DOMRADIO.DE: Wie war denn Ihre Reaktion, als Sie davon hörten, dass der Papst den Amtsverzicht von Erzbischof Heße nicht annimmt?
Johannes Norpoth (einer der Sprecher des Betroffenenbeirates der Deutschen Bischofskonferenz): Die grundsätzliche Entscheidung hat mich nicht wirklich überrascht. Ich halte es da mit dem Journalisten Daniel Deckers von der FAZ, der ja im direkten Anschluss darauf hingewiesen hat, dass, wenn der Papst den Rücktritt von Erzbischof Heße hätte angenommen, weltweit in der Weltkirche Hunderte von Bischofstühlen wie Dominosteine fallen würden.
Das hat mich also nicht wirklich überrascht. Desaströs empfinde ich die Begründung, die da aus Rom gekommen ist und die für Betroffene schon ein Schlag ins Gesicht sein wird und ist.
DOMRADIO.DE: Können Sie das erläutern?
Norpoth: An einer Stelle wird als Begründung angeführt, Erzbischof Heße habe in Demut seine Fehler anerkannt. Für mich ist das eine neue Form der Definition von Demut. Erzbischof Heße hat auf ein Rechtsgutachten des Erzbistums Köln reagiert, indem er vor dem Hintergrund der dort eindeutig festgestellten Fehler, die er in der Betreuung und in der Verarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in seinem Erzbistum Köln zu verantworten hatte. Genau dies hat er zum Anlass genommen, dem Heiligen Vater seinen Rücktritt anzubieten. Er hat das aber nicht vorher getan.
Es wäre für mich Demutzeigen gewesen, im Vorfeld dieser Diskussion, die seit zehn Jahren geführt wird, festzustellen: Ich habe dort Fehler gemacht. Und das ohne ein externes Gutachten, aus freien Stücken, aus einer freien Überzeugung, aus einer inneren Haltung heraus. Demut ist eine Form der inneren Haltung und nicht Ausdruck äußeren Drucks. Aber genau das ist hier passiert. Insofern sehe ich die Begründung, die da aus Rom gekommen ist, als eine inhaltliche Bankrotterklärung von Kirche an.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie können nicht nachvollziehen, warum die Bischöfe oder auch die Personalverantwortlichen aus der Zeit damals nicht in sich gingen und von sich aus nach außen gegangen sind und erzählen, was passiert ist, was sie damals gemacht haben, sondern immer erst darauf warten, bis ein Gutachten ihnen etwas nachweist? Und dann sagen sie: Ja, so war es auch...
Norpoth: Und dann auch nur soweit, wie das Gutachten das ja zweifelsfrei nachweist. Das ist für mich nicht Ausdruck von Demut, sondern das ist für mich Ausdruck einer Strategie, einer Taktik, die der eigenen Machterhaltung dient oder der Festigung der zum jeweiligen Zeitpunkt der Untersuchung erreichten Position. Das hat nichts mit Demut zu tun, sondern das ist das Kalkül, das ist Machterhalt.
DOMRADIO.DE: Nun hat der Erzbischof von Hamburg nach der Mitteilung des Papstes selbst einen Brief an alle Gläubigen im Erzbistum Hamburg geschrieben. Wie schätzen Sie diesen Brief ein?
Norpoth: Ich habe selten ein Schreiben gesehen, in dem auf so wenigen Zeilen so häufig das Wort 'Ich' geschrieben wird. Für mich stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie nach dieser sechsmonatigen Ruhephase, wie in der Situation, in der nur auf äußeren Druck durch das Gutachten des Erzbistums Köln reagiert wurde, Herr Heße dem Volk Gottes im Erzbistum Hamburg gegenübertreten will, wie hier eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit und zukünftige Zusammenarbeit aussehen soll.
Und wie – Bischof Heße schreibt es ja in seinem Brief explizit selber – im Erzbistum Hamburg sexualisierte Gewalt und deren Aufarbeitung in den nächsten Jahren in den Vordergrund gerückt werden soll. Wie glaubwürdig ist er? Da sehe ich schon sehr große Fragezeichen im Raum stehen und man darf sicherlich gespannt sein, wie der Erzbischof und das Erzbistum als Organisation hier Antworten finden werden.
DOMRADIO.DE: Konnten Sie schon unter den anderen Sprechern des Betroffenenbeirats der Bischofskonferenz sich austauschen? Wie war da die Reaktion?
Norpoth: Die Reaktionen fallen an dieser Stelle ähnlich aus; gegenüber Rom und der Begründung herrscht völliges Unverständnis, was ich nachvollziehbar finde. Denn an dieser Stelle steht wieder Macht und Machterhalt über allem. Es darf keine Veränderung eintreten und genau dieses System wird beschützt, auch durch eine weitere Entscheidung, die jetzt wieder und erneut aus Rom kommt. Denn es ist ja zu erwarten, dass die noch offen stehenden Entscheidungen zu den Kölner Weihbischöfen ähnlich ausfallen.
DOMRADIO.DE: Nach dieser für Sie enttäuschenden Erfahrung in dieser Woche – wie sind da denn die Erwartungen, was die Zukunft betrifft, nach all dem, was passiert ist? Wird die Leitung der katholischen Kirche überhaupt in der Lage sein, die sexualisierte Gewalt, das Verbrechen vieler Kleriker angemessen aufarbeiten zu können?
Norpoth: Wenn kirchliche Strukturen nicht erkennen, dass der Weg, der jetzt erneut wieder bestätigt wird, endgültig zu Ende gehen wird, dann wird sich Kirche weltweit auf eine Randerscheinung selbstständig minimieren, weil die Menschen ihr scharenweise wegrennen werden.
Es fällt schon schwer, als Nicht-Betroffener sexualisierter Gewalt in dieser Gesellschaft mitten in Deutschland allein seinem Freundeskreis mitzuteilen: Ich engagiere mich noch in der Kirche. Umso schwieriger fällt es Ihnen, wenn Sie das als Betroffener sexualisierter Gewalt machen.
Das Verhalten aus Rom und auch das direkte Verhalten von Erzbischof Heße in dieser Fragestellung ist die beste Begründung dafür, dass es den Synodalen Weg in Deutschland geben muss und dass es entsprechende Aussagen und entsprechende Orientierung geben muss zur zukünftigen Gewaltenteilung in unserer Kirche. So kann es nicht weitergehen!
DOMRADIO.DE: Nun findet in der kommenden Woche die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda statt. Werden Sie auch dort sein? Werden Sie dort angehört werden?
Norpoth: Wir haben eine entsprechende Eingabe an die Deutsche Bischofskonferenz mit Hinblick auf Veränderungen im System der Anerkennung des Leids gegeben. Wir sind eng im Gespräch, der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz ist insofern ein beratendes Gremium für die Bischofskonferenz. Wir sitzen aber nicht mit am Tisch und ich pflege immer nur dorthin zu fahren, wo ich am Tisch sitze und nicht vor der Tür stehe.
Ungeachtet dessen werden wir sicherlich im Rahmen der Synodal-Vollversammlung, die ja eine Woche später in Frankfurt stattfinden wird, auch nochmal in vielen, vielen Gesprächen die verschiedenen Facetten des Problems rund um Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt von Klerikern in Deutschland, aber auch der Frage der Zukunftsorientierung miteinander besprechen.
Ich glaube, dass vielen Teilnehmenden der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz daran gelegen ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu handeln. Das hat schon der selige Adolph Kolping gesagt, dass das eine der Grundlagen sei, sich in dieser Gesellschaft und in dieser Welt zu positionieren. Und ich glaube, dass viele Bischöfe in der Deutschen Bischofskonferenz ähnlich denken über die Frage von Macht und Gewaltenteilung und von Aufarbeitung sexualisierter Gewalt, wie das Betroffene tun.
Das Interview führte Johannes Schröer.