Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, fordert umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 und die aktuelle Debatte um Strafverschärfungen verlangte er in Berlin eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema auf höchster politischer Ebene. "Die Androhung härterer Strafen allein reicht nicht aus, um sexuelle Gewalt nachhaltig zu bekämpfen", sagte Rörig.
Seine konkreten Forderungen fasste der Beauftragte in einem Positionspapier zusammen: So solle es etwa einen gesetzlich verankerten, regelmäßigen Bericht zum Ausmaß sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und zum Kampf dagegen geben.
Auch müssten die verschiedenen Ressorts wie Gesundheit, Justiz, Soziales und Bildung endlich zusammenarbeiten. Generell solle öffentliche Förderung an Kinderschutzauflagen geknüpft sein. Hilfsangebote für Betroffene gehörten ausgebaut. Zudem brauche es eine dauerhafte Aufklärungskampagne sowie mehr Forschung.
Erweiterte Ermittlungsmöglichkeiten
Rörig spricht sich zudem für erweiterte Ermittlungsmöglichkeiten aus: So solle es eine EU-rechtskonforme Vorratsdatenspeicherung geben, da ohne verlängerte Mindestspeicherzeiten für Internet-Adressen die digitalen Spuren zu den Tätern innerhalb kürzester Zeit verloren gingen. Generell müssten die berechtigten Interessen des Datenschutzes und die ebenfalls berechtigten Interessen des Kinderschutzes "dringend neu ausbalanciert und neu justiert werden".
Von den Bundesländern verlangt Rörig jeweils einen eigenen "Masterplan" zum besseren Schutz von Minderjährigen vor sexueller Gewalt. Auch sollten sie eigene Landesbeauftragte für das Thema ernennen. Für Schulen und landesgeförderte Einrichtungen und Organisationen stellt der Bundesbeauftragte sich eine Pflicht zum Erstellen und Anwenden eines Schutzkonzeptes vor. Pädagogische und soziale Fachkräfte müssten ebenso wie Richter geschult werden.
"Gesamtgesellschaftliches Phänomen enormen Ausmaßes"
Rörig betonte, dass es auch angesichts spektakulärer Missbrauchsfälle wie zuletzt in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster keineswegs um "Einzelfälle" gehe. Tatsächlich handele es sich um ein "gesamtgesellschaftliches Phänomen enormen Ausmaßes". Sexueller Missbrauch finde "täglich, überall und mitten unter uns statt". Es sei mehr als wahrscheinlich, dass jeder ein Kind kenne, das sexuelle Gewalt erlitten habe oder aktuell erleide.
Aktuellen Studien zufolge sind im Durchschnitt in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder oder Jugendliche von sexueller Gewalt betroffen oder waren es in der Vergangenheit.
Rörig schickte sein Positionspapier nach eigenen Angaben an alle Partei- und Fraktionsvorsitzenden, die parlamentarischen Fachausschüsse und zuständigen Fachminister in Bund und Ländern sowie an die Regierungschefs der Länder.