Fußballfans beten in ökumenischer EM-Andacht

"Der christliche Glaube ist ein Mannschaftssport"

Stoßgebete zum Himmel, um zu siegen? Stadtdechant Robert Kleine, Stadtsuperintendent Bernhard Seiger und Pastorin Gesche Tuchtfeld-Haug lassen in einem Gottesdienst keinen Zweifel daran, dass es ihnen um etwas ganz anderes geht.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Beat, Toni und Peter sind an diesem Mittag unschwer als Schweizer auszumachen. Sie tragen rot-weiße Trikots mit dem Schriftzug "Suisse". Um den Hals baumelt ein Fanschal. Ins Gesicht haben sie sich ein zusätzliches Erkennungszeichen gemalt: das für ihr Land typische weiße Kreuz auf rotem Grund. 

Außerdem führen sie eine große metallene Kuhglocke mit sich. Denn eigentlich ist der Dom für die drei Fußballfans, die eigens aus Luzern nach Köln gekommen sind, nur eine Zwischenstation. Gleich geht es weiter ins Müngersdorfer Stadion. 

Dort wird die erste Partie für die Schweiz angepfiffen, und dort wollen sie nach besten Kräften – und mit großem Geläut – ihre Mannschaft anfeuern. 

Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Doch wenn man schon mal hier ist, sollte man sich auch das berühmte Wahrzeichen anschauen", finden die Drei und lassen ihre Blicke immer wieder nach oben schweifen: zu den vielen bunten Glasfenstern und dem imposanten Gewölbe. 

Dass hier sogar für die Euro 2024 gebetet wird, finden sie allerdings noch bemerkenswerter als die tollen Kunstschätze im Dom. "Aber schaden kann es ja auf keinen Fall", lacht der Älteste von ihnen. "Himmlischer Beistand? Das ist wohl typisch kölsch. Da sind wir daheim doch etwas bodenständiger", fügt er noch hinzu. 

"Wir vertrauen auf eine tolle Mannschaft und Können. Am Ende soll der Bessere gewinnen. Und wenn das Ungarn ist, dann gönnen wir auch unseren Gegnern den Sieg. Ist doch klar." Aber erstmal werde gekämpft. "Danach sehen wir weiter. Zwei Optionen gibt es dann ja noch."

Károly und Milan, ungarische Fußball-Fans

"Wir haben Spaß am Fußball, und wir lieben Deutschland. Gleich zwei Gründe, unser Team live in Köln zu unterstützen."

Auch ein paar wenige Fans aus Ungarn outen sich drei Stunden vor dem Auftaktspiel ihres Landes mit der Nationalflagge um die Schultern und dem typisch rot, weiß, grünen Schal. 

Auch sie wollen noch kurz vor Spielbeginn, wie sie sagen, in Kölns Kathedrale vorbeischauen, bevor es dann stadtauswärts zum Spielfeld geht. Károly und Milan rechnen sich keine großen Chancen bei dieser EM aus. "Trotzdem", erklären sie, "dabei sein ist alles. Die Hauptsache, wir fliegen nicht gleich in der ersten Runde raus.

Wir haben Spaß am Fußball, und wir lieben Deutschland. Gleich zwei Gründe, unser Team live in Köln zu unterstützen." Sie seien überglücklich, überhaupt Tickets für eine der drei ersten Partien ergattert zu haben. 

Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Dom sei großartig, überwältigend und wunderschön, staunen sie. Aber ein Gottesdienst extra für die Europameisterschaft? 

Diese Vorstellung finden die beiden Freunde aus Debrezin dann doch eher amüsant, erst recht als Stadtsuperintendent Bernhard Seiger mit der Trillerpfeife zum Anpfiff bläst und dann auf der Orgel die Europa-Hymne aus der neunten Sinfonie von Beethoven ertönt. Aber irgendwie bewegt sie das dann doch. 

Schließlich setzen sie sich leise in eine der Kirchenbänke und hören aufmerksam zu, als Stadtdechant Kleine jeweils auf Deutsch und Englisch erläutert, warum dieses Mittagsgebet diesmal ganz im Zeichen der Fußballeuropameisterschaft steht. 

"Wir wollen beten für eine friedliche, sichere und freundschaftliche EM in unserer Stadt", begründet er. Diesem Anliegen können dann doch auch die fußballbegeisterten Fans aus Ungarn etwas abgewinnen.

Im Team etwas Großes erreichen

Während Pastorin Gesche Tuchtfeld-Haug von der evangelischen freien Gemeinde in Köln einen Text aus dem Markusevangelium zu der Berufungsgeschichte der Jünger vorträgt und beschreibt, nach welchen Kriterien Jesus seine "Mannschaft" zusammengestellt hat, entwickelt Stadtdechant Kleine in seiner Predigt diesen Gedanken weiter und zielt darauf ab zu veranschaulichen, dass "Teambuilding" die Voraussetzung dafür ist, mit den unterschiedlichsten Menschen dennoch ein großes gemeinsames Ziel erreichen zu können. 

Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ökumenischer und mehrsprachiger Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Jesus habe dabei auf eine Gemeinschaft ganz verschiedener Typen gesetzt, stellt er schmunzelnd fest: auf Petrus, der quasi als Kapitän die Sprecherrolle übernehme, auf "Stürmer" aber genauso wie auf die im Hintergrund, die immer bereit seien, einen Angriff auf Jesus abzuwehren. 

"Es gibt die, die viel reden, und manche, die gar nicht viele Worte machen, sondern einfach ihr Ding, wenn’s nötig ist." 

Manchmal strotzten die Zwölf vor Selbstvertrauen, ein anderes Mal seien sie mutlos und niedergeschlagen. "Es gibt Hitzköpfe und die, die immer noch eine Frage haben, um ganz sicher zu gehen." 

Doch trotz aller Unterschiede sei ein gutes Miteinander möglich, "wenn es eine gemeinsame Mitte und ein gemeinsames Ziel gibt, wenn sich Menschen mit Stärken und Schwächen, Talenten und Defiziten ergänzen und ein Team bilden. 

Wenn keiner alleine groß rauskommen will als Einzelkämpfer, der nicht abspielen kann, sondern so gut wie möglich die Gemeinschaft unterstützt." So betrachtet sei der christliche Glaube – wie der Fußball – ein Mannschaftssport.

Monsignore Robert Kleine, Stadtdechant

"Wenn wir uns von Jesus und seiner Mannschaft inspirieren lassen, können wir die EM als Fest des Sports, der Länder und der Menschlichkeit feiern."

Die Fußball-EM in Deutschland und in Köln habe, so Kleine, das Potenzial, ein Fest der Begegnung von Fußballern, Fans, Zuschauerinnen und Zuschauern, Nationen und Kulturen zu sein; eine Feier der europaweiten Gemeinschaft und eine Gelegenheit, ein intensives Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. 

Es werde, mutmaßt der Domseelsorger, viel über Gerechtigkeit, Zufall und Glück diskutiert, es würden Tränen der Freude oder der Enttäuschung fließen – selbst vom "Fußballgott" sei die Rede. 

Wer allerdings hinter die Kulissen des Spitzensports allgemein und des Fußballs im Speziellen blicke, entdecke nicht nur große Idole und Stars, sondern Menschen "wie du und ich": mit Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Befürchtungen, Erfolgen und Niederlagen, kleinen Eitelkeiten und großen Sehnsüchten und Träumen. 

Ökumenischer und mehrsprachigen Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Johannes Schröer (DR)
Ökumenischer und mehrsprachigen Gottesdienst zur EM am 15.06.2024 im Kölner Dom. / © Johannes Schröer ( DR )

Und am Ende garantierten Geld, Medaillen und Pokale allein noch kein erfülltes Leben. Abschließend ruft Kleine dazu auf, vor aller Konkurrenz, möglichen Respektlosigkeit oder gar Gewalt gegenüber der gegnerischen Mannschaft das Gemeinschaftsstiftende bei diesem Turnier zu sehen und zu fördern. 

"Wenn wir uns von Jesus und seiner Mannschaft inspirieren lassen, können wir die EM als Fest des Sports, der Länder und der Menschlichkeit feiern." 

Fußball-Hymnen geben Halt und Trost

Diese Botschaft bekräftigt auch Stadtsuperintendent Bernhard Seiger. "Der Sport kann uns helfen, Fairness zu lernen. Er schafft Begegnung, Freude und Glücksgefühle", unterstreicht er. Sport sei außerdem ein wunderbares Mittel gegen Einsamkeit. "Jeder gehört dazu. 

Und wenn man ein Spiel verliert, dann stärken die Gemeinschaft und die Fans." Außerdem betont der evangelische Theologe die Macht der Musik, die in Stadien stets für starke Emotionen sorge, wie zum Beispiel die Hymne vom FC Liverpool "You´ll never walk alone" oder auch die des 1. FC Köln "Mer stonn zo dir, FC Kölle".

Zwei Stücke mit aussagestarken Texten, die ebenfalls in diesem Gottesdienst von Wolf-Rüdiger Spieler an der Orgel intoniert werden.

Immer gehe es dabei um die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls auf dem Platz und darüber hinaus. "Die Hymnen sind im Stadion genauso wichtig wie im Dom und in allen unseren Kirchen", sagt Seiger. "Wir singen und lassen uns mitreißen. Wir wissen, die Hymnen haben andere vor uns gesungen, und wir selber auch schon.

Sie geben Halt und Trost." Wer je einmal gehört habe, wenn 50.000 Menschen im Rheinenergie-Stadion diese Hymne für ihre Mannschaft mit Inbrunst schmetterten, sei bewegt. 

Dr. Bernhard Seiger, Stadtsuperintendent

"Schon Kinder können sich dafür interessieren, wie es in Schottland, Ungarn und der Schweiz ist und welche Musik da gemacht wird."

Sport sei eine Brücke zwischen den Menschen. Das lernten schon die Kleinsten in den Kitas, die gerade europäische Fahnen malten und auf diese Weise andere Länder kennenlernten. 

Wörtlich erklärt Seiger: "Schon Kinder können sich dafür interessieren, wie es in Schottland, Ungarn und der Schweiz ist und welche Musik da gemacht wird. Eben diese Gastfreundschaft, Vielfalt und Offenheit füreinander wollen wir auch in Köln erleben. Gott hat uns verschieden geschaffen, und die Eigenheit der anderen können wir mit Offenheit aufnehmen und achten." 

Quelle:
DR