DOMRADIO.DE: Dass der Papst Briefe schreibt, ist nicht ungewöhnlich. Aber dass sich Papst Franziskus schon im Vorfeld des "Synodalen Weges" der deutschen Bischöfe äußert, war doch für viele Bischöfe eine Überraschung. Wie bewerten Sie den Brief aus Rom?
Pater Manfred Kollig (Generalvikar des Erzbistums Berlin): Zunächst einmal wendet sich Papst Franziskus an das ganze Volk Gottes in der deutschen Kirche. Das finde ich schon mal sehr beeindruckend und auch aussagekräftig. Er möchte damit deutlich machen, dass er sich in den Austausch, in die gemeinsame Suche nach dem richtigen Weg für unsere Kirche in unserem Land einklinkt. Er äußert sein Interesse daran.
Er äußert sich auch dahingehend, dass er die Bewegung in dieser Kirche wahrnimmt und dass er die Freuden sowie die Ängste und Sorgen der Menschen teilt. Ich glaube, das ist die entscheidende Botschaft. Er klinkt sich ein. Er geht mit uns auf diesem "Synodalen Weg".
DOMRADIO.DE: Insgesamt geht es bei dem "Synodalen Weg" um drei große Felder. Das sind die kirchliche Machtverteilung, die Sexualmoral und die richtigen priesterlichen Lebensformen unter dem Stichwort Zölibat. Hat der Papst hier entsprechende Wege aufgezeigt oder hat er eher Stoppschilder aufgestellt?
Kollig: Weder noch. Aus meiner Sicht appelliert der Papst an die Haltung aller Menschen, die sich auf den "Synodalen Weg" begeben. Der Brief fordert uns auf, zu schauen, aus welchen Motiven heraus wir Themen angehen, mit welcher Gottesbeziehung wir sie angehen und mit welcher Intention und mit welchem Ziel wir sie angehen. Papst Franziskus bleibt sich da treu.
Ich habe den Inhalt mit unserem Erzbischof Dr. Heiner Koch besprochen und wir sind uns einig, dass wir den Brief nicht für die Menschen interpretieren wollen. Vielmehr wollen wir ihn mit den Menschen lesen und mit den Menschen herausfinden, was wir aus dem Brief mitnehmen. Das bezieht sich sowohl auf den "Synodalen Weg" der Kirche in Deutschland, aber möglicherweise auch auf andere Reformprozesse, die bei uns im eigenen Erzbistum anstehen.
DOMRADIO.DE: In Berlin passiert das also gemeinsam mit ihren Gläubigen. Gibt es dafür schon ein Prozedere, einen Plan?
Kollig: Naheliegend ist immer, dass man mit den Menschen redet, die in unseren synodalen Gremien sind. Das sind zum Beispiel der Diözesanpastoralrat, der Priesterrat, der Diakonenrat und vor allem auch der Diözesanrat, das Vertretungsgremium der Laien, also alle Mitwirkungsgremien. Das ist das, was naheliegt.
Aber ich glaube, das wäre zu kurz gesprungen. Wir sollten mit allen Menschen diesen Brief lesen. Das können wir natürlich nicht persönlich tun. Das müssen dann auch andere Hauptamtliche und Ehrenamtliche auf den Ebenen der Pfarreien und Gemeinden in den katholischen Einrichtungen tun. Wie das geschehen soll, kann ich noch nicht sagen. Bei den Gremien ist es immer einfach. Bei den anderen Gruppierungen ist es eher ein bisschen schwieriger. Aber ich glaube, da wird es Wege geben. Wir wollen auf jeden Fall ermutigen, das zu tun.
DOMRADIO.DE: Es ist kein Geheimnis, dass die deutschen Bischöfe zwar alle gesagt haben, sie begeben sich auf diesen "Synodalen Weg", aber im Nachgang der Frühjahrsvollversammlung in Lingen wurde doch deutlich, dass es sehr unterschiedliche Richtungsvorstellungen gibt. Wie bewerten Sie das? Wie geht es jetzt weiter?
Kollig: Eine Prognose würde ich jetzt ungern abgeben. Aber meine Hoffnung ist, dass wir diesen Weg mit einer großen inneren Freiheit und mit einem Gottvertrauen gehen. Die innere Freiheit besteht darin, dass wir schwierige Themen, die sich auch über Jahrzehnte hin immer wieder als schwierig erweisen, anpacken. Wir müssen bereit sein, die vielen Aspekte, die es zu diesen Themen gibt und wo Blockaden entstehen, Engpässe kommen oder man manchmal den Eindruck hat, man sei in einer Sackgasse, anzuhören. Wir dürfen nicht mit dem Anspruch reingehen, ein bestimmtes Ergebnis müsse dabei herauskommen. Dann haben wir den "Synodalen Weg" schon von vornherein zum Scheitern gebracht.
Wir müssen vielmehr mit der Intention und Fragestellung herangehen, warum wir zu unterschiedlichen Ansichten und Einsichten kommen. Warum haben wir unterschiedliche Ziele bei den Themen? Wir müssen das erst einmal mit der nötigen inneren Freiheit verstehen. Und die haben wir nur dann, wenn wir auch das Gottvertrauen haben, dass er uns dann schon führen wird. Auch wenn der ein oder andere vielleicht mal nicht einverstanden ist. Das müssen wir mal aushalten.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn in dem Brief einen Punkt, der Sie persönlich ganz besonders berührt hat, der Sie vielleicht auch herausfordert und wo Sie gesagt haben: "Das hat mir auch als Christ noch mal was gegeben".
Kollig: Ja, es gibt viele Punkte. Aber ich möchte jetzt nicht interpretieren. Der wichtigste Punkt für mich persönlich - und das heißt nicht, dass das der wichtigste Punkt für den "Synodalen Weg" ist - ist der, wo der Papst daran erinnert, dass alle Initiative von Gott ausgeht. Für mich geht auch die Initiative für Prozesse - wenn sie wirklich gut werden sollen - von Gott aus. Auch die Initiative für Reformen muss von Gott ausgehen. Wenn Jesus Christus heute an unserer Stelle wirken würde, wenn die Apostel hier wären, dann würden sie dieses oder jenes tun. Das muss jede Initiative begründen.
Ein weiterer Punkt ist, dass Papst Franziskus sagt, es gehöre auch für uns dazu, dass wir etwas aushalten und dass wir leiden. Wir können nicht nachfolgen und gleichzeitig die Schattenseiten der Kirche ausblenden. Das ist nicht etwas Unwesentliches, sondern es gehört für uns auch wesentlich dazu. Auch das hat mich noch mehr ermutigt, zu sagen: "Wir nehmen die Zeit, so wie es ist."
Meine Hoffnung ist, dass die Initiative für diesen Weg von Gott ausgehen möge und wir ihn so gehen, dass wir sagen: "Egal was kommt, wir schauen es uns an. Wir halten es aus. Wir hören uns zu. Wir versuchen uns zu verstehen." Und das im Vertrauen, dass der Geist uns führt und uns am Ende auch an ein gutes Ziel führt.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.