DOMRADIO.DE: In den katholischen Gemeinden in Köln gibt es aktuell keinen einzigen Fall von Kirchenasyl. Gäbe es denn Menschen die ein solches Asyl auch hier gerne in Anspruch nehmen würden?
Marianne Arndt (Gemeindereferentin Köln-Mülheim): Ja, wir suchen händeringend immer wieder Kirchengemeinden, die Menschen aufnehmen. Vor allen Dingen aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern, wo aber dennoch keine Möglichkeit der Rückführung und des Lebens in Frieden in ihrer Heimat besteht.
DOMRADIO.DE: Sichere Herkunftsländer umfassen beispielsweise die Balkanländer. Mit welchen Ländern haben Sie es sonst noch so zu tun?
Arndt: Afghanistan zum Beispiel, was in Teilen als sicher gilt. Oder auch Eritrea oder Iran. All diese Länder, in die auch abgeschoben wird.
DOMRADIO.DE: Aus ihrer Arbeit für und mit Geflüchteten heraus wissen Sie, was es mit Menschen macht, wenn die Abschiebung wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebt. Was bedeutet das für Betroffene?
Arndt: Es bedeutet für die Betroffenen, dass sie überhaupt gar nicht zu einer inneren Ruhe und Klarheit finden. Wir erwarten Integrationsleistungen von den Geflüchteten, aber ein Mensch der sich überhaupt nicht in Ruhe auf ein Leben in einer neuen Umwelt konzentrieren kann, weil er täglich Angst haben muss, dass ihn am Morgen die Polizei abholt, kann sich nicht integrieren.
In der Stadt Köln gab es leider Gottes in diesem Jahr zehn Fälle, wo Menschen, die auf der Ausländerbehörde waren und sich einen erneuten Stempel auf Duldung holen wollten, direkt in Abschiebehaft genommen wurden. So etwas spricht sich in der Gruppe der Geflüchteten herum, und die Menschen, die keine Klarheit in ihrer Zielsetzung und auch keine Perspektive in ihrer Heimat haben, haben Angst, und Angst macht krank.
DOMRADIO.DE: Inwieweit kann Kirchenasyl denn für solche Leute neue Perspektiven bringen?
Arndt: Das Kirchenayl schafft ganz neue Perspektiven, wenn wir zum Beispiel an die Dublin Regelung denken. Menschen die aus Italien oder Ungarn kommen, werden oft gezwungen, ihren Fingerabdruck in diesen Ländern zu hinterlassen, ohne dass sie eigentlich wissen wofür. Dann kommen diese Menschen nach Deutschland und werden von hier aus abgeschoben oder zurückgeführt. Aber wir alle wissen ja, dass diese Menschen dort eben keine Perspektive haben. Flüchtlinge in Italien leben zum Teil auf der Straße. Auch Kinder und Frauen.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist es natürlich so, dass der Staat es naturgemäß nicht so toll findet, wenn die Kirchen ihm mit dem Kirchenasyl dazwischenfunken. Im Moment liegt ein Gesetzesvorhaben von Bundesinnenminister Seehofer auf dem Tisch, das das Kirchenasyl erschweren soll. Wie genau?
Arndt: Bisher war es so, dass das Kirchenasyl über die katholischen Büros bei der Ausländerbehörde angemeldet wurde. Und damit galt dann dieser Mensch oder diese Familie als nicht untergetaucht. Nach der Dubliner Regelung ist es so, dass jemand, der über einen Drittstaat eingereist ist, wieder zurückgeführt werden soll. Wenn er aber sechs Monate in Deutschland war, kann er oder sie auch hier sein Asylverfahren durchlaufen. Mit deem neuen Gesetzentwurf versucht der Innenminister eben diese Regelung aufzuweichen. Seehofer plant, dass man im Kirchenasyl als untergetaucht gilt. Ein "untergetauchter Dublin-Fall" muss es nachweislich schaffen 18 Monate in Deutschland zu sein, bis er sein Asylverfahren hier regeln kann.
DOMRADIO.DE: Das heißt, es wäre also eine viel größere Hürde für die betroffenen Kirchengemeinden?
Arndt: Genau. Wir haben zum Beispiel Menschen, die über Ungarn eingereist sind und die von ihren Eltern getrennt worden sind. Kinder, die mit ihren Müttern im Gefängnis waren, wenn auch nur für wenige Tage. Aber das macht natürlich etwas mit diesen Kindern. Wir hatten einen elfjährigen Jungen, der tagelang in einem ungarischen Gefängnis war. Dieser Junge ist traumatisiert und hat Angst. Und dieser Junge soll jetzt wieder nach Ungarn zurückgehen. In meinen Augen geht das nicht.
DOMRADIO.DE: Sie sagen ganz klar: Wir als Kirche sollten uns noch viel deutlicher an die Seite derer stellen, die von Abschiebung bedroht sind. Wie lautet denn ihr Appell an die Gemeinden und vielleicht auch an die Kirchenoberen?
Arndt: Heute feiern wir hundert Jahre Frieden und hundert Jahre Beendigung des Ersten Weltkriegs. Wir wissen, dass die Folgen des Ersten Weltkrieges Auslöser des Zweiten Weltkrieges und des Antisemitismus waren. Heute verneigen wir unser Haupt vor den Menschen, die damals im Rahmen des Bürgerasyls Juden Schutz geboten haben. Ungleich einfacher ist es für uns als gesamte Kirchengemeinde zu sagen: "Ja wir bieten diesen Menschen einen Schutzraum, einen Schutzmantel der Barmherzigkeit, um ihr Asylverfahren besser abwickeln zu können."
Ich möchte alle Kirchengemeinden, die Verantwortlichen in der Kirche, unseren Bischof wie auch den bundesweiten Bischof für Flüchtlinge bitten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und die Gemeinden zu ermutigen. Außerdem müssen wir das Verfahren erleichtern, um Menschen im Kirchenasyl aufzunehmen und damit gemäß dem Evangelium Perspektiven des Schutzes zu bieten: Ich war hungrig, ich habe Schutz gesucht und ihr habt mich aufgenommen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.