Freiwillige machen mit Bürgergeld-Fasten auf Probleme aufmerksam

Arm auf Zeit

Reichen 563 Euro zum Leben? Ein Bürgergeld-Experiment zur Fastenzeit im saarländischen Neunkirchen lässt daran zweifeln. Selbst kleinere Extras wurden für die Freiwilligen zum Problem. Die Katholische Erwachsenenbildung zieht Bilanz:

Autor/in:
Matthias Jöran Berntsen
Symbolbild Geldbeutel mit Scheinen und Münzen / © reisezielinfo (shutterstock)

Wer arm ist, bleibt außen vor - ein Bürgergeld-Experiment verdeutlicht die soziale Spaltung. Eine außergewöhnliche Fasten-Aktion im saarländischen Neunkirchen widmete sich in der Fastenzeit, die nun zu Ende geht, der Frage, wie gut oder schlecht es sich vom Bürgergeld in Deutschland leben lässt. "Wie kann es sein, dass viele Menschen, die arbeitstätig sind, trotzdem noch aufstocken müssen?", bilanzierte Bildungsreferent Klaus Becker von der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Trier das Experiment.

Im Sozialtreffpunkt "Momentum" in Neunkirchen tauschte er sich mehrfach mit den fiktiven Bürgergeld-Empfängern aus. Es sei wichtig gewesen, ihnen einen Raum für ihre Eindrücke und Gefühle zu geben. "Ob ich vom Bürgergeld leben kann, hängt davon ab, wie ich bisher gelebt habe", schildert er ein Fazit der Gruppe. Viele wollen sich die neuen Erfahrungen weiter nutzbar machen.

"Panik von Betroffenen verstehen"

"Ich kann jetzt die Panik von Betroffenen verstehen, etwa wenn ein Strafzettel der Polizei ungeplante Zusatzkosten bedeutet", sagt etwa Lydia Fried. Die Rentnerin ist Initiatorin der Aktion und trotz ihres Ruhestands weiter als Sozialarbeiterin beim Caritasverband tätig. Ganze sechs Cent hatte sie nach der Hälfte des auf einen Monat angelegten Bürgergeld-Versuchs noch zur Verfügung.

Damit kann erahnt werden, wie Menschen mit Bürgergeld über einen Monat hinweg haushalten müssen. Gemeinsam mit ihrem berufstätigen Mann beteiligte sich Fried an diesem Test und war nach ihrem Empfinden "arm auf Zeit". Deshalb verzichtete sie auf ein Auto; so wurden wieder 70 Euro für Nahrungsmittel verfügbar.

Kosten fürs Bezahlfernsehen eingespart

Insgesamt nahmen 20 Erwachsene an dem Experiment im Saarland teil. Einer von ihnen war Hans Funk; auch er ist Rentner. Normalerweise stehen ihm nach eigener Darstellung rund 2.000 Euro im Monat zur Verfügung, von denen er aber mehr als die Hälfte für seine Wohnung in Neunkirchen verwenden muss. Bei Funk war nach der Hälfte der Zeit - ebenfalls fiktiv - gleichfalls kein Geld mehr vorhanden und Verzicht notwendig.

Rentner Hans Funk und Lydia Fried, Sozialarbeiterin beim Caritasverband Schaumberg-Blies, Teilnehmer der Aktion Bürgergeldfasten der Caritas, am 19. März 2025 in Neunkirchen. / © 	Matthias Jöran Berntsen (KNA)
Rentner Hans Funk und Lydia Fried, Sozialarbeiterin beim Caritasverband Schaumberg-Blies, Teilnehmer der Aktion Bürgergeldfasten der Caritas, am 19. März 2025 in Neunkirchen. / © Matthias Jöran Berntsen ( (Link ist extern)KNA )

"Ich habe mein Bezahlfernsehen gekündigt", so der 79-Jährige. Auch die Tageszeitung habe es nicht mehr gegeben. Was bleibt, werde als Luxus wahrgenommen. "120 Euro kostet mich der Malkurs im Monat - den möchte ich nicht missen", betonte er bei einer Halbzeitbilanz. 563 Euro betrug der monatliche Bürgergeldsatz in seinem Fall; dieser gilt für Alleinstehende und -erziehende.

Yoga-Kurs auf dem Prüfstand

Auch Fried hatte solche Luxusprobleme. "Bei schönem Wetter war ich im Gartenmarkt und habe dort nichts gekauft. Stattdessen habe ich mir bei einer Nachbarin überzählige Pflanzen für meinen Garten geholt." Ihren Yoga-Kurs oder die Mitgliedschaft in einer Naturschutz-Organisation hätte sie früher nicht als Luxus betrachtet. Kaum zu bezahlen sei das aber mit den nur 506 Euro, die sie in dem Monat zur Verfügung hatte.

Ihr Mann hatte noch einmal die gleiche Summe. Ihm falle der Verzicht schwerer, sagt sie. "Er isst mehr Fleisch als ich." Das aber sei teuer. Auch Treffen mit Freunden vermied er in diesen Tagen, weil er sich auswärtiges Essen nicht leisten konnte - das bringe auch einen Verzicht auf soziale Kontakte mit sich. Das Ehepaar überlegte, wie sie trotz des laufenden Spar-Experiments wenigstens daheim noch Gäste bewirten könnten.

Armut hat nicht nur finanzielle Folgen

Bildungsreferent Becker unterstreicht die Auswirkungen dieser Armut. "Wenn Menschen deswegen auf ihre Lokalzeitung verzichten müssen, dann steigen sie aus, sich ordentlich zu informieren." In der Folge könnten sie leichter auf gefälschte Nachrichten hereinfallen. Gesellschaftliche Folgen drohten, wenn sich ganze Bevölkerungsgruppen Teilhabe einfach nicht leisten können.

Er verweist zudem auf Kinder, die wegen fehlender 15 Euro für ein Geschenk nicht zu einem Geburtstag gehen. Auch gehe der Rückzug mitunter damit einher, dass andere nicht mehr nach Hause eingeladen werden. Und Mobilität gehe verloren; wenn etwa Betroffene aus Kostengründen kein Auto mehr unterhalten. Teilnehmer Hans Funk bestätigt: "Mein großes Auto ist für den Rollstuhl wichtig. Aber natürlich kostet mich das heute mehr als früher ein kleinerer Wagen."

Bürgergeld

Der Bundestag stimmt an diesem Donnerstag über das geplante Bürgergeld ab. SPD, Grüne und FDP werden das Gesetz voraussichtlich mit ihrer Mehrheit beschließen - gegen den Widerstand der Opposition. Die Union, auf deren Zustimmung die Ampel später aber im Bundesrat für eine endgültige Verabschiedung des Bürgergelds angewiesen ist, hat den angepeilten Wechsel weg vom bisherigen Hartz-IV-System in den vergangenen Wochen immer wieder scharf kritisiert und droht mit einer Blockade in der Länderkammer.

Streit ums Bürgergeld / © Christin Klose (dpa)