Fünf Fragen und Antworten zum Zweiten Vatikanischen Konzil

Warum wurde danach nicht "alles besser"?

Die Neuorientierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils haben die katholische Kirche verändert und die Fenster zur Welt aufgestoßen. 60 Jahre danach arbeitet sich die Kirche immer noch am Konzil ab. Manche fordern schon ein Drittes.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Papst Johannes XXIII. bei einer Ansprache während der ersten Sessio des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 1962 im Vatikan. Links neben ihm sitzt Erzbischof Alfredo Ottaviani, Präfekt der Congregatio Sancti Officii (dt. Heilige Kongregation des Heiligen Offizium). / © Ernst Herb (KNA)
Papst Johannes XXIII. bei einer Ansprache während der ersten Sessio des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 1962 im Vatikan. Links neben ihm sitzt Erzbischof Alfredo Ottaviani, Präfekt der Congregatio Sancti Officii (dt. Heilige Kongregation des Heiligen Offizium). / © Ernst Herb ( KNA )

Was meinen Katholiken, wenn sie vom "Konzil" sprechen?

Das Zweite Vatikanische Konzil fand 1962 bis 1965 in vier etwa dreimonatigen Sitzungsperioden statt und war die größte Bischofsversammlung des 20. Jahrhunderts. Sie war zunächst sehr viel kürzer anberaumt, entwickelte dann aber eine große Eigendynamik. Papst Johannes XXIII. (1958-1963) wünschte sich ein "Aggiornamento" - ital. für "Verheutigung" -, also einen Anschluss der Kirche an die Erfordernisse einer immer komplexeren gesellschaftlichen Wirklichkeit. Das Konzil bewirkte einen enormen geistigen Aufbruch im Kirchenvolk, sorgte mit seinen Reformen aber auch zum Teil für tiefe Verunsicherung: Was sollte fortan gelten, wenn das Alte nicht mehr gilt?

Was waren die wichtigsten Themen des Konzils?

Die dreijährige, am Ende fast unberechenbare Versammlung führte in der Folge zu tiefgreifenden Veränderungen: etwa zu einer liturgischen Erneuerung mit Zurückdrängung der lateinischen Messe, zu einem verstärkten Selbstbewusstsein der Ortsbischöfe gegenüber Rom, aber auch von Laien gegenüber Bischöfen. Auch eine Bewusstwerdung von Weltkirche und eine ökumenische Öffnung gehörten dazu.

Zweites Vatikanisches Konzil

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) war die bislang letzte beschlussfassende Versammlung aller Bischöfe der katholischen Weltkirche. Rund 2.800 Konzilsväter debattierten im Petersdom darüber, wie die Kirche ihre Botschaft unter den Bedingungen der modernen Welt und von weltanschaulichem Pluralismus verkünden kann. Weitere Themen waren eine Reform von Liturgie und Priesterausbildung, die Einheit der Christen und die Aussöhnung von Kirche und Judentum.

II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. (KNA)
II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. ( KNA )

Mit einem neuen Selbstverständnis versteht sich die katholische Kirche nun als Gemeinschaft von Gläubigen, als "Volk Gottes" auf dem Weg durch die Zeit. Ein "gemeinsames Priestertum" aller Gläubigen wird betont, das bei Priestern und Laien in unterschiedlichen Formen verwirklicht wird. Jeder Mensch, so das Konzil, habe das bürgerliche Recht auf Religionsfreiheit, dürfe also seine Religion frei nach dem eigenen Gewissen wählen. Geklärt wird auch das Verhältnis der römischen Kirche zum Judentum; traditioneller kirchlicher Antijudaismus erhält eine klare Absage. Auch öffnet sich die Kirche anderen nichtchristlichen Religionen im Dialog.

Versucht wurde eine umfassende Positionsbestimmung der "Kirche in der Welt von heute", etwa im Verhältnis zu Rüstung, Angriffskrieg und Selbstverteidigung, sowie eine Verbindung von wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt mit gelebter Solidarität. Der kommunistische Atheismus wird verurteilt.

Was wollten die Deutschen beim Konzil? Wer waren zentrale Figuren?

"Die Deutschen" gehörten beim Konzil zu den Zugpferden der Reform. Zu ihrem Lager wurden nicht nur etwa die deutschen Kardinäle Josef Frings (Köln), Julius Döpfner (München) und Augustin Bea (Vatikan) oder theologische Berater wie Hubert Jedin, Joseph Ratzinger und Hans Küng gezählt; sondern auch "progressive" Konzilsväter aus den Nachbarländern, etwa die Kardinäle Bernard Alfrink (Utrecht), Franz König (Wien) oder Achille Lienart (Lille). Allerdings bekamen mehrere der "Deutschen" im Verlauf des Konzils zunehmend Bedenken, vor den Karren einer kirchlichen Linken gespannt zu werden - zumal aus der Heimat immer weiter gehende Reformwünsche geäußert wurden.

Warum wurde danach nicht "alles besser"?

Schon während des Konzils hatten Reformflügel und konservatives Lager große Mühe, inhaltliche Differenzen über Botschaft und Ausrichtung der katholischen Kirche in für beide Seiten gangbare Kompromissformeln zu bringen. Diese kirchenpolitischen Spannungen setzen sich bis heute fort.

Einseitige Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes, sprich des Papstes und der Bischöfe, für oder gegen Reformen in zentralen Streitfragen drohten größere Teile des Kirchenvolkes außen vor zu lassen und wären eine Bedrohung für die Kircheneinheit von 1,3 Milliarden Katholiken. Garant der Einheit zu sein und ihr zu dienen, ist aber die wichtigste Aufgabe des Bischofs von Rom.

Ist ein Drittes Vatikanisches Konzil in Sicht?

Viele, vor allem reformorientierte Katholiken fordern heute ein neues Konzil. Papst Franziskus hat im Oktober 2021 einen weltweiten Synodalen Weg für die mehr als 100 nationalen und regionalen katholischen Bischofskonferenzen der Weltkirche initiiert. Über dessen Konsequenzen soll als Finale eine römische Bischofssynode im Oktober 2023 beraten.

Die Geisteshaltung, die hinter diesem Projekt steht - eine zeitgemäße Ausrichtung und Verkündigung zu entwickeln -, ist der Motivation von Papst Johannes XXIII. Anfang der 60er Jahre nicht unähnlich. Allerdings fehlt es einem solchen dialogisch ausgerichteten Prozess womöglich an kirchenrechtlicher Autorität, um eine ähnlich breite Wirkung erzielen zu können wie ein Konzil.

Quelle:
KNA