Gastkommentar zur Zukunft der deutschen Entwicklungspolitik

Mehr Mut

Gibt es nach der Wahl noch ein Entwicklungsministerium? Stimmen der Union wollen eine Kürzung der Gelder. CSU-Politiker Wolfgang Stefinger und Markus Demele von Kolping fordern eine Stärkung des BMZ – aus christlicher Perspektive.

Autor/in:
Wolfgang Stefinger und Markus Demele
Entwicklungshilfe ist vor allem in Afrika gefragt / © Riccardo Mayer (shutterstock)

Es liegt in der Natur von Wahlkämpfen, dass in ihnen verschiedene Perspektiven für die künftige Gestaltung von Politikfeldern formuliert werden. Um die Entwicklungspolitik ist es jedoch derzeit erstaunlich still, was verwundert, wenn man erinnert, wie noch vor wenigen Monaten gegen die Förderung von "Radwegen in Peru" polemisiert wurde.

Eine Frontstellung schält sich im aktuellen Diskurs aber doch heraus: Soll es weiterhin mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ein eigenständiges Ministerium geben, in dem die Entwicklungspolitik gestaltet wird, oder soll diese im Auswärtigen Amt, dem Außenministerium, aufgehen, wie es etwa die FDP seit vielen Jahren fordert?

Letzteres wird vor allem von jenen favorisiert, die der Entwicklungspolitik vornehmlich einen instrumentellen Charakter zusprechen und sie auf die Wahrung deutscher Interessen hinordnen. Und in der Tat nimmt auch eine Politik, die zwar in erster Linie die globale und nachhaltige Beseitigung von Armut und Hunger sowie die Förderung von Gesundheit und Bildung zum Ziel hat, deutsche Interessen wahr. Als "development diplomacy" baut Entwicklungspolitik Brücken zu Partnern, welche die klassische Diplomatie nicht bauen kann. Hier werden vertrauensvolle Partnerschaften gepflegt, die späterhin für die Zusammenarbeit in zentralen Fragen wie Migration, Sicherheit und Handel relevant sind. Dies zeigt auch unsere eigene deutsche Geschichte: Die Rosinen-Bomber der US-Amerikaner zu Beginn des Kalten Krieges dienten nicht nur dazu, eine Hungersnot in Westberlin abzuwenden – vielmehr wird die Notwendigkeit der Luftbrücke sogar in der Wissenschaft in Frage gestellt. Das Symbol aber prägte mehr als eine ganze Nachkriegsgeneration. Die Amerikaner gewannen mit ihrer Politik die Herzen und das Vertrauen der Menschen – die Basis von Wirtschafts- bis Sicherheitskooperation. 

Doch dieser interessengeleitete Ansatz muss – so die Auffassung der Verfasser – normativ getragen werden. Egal welcher Begründungstradition man folgen mag – einer humanistischen oder einer religiösen –, die Pflicht zur Hilfe derer, die in Armut leben, korrespondiert mit ihrem Recht auf ein Leben, in dem sie ihre Chancen ergreifen können. Diese Pflicht steht im Zentrum der christlichen Verkündigung und speist sich schon aus der jüdischen Überlieferung: "Wende dein Angesicht von keinem Armen ab", lautet der Auftrag im Buch Tobit (4,7). Der Kern der frohen Botschaft, die Verheißung eines Lebens in Fülle, gilt allen Menschen weltweit und ist damit ein Appell auch an uns in Deutschland: Helft dort, wo Menschen Not leiden. Darüber hinaus erinnert uns die Katholische Soziallehre zudem, die Wurzeln von Chancenlosigkeit, die "Strukturen der Sünde" (Solicitudo Rei Socialis, 36) anzugehen. Auch die faire Gestaltung politischer und wirtschaftlicher Strukturen ist also unser Auftrag.

Damit die deutsche Entwicklungspolitik ihrer normativen Bestimmung gerecht werden kann, braucht sie weiterhin einen unmittelbaren Platz am Kabinettstisch. Nur so kann sie ihrer Kernaufgabe gerecht werden: In den ärmsten Ländern unterstützt sie Regierungen und Zivilgesellschaft, rechtsstaatliche Reformen voranzubringen, die den Ärmsten nutzen.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Partnerländern ist der Schlüssel für nachhaltige Entwicklungsprozesse. Die Förderung von Investitionen und wirtschaftlichem Austausch muss daher eine Top-Priorität für die neue Hausleitung des BMZ sein. Dabei gilt es, Investitionsrisiken für Unternehmen abzufedern und breitenwirksames Wachstum anzustreben, das den Menschen nutzt und nicht nur Wohlstandsinseln schafft. Wirtschaftliche Kooperationen, von denen die deutsche Wirtschaft und damit auch die Menschen in Deutschland profitieren, sind dabei an Sozial- und Umweltstandards gebunden, die nachweislich den Menschen vor Ort nutzen und Umwelt und Klima schützen. Wirtschaftliche und soziale Rendite gehen Hand in Hand.

Entwicklungspolitik muss Teil einer kohärenten Strategie zur Bewältigung globaler Herausforderungen sein. Die Expertise und die Partnerstruktur des BMZ sollten sowohl durch die Zivilgesellschaft als auch durch die bilaterale Zusammenarbeit viel stärker für die deutsche Politik im Ganzen fruchtbar werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass Themen wie Klimaschutz, aber auch Migration eine Querschnittsaufgabe sind. Globale öffentliche Güter, wie das Klima, können nicht national isoliert gesichert werden. Ebenso wenig kann Migration allein durch Grenzzäune geregelt werden. Und in einer vernetzten und digitalen Welt nehmen diese Überschneidungen zwischen Innen- und Außenpolitik zu. Gerade wegen dieser Internationalisierung von Sachaufgaben wäre es richtig das BMZ zu stärken. Konkret sollten im BMZ mehr und nicht weniger internationale Zuständigkeiten etwa im Bereich Handel, Arbeits- und Sozialstandards sowie Klimaabkommen angesiedelt werden. Es bräuchte dafür nicht nur mehr Geld, sondern auch klare Strukturen, Zuständigkeiten und engagierte Koordination. 

Grundsätzlich ist das entwicklungspolitische Engagement und die vielfältige Trägerstruktur der Zivilgesellschaft eine der großen Stärken der deutschen Entwicklungspolitik. Der Aufbau nachhaltiger und demokratischer Sozialstrukturen gelingt nur durch lebendige Netzwerke handlungsfähiger Akteure auch jenseits von Staat und Wirtschaft. Diese Stärke sollte auch in der humanitären Hilfe, also dort, wo Menschen aufgrund von Krisen, Konflikten oder Naturkatastrophen in einer akuten Notlage sind, vermehrt zum Einsatz kommen. Ihre Koordinierung ist im BMZ am effizientesten gewährleistet.

Den Nachweis dieser Effizienz muss die deutsche Entwicklungspolitik in allen ihren Aktionsfeldern selbstbewusster in die Öffentlichkeit tragen. An Wirkungsbeispielen mangelt es nicht: So zeigt sich etwa im Bereich des Waldschutzes, dass internationale Kooperationen zum Erhalt der grünen Lungen der Erde einen weitaus größeren Effekt haben können als viele nationale Maßnahmen. In Entwicklungsländern gelingt es, durch unsere Projekte eine Tonne CO2 für lediglich 1 bis 1,50 Euro einzusparen – während die Kosten dafür in Industrieländern je nach Schätzung zwischen 250 und 1.000 Euro liegen. Die Pandemie hat den internationalen Gesundheitsschutz wieder ins Blickfeld gerückt und uns vor Augen geführt, dass Gesundheitsschutz eine globale Herausforderung ist. Polio ist weltweit fast ausgerottet, dank umfassender Impfkampagnen, die durch Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation getragen werden – eine Organisation, die Deutschland mit 30 Millionen Euro als Grundbetrag jährlich unterstützt. Zum Vergleich: Die Ausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung belaufen sich hingegen täglich auf etwa 600 Millionen Euro. Die Beispiele machen deutlich: Sinnvoll eingesetztes Geld im Ausland hat nicht nur positive Auswirkungen auf die betroffenen Länder, sondern hilft uns allen – unabhängig davon, in welchem Teil des globalen Dorfes wir leben.

Dieses lernende System ‚Entwicklungspolitik‘ gilt es in der kommenden Legislaturperiode modern weiterzuentwickeln. Effizient und menschendienlich, normativ fundiert und selbstbewusst – so schafft deutsche Entwicklungspolitik auch künftig Chancen und Zukunft für eine friedliche Welt mit Wohlstand für viele.

Informationen zu den Autoren: Dr. Wolfgang Stefinger, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Deutschen Bundestag 

Wolfgang Stefinger (privat)
Wolfgang Stefinger / ( privat )

und Dr. Markus Demele, Generalsekretär KOLPING INTERNATIONAL

Markus Demele (Kolping International)

Kolping International

Kolping International ist ein katholischer Sozialverband, der 1850 durch den Priester und Sozialreformer Adolph Kolping gegründet wurde. Mittlerweile sind sie als starke Weltfamilie und Solidargemeinschaft von Kolpingschwestern und Kolpingbrüdern in 60 Ländern aktiv. Man findet viele der 400.000 Mitglieder engagiert in Kirche, Gesellschaft und Politik.

Kolping-Tag / © Kolping (Kolping)
Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!