DOMRADIO.DE: Papst Franziskus macht Sommerpause - aber nicht Castelgandolfo oder in der Heimat Argentinien. Er machte quasi Urlaub auf Balkonien. Er wohnt in Santa Marta, im Gästehaus des Vatikan. Ein Haus mit bewegter Vergangenheit. Bevor wir zu den Geschichten kommen, sagen Sie uns doch mal: Wo genau befindet sich das Gästehaus, wie ist es ausgestattet und wer wohnt da eigentlich?
Ulrich Nersinger (Vatikankenner und Buchautor): Wenn wir vor Sankt Peter stehen und dann am Campo Santo Teutonico, am deutschen Friedhof, vorbeigehen, sehen wir auf der linken Seite einen großen Komplex. Das ist die Casa Santa Marta oder auf lateinisch Domus Sanctae Marthae.
DOMRADIO.DE: Allerdings ist das ja nicht mehr das Original-Gästehaus, oder?
Nersinger: Das alte Gästehaus war von Papst Leo XIII. erbaut worden, der von 1878 bis 1903 regierte. Und dieser Bau erfüllte über den Tod von Leo XIII. hinaus noch seinen Zweck.
Dann kam das Jahr 1978, das Jahr der zwei Konklaven. Die erste Wahl fand im Hochsommer statt und die Kardinäle mussten damals noch im Apostolischen Palast des Vatikans untergebracht werden. Das geschah unter harten Bedingungen: Die Zugänge wurden vermauert und alle Fenster wurden verplombt.
Man konnte die Fenster nicht aufmachen und man kann sich gut vorstellen, dass da ein regelrechtes Horrorszenario entstand. Es gibt Berichte, die sagen, dass Kardinäle ihre Tische zu den Fenstern geschoben haben, auf die Tische geklettert sind und die Plomben gelöst haben - obwohl es unter Strafe der Exkommunikation verboten war.
An diesem und an dem nachfolgenden Konklave nahm auch der spätere Johannes Paul II. teil. Er hat dann gesagt, das gehe so nicht weiter und befahl 1992 einen Neubau, eben dort, wo das alte Haus Sankt Marta stand.
DOMRADIO.DE: Welche Geschichten oder Berichte von Begebenheiten, die sich in diesem Gästehaus zugetragen haben, gibt es noch?
Nersinger: Im alten Gästehaus wohnten nicht nur Pilger, sondern überwiegend auch Bedienstete des Vatikans - hauptsächlich aus dem Staatssekretariat. Und die musste man vor den anderen Besuchern trennen, weil man eine gewisse Diskretion bewahren wollte.
Ich bin mal von einem Mitarbeiter des Staatssekretariats zum Mittagessen eingeladen worden. Und da saßen wir wie in einer orthodoxen oder unierten Kirche vor einer Bilderwand, vor einer Ikonostase. Hinter der Ikonostase saßen die Angestellten und Beamten des Staatssekretariats, die dort ihr Mittagessen einnahmen. Davor saßen die Gäste. So wollte man vermeiden, dass man nicht frei sprechen konnte. Es war ein etwas seltsames Gefühl, so zweigeteilt zu einem Mittagessen eingeladen zu sein.
DOMRADIO.DE: Der Papst Franziskus macht quasi Urlaub auf Balkonien. Hat er überhaupt einen Balkon?
Nersinger: Nein, einen Balkon hat er nicht. Man muss sich immer vor Augen halten, dass die Absicherung dieses Hauses viel schwieriger ist, als den Apostolischen Palast abzusichern. Denn dieses Gebäude liegt an der Grenze zu Italien und steht relativ frei da.
Das heißt, dass man so etwas in Italien Übliches, wie auf eine Terrasse oder auf einen Balkon zu gehen, nicht machen kann. Der Papst ist praktisch - obwohl er ja freier als im Apostolischen Palast sein wollte - im Haus Santa Marta mehr oder weniger gefangen.
DOMRADIO.DE: Wie verbringt Franziskus denn seinen Urlaub im Gästehaus?
Nersinger: Genau wissen wir das nicht. Ich vermute, dass er seinen geliebten Mate-Tee trinkt. Und vielleicht schaut er jetzt in der Zeit das ein oder andere Fußballspiel an, aber große Vergnügungen oder einen richtigen Urlaub macht er nicht.
DOMRADIO.DE: Wer kann denn im Gästehaus einchecken?
Nersinger: Das war früher etwas einfacher. Man musste auch früher mehr oder weniger eine Empfehlung haben, aber das hat sich bis heute verschärft. Ich weiß aus Berichten, dass man früher den Papst im Speisesaal durchaus ansprechen und mit ihm das eine oder andere Wort wechseln konnte. Das scheint heute nicht mehr möglich zu sein.
Der Papst wird heute sehr viel stärker abgeschirmt. Das ist ja auch verständlich, weil bei vielen Gästen auch die Gefahr besteht, dass Informationen aus dem Haus getragen werden. Das haben wir in der letzten Zeit ja auch immer wieder erlebt.
Das Interview führte Carsten Döpp.