Gedenken und neue Thora fünf Jahre nach Halle-Attentat

"Ein Zeichen neuen Lebens"

Der Attentäter wollte 2019 ein Blutbad in der Synagoge von Halle anrichten. Das schlug fehl. Doch er tötete zwei Menschen, verletzte weitere und traumatisierte viele andere. Zum Jahrestag kommt auch der Bundespräsident.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Gedenken an die Opfer des Anschlags von Halle (Archiv) / © Hendrik Schmidt (dpa)
Gedenken an die Opfer des Anschlags von Halle (Archiv) / © Hendrik Schmidt ( dpa )

"Der Angriff auf die Synagoge in Halle war einer der widerwärtigsten antisemitischen Akte seit dem Zweiten Weltkrieg", sagte Generalbundesanwalt Kai Lohse in seinem Schlussplädoyer im Prozess über den rechtsterroristischen Anschlag vom 9. Oktober 2019. Im Dezember 2020 erging das Urteil: Der 28-jährige Täter wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Stephan B. hatte am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur schwer bewaffnet versucht, in der Synagoge ein Massaker anzurichten. Zum Tatzeitpunkt befanden sich dort 51 Gottesdienstteilnehmende. Er eröffnete das Feuer auf die Synagogentür. 

Als ihm das Eindringen misslang, erschoss er erst eine 40-jährige Passantin vor der Synagoge, dann einen 20 Jahre alten Maler-Azubi in einem nahen Döner-Imbiss und verletzte auf seiner Flucht weitere Menschen, zwei davon schwer. Der Täter filmte seine Taten und streamte sie live im Internet. Bis zuletzt zeigte er im Prozess keine Reue für seine Taten.

Gedenkakt mit Bundespräsident

Zum fünften Jahrestag des Attentats an diesem Mittwoch finden mehrere Veranstaltung in Halle statt. Der zentrale Gedenkakt beginnt um 17.00 Uhr in der Ulrichskirche. Zum Zeitpunkt des damals ersten Schusses, um 12.03 Uhr, läuten alle Kirchenglocken der Stadt. Ebenfalls bereits am Mittag findet in der Synagoge ein Gedenken mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt. Im Anschluss erhält die Jüdische Gemeinde feierlich eine neue Thora-Rolle, deren letzter Buchstabe dann geschrieben wird.

Gedenken an die Opfer des Anschlags von Halle (Archiv) / © Hendrik Schmidt (dpa)
Gedenken an die Opfer des Anschlags von Halle (Archiv) / © Hendrik Schmidt ( dpa )

"Der Attentäter wollte das jüdische Leben in Halle zerstören. Das ist ihm nicht gelungen. Die neue Thora ist für uns jetzt auch ein Zeichen neuen Lebens", sagt der Gemeindevorsitzende Max Privorozki auf Anfrage. Auf die Frage, inwieweit seine gut 500 Mitglieder umfassende Gemeinde überhaupt wieder zur Ruhe kommen kann, antwortet er achselzuckend: "Wir arbeiten weiter. Die gesamte Welt kommt ja nicht zur Ruhe."

Die Solidarität nach dem Attentat sei damals unglaublich groß gewesen. "Aber das ist nicht automatisch so. Jetzt im Zuge des Kriegs gegen Israel vermisse ich sie ein wenig. Da würde ich mir noch klarere Statements wünschen."

Döner-Imbiss inzwischen Gedenkort

Auch am zweiten Tatort, dem Döner-Imbiss, ist am Abend ein Gedenken geplant. Der ehemalige "KiezDöner" heißt inzwischen "Tekiez" und ist nunmehr ein Gedenkraum, an dem zwei Mal wöchentlich nachmittags die Türen geöffnet sind, um Kaffee zu trinken, gemeinsam zu kochen, sich auszutauschen, zu trauern und zu erinnern. Daneben gibt es Veranstaltungen wie Lesungen und Workshops. Die Initiative kam von den Betreibern Ismet und Rifat Tekin, die mitansehen mussten, wie der Attentäter in ihrem Laden einen Mann erschoss.

"Für uns ist die Erinnerung sehr präsent, aber sie in der Öffentlichkeit wach zu halten, ist sehr schwierig. Das Interesse konzentriert sich doch sehr auf konkrete Anlässe wie eben jetzt", berichtet Projektkoordinatorin Yamin Hamid auf Anfrage. Auch erkennt die Stadt ihres Erachtens das "Tekiez" nicht wirklich als Gedenkort an. Zwar sei die Finanzierung bis Ende 2025 gesichert, die weitere Zukunft aber offen. "Nach wie vor ist dieser Ort für viele Überlebende wichtig, das berichten sie uns immer wieder. Schon das Wissen, dass es diesen Gedenkort überhaupt gibt, gibt ihnen Kraft, selbst wenn sie gar nicht hier in der Nähe wohnen."

Langwierige Aufarbeitung

"Die Aufarbeitung der Tatfolgen ist langwierig und stellt eine weitreichende Aufgabe dar. Das sehen wir sehr deutlich bei den Überlebenden, zu denen der Kontakt besteht", berichtet auch die Psychologin Marina Chernivsky, Geschäftsführerin von "Ofek", einer bundesweiten Beratungsstelle für Opfer von Antisemitismus. "Terroranschläge und extreme Gewalttaten wie in Halle hinterlassen für die Überlebenden und Hinterbliebenen spürbare Folgen, die nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich relevant sind. Oftmals treffen Menschen auf ein stummes, unsolidarisches Umfeld, was ihre Verletzung verschärft."

Die Anerkennung des geschehenen Unrechts sei für die Überlebenden eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Umgang mit Gewalt.

Die Synagoge in Halle hatte zum Zeitpunkt des Anschlags keinen Polizeischutz. Das führte im Nachgang zu einer bundesweiten Überprüfung der Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Gotteshäuser. Bund und Länder sagten zu, Synagogen besser zu schützen. Recherchen des "Mediendienstes Integration" ergaben, dass die meisten Bundesländer seitdem Gelder für zusätzliche Schutzmaßnahmen an jüdische Einrichtungen zahlen. Zuvor hatten viele Maßnahmen wie Einlassschleusen, Videoüberwachung und Sicherheitspersonal selbst finanzieren müssen.

Quelle:
KNA