DOMRADIO.DE: Was genau werfen Sie Roger Waters vor?
Prof. Jürgen Wilhelm (Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Wir werfen ihm vor, dass er unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit ganz klaren, geradezu blasphemischen und die Menschenwürde verletzenden Antisemitismus betreibt.
Er hat zum Beispiel ein Plastikschwein mit einem Judenstern versehen. Jetzt hat er das durch ein Logo eines israelischen Unternehmens ersetzt, was auf dasselbe hinausläuft. Dieses Schwein hat er von der Bühne aus elektronisch abgeschossen.
Angesichts des millionenfachen Mordes an den Juden Europas, ist es für alle Überlebenden und deren Nachkommen unglaublich, so etwas in vielen Städten in Deutschland auf offener Bühne zwar nicht sehen zu müssen, aber doch zu wissen, dass so etwas im Jahre 2023 stattfindet.
DOMRADIO.DE: Waters sagt, seine Konzerte zu verbieten sei ein Angriff auf die Kunstfreiheit. In Frankfurt hat ihm ein Gericht Recht gegeben. Das sehen Sie anders. Inwiefern?
Wilhelm: Ich bin Rechtsanwalt und kann das ein bisschen beurteilen. Das ist ein Rückfall in die Rechtssprechung der 1950er Jahre. Wir hatten gehofft, dass es kein Verständnis dafür gibt, wenn sich eine Propaganda eindeutig auf Nazi-Symbole bezieht. Das ist verboten, diese Gesetze gibt es.
Dann hätte das Frankfurter Gericht weitergehen und sagen können, dass es nicht nur eine Geschmacklosigkeit ist, sondern dass es auch juristisch nicht erlaubt ist, gegen die Menschenwürde vorzugehen. Das ist das höchste Gut, was wir im Grundgesetz haben.
Da muss dann auch in Einzelfällen die von Rogers in Anspruch genommene Kunstfreiheit zurückstehen. Das ist gängige Rechtsprechung. Ich bin sehr enttäuscht darüber, dass die Frankfurter Richter das nicht so gesehen haben.
DOMRADIO.DE: Sie denken also, dass die Richter in Frankfurt falsch entschieden haben?
Wilhelm: Ja, vom Ergebnis her wäre auf jeden Fall eine andere Entscheidung möglich gewesen.
DOMRADIO.DE: Waters ist auch Unterstützer der sogenannten "BDS Kampagne". Das steht für Boycott, Divestment und Sanctions. Es ist eine Bewegung, die dazu aufruft, Israel zu boykottieren. Sie wirft dem Staat Israel vor, die Palästinenser zu unterdrücken und von ihrem angestammten Land vertrieben zu haben. Das ist israelkritisch. Was ist daran denn aus Ihrer Sicht antisemitisch?
Wilhelm: Dieses Wort Israelkritik an sich ist schon antisemitisch, denn haben Sie schon mal jemals von Irankritik, Nordkoreakritik oder Syrienkritik gehört, also von anderen diktatorischen Staaten, wo Menschenrechte verletzt werden, wo bürgerliche Freiheiten eingeschränkt oder gar nicht mehr vorhanden sind?
Nur im Deutschen gibt es ein Wort der Israelkritik. Übersetzt ins Deutsche sind diese Parolen doch nichts anderes als die Naziparolen, die an den Geschäften der jüdischen Menschen in den 1930er Jahren und während der Nazizeit geklebt haben, bevor sie dann vertrieben und systematisch ermordet wurden: "Kauft nicht bei Juden, boykottiert deren Geschäfte, ladet sie aus oder gar nicht erst ein, wenn sie aus Israel kommen." Das kann man doch nicht akzeptieren.
DOMRADIO.DE: Einen Tag vor dem Konzert, also am kommenden Montag um 17 Uhr, planen Sie auf dem Roncalliplatz am Kölner Dom eine Veranstaltung. Was passiert da?
Wilhelm: Wir wollten kein Risiko personeller Auseinandersetzungen an dem Tag des Konzerts, deswegen machen wir das einen Tag vorher. Wir haben eine Kundgebung auf dem Roncalliplatz, wo wir deutlich machen, dass wir die fehlenden juristischen Konsequenzen und das Konzert nicht kommentarlos hinnehmen.
Das große Bündnis der Solidarität gegen dieses Konzert, das sich gegründet und gebildet hat, wird hoffentlich die Breite dieser Kritik deutlich in den Vordergrund treten lassen.
Das Interview führte Dagmar Peters.