Gibt es heute noch Wunder in der Katholischen Kirche?

Wenn das Unerklärliche erklärbar wird

Eine Marienstatue in Sachsen sorgte für Schlagzeilen, weil sich auf ihr ein Blutfleck bildete. Jetzt zeigt sich: Es war kein Wunder, sondern nur eine Ansammlung roter Milben. Aber gibt es heute noch Wunder, die die Kirche anerkennt?

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
Orthodoxe Christen feiern die Zeremonie des Heiligen Feuers / © Andrea Krogmann (KNA)
Orthodoxe Christen feiern die Zeremonie des Heiligen Feuers / © Andrea Krogmann ( KNA )
Archivbild: TV-Übertragung des Blutwunders von Neapel: Kardinal Crescenzio Sepe, Erzbischof von Neapel, mit der Blutreliquie des Sankt Januarius / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Archivbild: TV-Übertragung des Blutwunders von Neapel: Kardinal Crescenzio Sepe, Erzbischof von Neapel, mit der Blutreliquie des Sankt Januarius / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )

Drei Mal im Jahr ist es ein riesiges Spektakel, wenn im Gottesdienst in der Kathedrale von Neapel eine kleine Ampulle hochgehalten wird. Der Erzbischof schüttelt das Gefäß. Minuten, Stunden oder Tage später wird das angebliche Blut des Heiligen Januarius wieder flüssig. 

Das Blutwunder von Neapel zieht seit Jahrhunderten Pilger aus dem ganzen Land an. Ist es aber ein wirkliches, offizielles Wunder? Der Vatikan ist vorsichtig und spricht offiziell nur von einem "wundersamen Ereignis". Das hat auch seinen Grund: Experten sind heute ziemlich skeptisch beim Blutwunder von Neapel und sehen dahinter eher einen mittelalterlichen Taschenspielertrick. 

Margherita Hack ist eine italienische Astrophysikerin und Chefin des "Nationalen Komitees zur Kontrolle von Behauptungen zu Paranormalem". Mit ihrer Organisation hat sie ein Gutachten veröffentlicht, in dem behauptet wird, dass Jahrhunderte nach dem Tod des Heiligen eine chemische Substanz zusammen gerührt wurde, die bei Schütteln ihren Aggregatszustand ändert, eine sogenannte "nicht-newtonsche Substanz". In ihrem Text liefert sie sogar ein mögliches Rezept, mit dem man selbst solch eine Substanz erstellen kann. Die Mischung aus Eisen(III)-chlorid-Hexahydrat und Calciumcarbonat in Wasser sei dabei bereits im Mittelalter bekannt gewesen. Es gibt also den Ansatz einer wissenschaftlichen Erklärung für das Blutwunder von Neapel. 

Die Blutmadonna von Ostro

Rötliche Spuren an Kopf und Stirn einer Marienstatue mit Jesuskind am 17. März 2024 in der Kapelle am Leipsberg bei Ostro. / © Rafael Ledschbor (KNA)
Rötliche Spuren an Kopf und Stirn einer Marienstatue mit Jesuskind am 17. März 2024 in der Kapelle am Leipsberg bei Ostro. / © Rafael Ledschbor ( KNA )

Ähnlich sieht es bei anderen "Wundern" aus, die in der Volksfrömmigkeit eine große Rolle spielen. Das neueste in den Schlagzeilen ist die blutende Madonnenfigur im sächsischen Ostro bei Bautzen. Im März wurde auf einmal ein dunkelroter Fleck auf dem Kopf der Maria und des Jesuskindes entdeckt, was erste Pilger und Neugierige in den kleinen Ort gelockt hat. Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung steht nun fest: Es sind rote Milben, die sich am höchsten Punkt der Statue versammelt haben. Schon vorab war das zuständige Bistum Dresden-Meißen auch hier skeptisch und riet in einem Statement gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk von einer religiösen Deutung dieses Phänomens erst mal ab. 

Moderne Wunder werden selten

Trotzdem gibt es nach katholischer Überzeugung auch heute noch Wunder. Im Vatikan gibt es eine eigene Kommission, die sich mit dem Thema befasst und im Dikasterium für Selig- und Heiligsprechungen angesiedelt ist. Für den Prozess der Heiligsprechung ist nämlich eigentlich solch ein Wunder nötig, das auf die Fürsprache des Verstorbenen zurückzuführen ist. Die Ausnahme sind Märtyrer, die für ihren Glauben gestorben sind. Ist das nicht der Fall, wird es mit dem Wundern heutzutage immer schwieriger. Zuletzt 2016 hat der Vatikan den Anerkennungsprozess möglicher Wunder verschärft. 

Mit den Wundern ist es manchmal sogar so schwierig, dass sich der Papst vorbehält, in Ausnahmefällen auch ohne eine Wundertat heilig zu sprechen. So ist es bei Papst Johannes XXIII. im Jahr 2014 geschehen, der laut Franziskus so einen vorbildlichen, heiligen Lebenswandel geführt habe, dass ein Wunder für die Heiligsprechung gar nicht nötig sei. Böse Zungen sprechen von einem Heiligen zweiter Klasse.

Das Prozedere zur Anerkennung von Wundern

Wenn der Vatikan aber doch ein Wunder beweisen will, geht es fast ausschließlich um wundersame Heilungen von Krankheiten. Hat der Kranke zum Beispiel zu Johannes Paul II. oder Mutter Teresa gebetet und wurde dann auf unerklärliche Weise wieder gesund, setzt sich der Prozess des Vatikans in Gang. 

Zunächst wird eine Reihe von Medizinern befragt, ob es eine naturwissenschaftliche Erklärung für die Heilung gibt. Ist dem nicht der Fall, werden Theologen zu Rate gezogen, die den Fall aus ihrer Sicht interpretieren und beurteilen, ob hier nun ein wahres Wunder vorliegt. Sollte es in diesem Prozess keine Einigkeit geben, kann er bis zu drei Mal wiederholt werden.

Was sagen die Mediziner?

Dabei ist es den Medizinern sehr wichtig zu betonen, dass die Abwesenheit einer naturwissenschaftlichen Erklärung im Umkehrschluss nicht der Beweis für ein Wunder ist. Das sagt der Medizinprofessor Cornel Sieber im Interview mit dem Portal katholisch.de. Er ist Mitglied der ehrenamtlichen Mediziner-Kommission, die mögliche Wunder am Wallfahrtsort Lourdes untersuchen soll. "Wir behaupten nicht, etwas sei generell unerklärbar, sondern sagen, dass es nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft nicht erklärt werden kann. Das kann sich binnen weniger Jahre ändern." 

Die Mariengrotte mit einer Figur der heiligen Maria im Marienwallfahrtsort Lourdes am 25. Mai 2008 / © Benedikt Plesker (KNA)
Die Mariengrotte mit einer Figur der heiligen Maria im Marienwallfahrtsort Lourdes am 25. Mai 2008 / © Benedikt Plesker ( KNA )

Gerade am französischen Wallfahrtsort Lourdes wird das sehr deutlich, wenn man in die Zahlen schaut. Als Wunder anerkannt werden Heilungen dort nämlich äußerst selten. 

Millionen Pilger besuchen das französische Heiligtum jedes Jahr in der Hoffnung auf Heilung ihrer Leiden. Offiziell untersucht wurden 7.000 Heilungen. Anerkennt wurden vom Vatikan allerdings bis jetzt nur 69 davon, die letzte im Jahr 2013. 

Spontanheilungen sind nicht ungewöhnlich

Ärzte sprechen davon, dass es immer wieder in der Medizin Fälle spontaner Heilung gibt, das habe aber nicht unbedingt mit Wundern zu tun, so Sieber: "In dem besonderen Ambiente dieses Pilgerorts mit der Gemeinschaft und der Spiritualität kann es zu einer Besserung wie bei einem Placebo-Effekt kommen." Dafür spreche zum Beispiel auch, dass in Lourdes bis jetzt noch nie ein gebrochener Knochen zusammengewachsen ist oder sich ein verkrümmtes Rückgrat gerichtet hat. Alle Heilungen wären auch ohne ein Wunder möglich und denkbar. 

Betrachtet man die Abermillionen von Pilgern, die in den letzten Jahrzehnten nach Lourdes gekommen sind, liegt die anerkannte Zahl von 69 Wunderheilungen sogar weit unter dem statistischen Schnitt von Spontanheilungen im allgemeinen medizinischen Kontext. Der amerikanische Wissenschaftler und Atheismus-Aktivist Carl Sagan hat dazu in den 1990er Jahren vermerkt, dass Christen, die auf eine Wunderheilung hoffen, statistisch gesehen dem Wallfahrtsort in Frankreich vielleicht lieber fern bleiben sollten.

Wunder und Glaube

Wunder sind in der modernen Welt also überwiegend wissenschaftlich erklärbar, seien es Blutwunder wie in Neapel oder Ostro oder Wunderheilungen in Lourdes. Es gibt auch heute noch Fälle, die nicht erklärt werden können, aber folgt man der Argumentation des Mediziners Cornel Sieber ist die Abwesenheit einer wissenschaftlichen Erklärung nicht im Umkehrschluss der Beweis für ein Wunder. 

Für den persönlichen Glauben sollte das aber nicht unbedingt eine Rolle spielen, das ist auch der Standpunkt des Vatikans. Selbst wenn ein sogenanntes Wunder mit naturwissenschaftlichen Argumenten erklärt werden kann, heißt das nicht, dass Christen darin nicht auch ein Zeichen Gottes sehen können. Vielleicht liegt die Antwort auf Gottes Wirken bei Wundertaten nicht im "Wie", sondern im "Warum".

Heiligsprechung

Die Heiligsprechung in der katholischen Kirche ist eine feierliche Erklärung des Papstes über das vorbildlich christliche Leben eines Menschen und über dessen endgültige Aufnahme bei Gott. Nach dieser Kanonisation, die im Rahmen eines Festgottesdienstes vollzogen wird, darf die betreffende Person weltweit verehrt werden.

Heiligsprechung (dpa)
Heiligsprechung / ( dpa )
Quelle:
DR