Es ist eine ungewöhnliche Dramaturgie. Und doch passt sie in diese genauso außergewöhnlich bewegende Stunde des 24. Februars. Prominente Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft – darunter der NRW-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Nathanael Liminski, die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler, der ehemalige Dompropst Gerd Bachner und der einstige Oberbürgermeister von Köln, Fritz Schramma, sowie Ernst Vleer, Vorsitzender des Colonia Kochkunstvereins – tragen in einer etwa zwei Meter langen Holzkiste eine ganz besondere Kerze durch den Mittelgang des Kölner Doms in den Altarraum, wo sie an diesem Mittag als ein Zeichen gegen Terror und Krieg von Domdechant Robert Kleine gesegnet und im Altarraum aufgestellt werden soll.
Immer wieder stiften Vereine im Verlaufe eines Jahres in besonderer Intention eine Kerze für den Dom; diesmal ist es der Colonia Kochkunstverein, ein Zusammenschluss aus Kölner Köchen, Hotel- und Restaurantfachleuten, Gastronomen und Hoteliers, die eine Kerze von der Manufaktur Schlösser haben fertigen und mit dem Schriftzug "Gegen Terror" versehen lassen.
Damit verknüpft der Verein ein Anliegen, das eher unvorhergesehen mit dem zweiten Jahrestag des Ukrainekriegsbeginns zusammenfällt, aber passender trotzdem nicht sein könnte. Denn gegen Terror anzubeten ist auch das, wozu Kleine die Menschen einlädt, die um 12 Uhr zum Friedensgebet in den Dom gefunden haben und anschließend weiter zur Großkundgebung "Zwei Jahre russischer Krieg gegen Europa", eine Veranstaltung des blau-gelben Kreuzes in Köln, auf den Roncalliplatz wollen.
Ohnmächtig und fassungslos
Eindringlich erinnert Kleine bei seiner Begrüßung zunächst daran, dass dieser russische Angriffskrieg nun schon 731 Tage andauere und die Menschen ohnmächtig und fassungslos auf die Bilder aus der kriegszerstörten Ukraine schauten. "Fast jeden Tag sterben Menschen, sie erleiden schwere Verletzungen und Kriegstraumata."
In den letzten Monaten nähmen Raketen- und Drohnenangriffe auf dicht besiedelte Städte und Orte wieder zu. Durch massive Verwüstungen und die Zerstörung der zivilen Infrastruktur hätten viele Menschen keine hinreichende Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten. So beschreibt er die Lage der Menschen in der Ukraine. Ein Drittel der Bevölkerung befinde sich auf der Flucht, 3,7 Millionen innerhalb des Landes, während mehr als 6,3 Millionen Zuflucht in europäischen Nachbarländern gefunden hätten.
Vielfältig seien die Gefühle angesichts dieses Leids, sagt er und benennt stichwortartig: Ratlosigkeit, Erschöpfung, Wut und Verzweiflung, das Bedürfnis, helfen zu wollen und Beistand zu leisten. Dann: Angst um das eigene Leben, um Angehörige, Freunde und Bekannte.
Aber Kleine spricht auch von der Dankbarkeit für Rettung, für Unterstützung in der Not und die Bewunderung für den starken Willen der Ukrainerinnen und Ukrainer zur Verteidigung ihrer Heimat sowie für den Mut aller, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren im Militär- und Rettungsdienst, in der Seelsorge und Kriegsberichterstattung.
Er skizziert mögliche Scham für schuldhaftes Handeln oder Unterlassen sowie die Angst vor den bereits spürbaren und künftigen Folgen des Krieges. "Im Gebet können wir all diese Not der Menschen, Trauer, Ängste und Sorgen, unsere eigene Betroffenheit vor Gott tragen – und im Hören auf sein Wort Trost, Ermutigung und Hoffnung suchen", so Kleine wörtlich. "Zugleich verbinden wir uns mit allen, die um den Frieden in der Welt beten, und beten auch stellvertretend für jene, die nicht glauben und beten können."
Dann zitiert der Domdechant den Apostel Paulus am Ende seines ersten Briefes an die Gemeinde in Korinth: "Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe." Doch nach zwei Jahren Krieg in der Ukraine, so Kleine, zweifelten die Menschen: Wo bleibt die Liebe? Sind wir Menschen zur Liebe überhaupt fähig? Hilft das Gebet um Frieden? Wo bleibt das Miteinander-Reden?
Erneut lässt er Paulus sprechen "Alles, was ihr tut, geschehe aus Liebe" und fragt: Wie geht es den Menschen aus der Ukraine, die in unserem Land Schutz gefunden haben? Wie geht es denen, die im Land ausharren, kämpfen, sich um den Alltag sorgen? Haben sie Kraft, um zu glauben, zu hoffen und zu lieben?
In dem Kontext erinnert der Domseelsorger an die vielen anderen Krisen- und Kriegsgebiete, wo Menschen einander Gewalt antun: zum Beispiel in Israel, im Gazastreifen, in Afghanistan oder im Jemen. Kleine betont: "Dabei könnten wir auch anders. Unser Menschsein birgt eine große Kraft: die Liebe. Die Liebe gibt dem Frieden Weg und Ziel."
Bevor er schließlich die gestiftete Kerze segnet, spricht er ein Gebet und bedenkt darin nochmals die Klage um die Toten und Verletzten und die tiefe Sehnsucht nach Frieden, Wahrheit und Liebe. Und er verbindet mit dem Segen den Wunsch, dass das Licht dieser Kerze die Dunkelheit der Welt überwinden möge und zu einem leuchtenden Hoffnungszeichen werde.
Gebet für alle Menschen in Kriegs- und Krisengebieten
Unterbrechungen durch Orgelspiel schaffen immer wieder Raum für persönliche Gedanken und Momente des Innehaltens. In den Fürbitten betet Kleine darum, dass der Krieg enden möge und damit auch das Leid der Menschen. Er betet für die Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Krieg ihr Leben verloren haben, für die Angehörigen, die um sie trauern, und dass diese in ihrer Verzweiflung nicht alleine sind.
Er betet für die Mädchen und Frauen, die in diesem Krieg Opfer sexueller Gewalt werden und für ihre Heilung angesichts ihrer Verletzungen an Körper und Seele; für die Geflüchteten, dass sie Aufnahme und Schutz finden. Er betet für die Kirchen, Religionsgemeinschaften und Hilfsorganisationen. Und er betet für die Menschen, die in anderen Kriegs- und Krisengebieten nicht vergessen werden dürfen, weil auch sie Hilfe brauchen und Licht für ihr Leben sehen müssen.
In seinen Schlussworten formuliert Domdechant Kleine dann nochmals selbstkritisch, fast mahnend, "ob wir uns in den zurückliegenden Jahren denn auch genug dafür engagiert haben, das drohende Unheil zu verhindern. Wie viele Konflikte weltweit haben wir zur Kenntnis genommen und sind einfach weitergegangen? Können denn noch mehr Waffen die Ursachen der Konflikte beseitigen?
Was für ein Frieden soll das denn sein, der auf Bedrohung, Abschreckung und Stacheldrahtzäunen errichtet wird statt auf der Grundlage von Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Solidarität? Wie groß muss das Leid denn noch werden, bis wir Menschen endlich lernen, umzukehren und umzudenken? Sind denn hunderttausende Tote und Millionen Flüchtlinge nicht genug?"
An das Ende dieses berührenden Mittagsgebetes stellt Kleine als letztes noch einmal die ausdrückliche Bitte um das "Wunder eines gerechten Friedens – für die Ukraine, Russland und den ganzen Erdkreis" und auch die zur "Befähigung, die Spirale von Gewalt, Zerstörung und Elend zu unterbrechen".
Und als alle Besucher längst den Dom verlassen haben, hat der Küster die große Friedenskerze bereits am Dreikönigenschrein aufgestellt. Unübersehbar und erhaben steht sie nun da. Hier wird sie nun erst einmal brennen und aller ernüchternden Realität zum Trotz mit ihrem Licht denen Mut machen, die die Hoffnung auf einen gerechten Frieden in der Ukraine und weltweit längst aufgegeben haben.