DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Kinderarmut in Ihren sozialen Projekten?
Pater Oliver Potschien O.Praem. (Vorsitzender des Katholischen Gesundheits- und Sozialzentrums Georgswerk Duisburg e.V.): Wenn ich immer wieder neu kleine Kinder sehe, die hier zu unserem täglichen Mittagstisch in den Petershof kommen, könnte ich heulen. Dass wir es als Gesellschaft in einem der reichsten Länder der Welt nicht hinkriegen, dass jedes Kind eine warme Mahlzeit am Tag hat, ist ein unglaublicher Skandal. Und es bleibt ja nicht beim Mittagessen. Es kommen immer mehr junge Familien in die Beratung, die nicht mehr weiterwissen. Die Kinderarmut ist ein Versagen auf ganzer Linie.
DOMRADIO.DE: Wie können Sie bei den Problemen der Kinderarmut helfen?
Pater Oliver: Es ist ja immer einerseits die Linderung materieller Not – in Form von Lebensmitteln, Kleidung, Spielsachen, Schulmaterial – und was man sonst so braucht. Andererseits geht es natürlich auch um ein "Ankommen": "Du bist hier willkommen, egal, warum du gerade hier bist. Wir stehen an Deiner Seite! Und wir gucken, gemeinsam einen Weg zu suchen und zu gehen, der dich in deiner konkreten Situation nach vorne bringt." Diese Form der Zuwendung und der Begleitung ist mindestens genauso wichtig.
Und dann kommt natürlich noch die konkrete Hilfe bei der unglaublichen Bürokratie. Ich habe ja auch Abitur und studiert, aber füllen Sie mal die ganzen Formulare aus, die man braucht, wenn man Hilfe für seine Familie benötigt. Wenigstens ist der Mangel gut verwaltet – mit Durchschlag!
DOMRADIO.DE: Wenn Sie den Streit der Ampel-Koalition um die Höhe des Geldes zur Kindergrundsicherung beobachten, was empfinden Sie dabei?
Pater Oliver: Nun bin ich kein Volkswirt und kann das nicht gut genug beurteilen. Was ich aber beurteilen kann, ist die Folge der immer weiteren Verarmung von Kindern und Jugendlichen. Wenn ich daran denke, wie viele Angebote ich damals im Jugendheim unserer Kirchengemeinde wahrgenommen habe – und was ich dadurch alles erlebt habe – was mich dadurch alles weitergebracht hat im Leben. Das findet immer weniger statt.
Wir rennen hier ja auch bei den Kindergruppen jedem Pfennig hinterher, damit wir einigermaßen gute Angebote machen können. Das ist zwar eine Plattitüde, aber natürlich ist eine Investition in Kinder- und Jugendarbeit, eine Investition in die Zukunft. Und hier steht immer weniger zur Verfügung. Sie können nicht alles mit Ehrenamtlichen, Waffelbacken und gutem Willen machen, obgleich ich gar nicht wissen will, wo wir ohne die ganzen Ehrenamtler stehen würden. Die leisten jeden Tag eine grandiose Arbeit.
DOMRADIO.DE: Die Diakonie hat am Freitag davor gewarnt, die Kindergrundsicherung klein zu sparen. Die Folgen von Kinderarmut würden eine Gesellschaft viel mehr kosten als eine Existenzsicherung für jedes Kind. Stimmen Sie dem zu?
Pater Oliver: Dass wir überhaupt darüber reden müssen, empfinde ich als Skandal. Jedes Kind muss einen angemessenen Zugang zu Grundversorgung, Medizin, Bildung, Weiterentwicklung haben. Das kann doch nicht ernsthaft strittig sein.
Schlechtversorgte, schlechternährte und schlechtgebildete Kinder bringen uns nicht nach vorne. Das ist ja nun auch keine besondere Erkenntnis. Daher kann ich der – vermutlich ungehört bleibenden - Warnung der Diakonie nur zustimmen.
DOMRADIO.DE: Ein stabiler Sozialstaat funktioniert nur, wenn es auch eine starke Wirtschaft gibt, argumentieren hingegen Leute wie Christian Lindner. Wie bekommt man diesen Spagat zusammen?
Pater Oliver: Zu Christian Lindners Ideen zu einem Sozialstaat möchte ich mich nicht äußern.
Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.