsopfer motivieren, sich gleichfalls an Gerichte zu wenden. Aus Betroffenenkreisen wird schon lange moniert, dass die bisher freiwillig gezahlten Anerkennungsleistungen der Kirche zu niedrig seien.

Wird es nun zu einer Klagewelle gegen die Kirche kommen?

Das lässt sich nicht so leicht einschätzen. Vor Gericht gelten schärfere Regeln. Im Zweifelsfall muss bewiesen werden, dass ein Schaden durch Missbrauch und nicht durch etwas Anderes verursacht wurde. Im kirchlichen Verfahren genügt es in der Regel, dass die geltend gemachten Angaben plausibel sind. Auch dürften die Prozesskosten manchen abschrecken. Dazu kommt die Belastung, dass eine Gerichtsverhandlung öffentlich ist. Spekuliert wird jedoch, dass die Kirche nach dem ersten Urteil in Köln das System ihrer freiwilligen Zahlungen noch einmal überdenkt, um weitere Klagen abzuwenden.

Quelle:
KNA