Witz, Ausstrahlung und Charme dieses Papstes, der die katholische Kirche so lange wie kein anderer Petrus-Nachfolger leitete, sind fast sprichwörtlich. In einer Zeit, in der sich der Katholizismus politisch und intellektuell allenthalben in Bedrängnis befand, wurde Pius IX. (1846-1878), der "Papst der Unfehlbarkeit", eine herausragende Identifikationsfigur. 2000 wurde er seliggesprochen - doch bleibt er eine der umstrittenen Figuren der jüngeren Kirchengeschichte.
Mehrere Stolpersteine auf dem Weg der Heiligmäßigkeit
Gleich mehrere Stolpersteine, so meinen Historiker, liegen auf dem Weg der Heiligmäßigkeit jenes Mannes, der als Hoffnungsträger der Liberalen begann und 1878 als entschiedener Kämpfer gegen den Liberalismus starb. Da sind etwa die Festschreibung des päpstlichen Primats und der Unfehlbarkeit in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre beim Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70, die vielen der Konzilsbischöfe als nicht opportun erschien und die bis heute Haupthindernisse für die Ökumene sind. Da ist der "Syllabus errorum": 80 Sätze, in denen Pius IX. 1864 "Irrtümer" der Zeit verdammte, darunter Kommunismus und Liberalismus, aber auch Menschenrechte wie Gewissens- und Pressefreiheit.
Wenig im frühen Werdegang des Konzilspapstes hatte auf ein solch restauratives Wirken hingedeutet. Giovanni Maria Mastai-Ferretti wurde am 13. Mai 1792 hineingeboren in eine Familie des geistig aufgeschlossenen italienischen Landadels. Nach seiner Priesterweihe 1819, für die er wegen regelmäßiger epileptischer Anfälle eine Dispens benötigte, wurde der so Ehrgeizige wie musisch Begabte 1827 Erzbischof von Spoleto und 1832 Bischof von Imola. Dort erwarb er sich wegen seines auf Ausgleich bedachten Wirkens einen Ruf als "Liberaler" - der freilich den politischen Ideen des Liberalismus überhaupt nicht nahe stand.
Mehr kirchliche Offenheit
Als Hoffnungsträger für mehr kirchliche Offenheit wurde er im Juni 1846 von den italienischen Kardinälen zum Papst gewählt - ohne allerdings überhaupt die Ankunft der ausländischen Wähler abzuwarten. Pius IX. machte sich gleich ans Werk - und mit fortschrittlichen Maßnahmen wie dem Bau eines Eisenbahnnetzes im Kirchenstaat viele Punkte bei der Bevölkerung.
Doch schon wenig später, nach den Wirren der Revolutionswelle von 1848/50, bekam sein Pontifikat deutliche Züge schroffer absolutistischer Restauration. Die italienischen Nationalisten nahmen ihm zudem übel, dass er sich im "Befreiungskampf" gegen das katholische Österreich zu Neutralität verpflichtet hatte. In der kirchlichen Auseinandersetzung mit der Moderne verfolgte Pius IX. einen Kurs der "Intransigenz" (Festungsmentalität), der erst im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) endgültig aufgegeben wurde.
Erneuerung der Volksfrömmigkeit, kirchliche Zentralisierung im Papstamt, aber auch der Verlust des seit dem Mittelalter bestehenden weltlichen Kirchenstaates 1870 kennzeichnen seine Amtszeit; er selbst fühlte sich seither als "Gefangener im Vatikan". 1854 verkündete Pius IX. das Dogma von der "Unbefleckten Empfängnis Mariens", wonach die Muttergottes als Mensch ohne Erbsünde geboren wurde.
Viele Ereignisse fielen in die Amtszeit des Papstes
In die Amtszeit dieses eher mystisch-religiös denkenden Papstes fielen nicht nur der Beginn des Kulturkampfs in Deutschland und der Deutsch-Französische Krieg. Kirchenpolitisch bedeutsam waren auch die Errichtung der kirchlichen Hierarchie in England und den Niederlanden sowie der Abschluss zahlreicher Konkordate.
Seligsprechung fand wenig Zustimmung
Die Seligsprechung Pius IX. im "Heiligen Jahr" 2000 fand eher wenig Zustimmung. So kritisierte die "Arbeitsgemeinschaft katholischer Kirchenhistoriker im deutschen Sprachraum", sein "völliger Verzicht auf nüchterne Zeitanalyse und geduldige Differenzierung" machten eine Seligsprechung unvertretbar - mehr noch als seine "erheblichen menschlichen Schwächen" sowie sein offensichtlicher Mangel an theologischer Bildung und der Tugend der Klugheit. Wie kein anderer Papst vor ihm habe sich Pius IX., der auch als unausgeglichen, ungeduldig, herrisch und impulsiv beschrieben wird, letztlich allen reformfreundlichen Denk- und Kulturbewegungen widersetzt.
Im Februar 1878 starb Mastai-Ferretti, trotz seines hohen Alters von fast 86 Jahren überraschend. Gemäß seinem Wunsch wurde er in der Kirche San Lorenzo fuori le Mura beigesetzt - und hatte doch Glück, dass er nicht bei seiner Überführung 1881 von einem römischen Pöbel in den Tiber geworfen wurde. Die junge Republik hatte mit dem hartnäckigen Verteidiger des Kirchenstaates noch lange keinen Frieden gemacht.