"Gläubige Atheistin" Margarethe von Trotta wird 80

"Sie selbst ist ein Vorbild"

Mit ihren Verfilmungen von starken Frauenfiguren erlangte Regisseurin Margarethe von Trotta eine Vorbildrolle als Regisseurin. Sie bezeichnet sich selbst als gläubige Atheistin, setzt aber mit ihren Filmen spirituelle Impulse.

Margarethe von Trotta / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Margarethe von Trotta / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

DOMRADIO.DE: Welcher Film fällt Ihnen denn als erstes ein, wenn Sie an das umfangreiche Werk von Margarethe von Trotta denken?

Martin Ostermann (Mitglied der katholischen Filmkommission): Tatsächlich ist es "Rosa Luxemburg". Obwohl man jetzt bei der katholischen Filmkommission eher drauf kommen könnte, dass ich an "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" denke. Aber "Rosa Luxemburg" war, glaube ich, damals auch inhaltlich formal wirklich ein toller Aufschlag, den sie filmisch gemacht hat, mit dem sie dann noch mal deutlich bekannter geworden ist als vorher schon für "Die bleierne Zeit". Das war ja der Film, für den sie den Goldenen Löwen bekommen hat.

DOMRADIO.DE: Es gibt viele Frauenfiguren, über die sie ihre Filme gemacht hat. Was ist denn das Besondere an der Erzählweise von Margarethe von Trotta?

 

Martin Ostermann (Mitglied der katholischen Filmkommission)

"Sie muss nicht mit allem einverstanden sein, was ihre Figuren tun, aber sie muss die Figuren lieben."

Ostermann: Ich glaube, sie hat es auch selber mal gesagt. Sie muss nicht mit allem einverstanden sein, was ihre Figuren tun, aber sie muss die Figuren lieben. Als Regisseurin muss sie es dem Publikum vermitteln. Ich glaube, das ist das, was sie in allen ihren Filmen auch geschafft hat, dass wir den Figuren ganz nahe kommen, dass wir mit ihnen einen Weg gehen und auch sozusagen die Erlebnisse dieser Figuren mit teilen. Das gilt für "Rosa Luxemburg" genauso wie für den späten Film "Hannah Arendt", auch eine große Frauengestalt.

DOMRADIO.DE: Sie selbst sagt von sich, sie sei gläubige Atheistin. Was glauben Sie denn, hat Margarethe von Trotta an Hildegard von Bingen fasziniert? Von der handelt auch einer ihrer Filme.

Ostermann: Da ist es ganz interessant, dass dieses Projekt, die Lebensgeschichte von Hildegard von Bingen zu verfilmen, schon länger bei ihr herumgespukt hat und eigentlich aus der Frauenbewegung, aus der Emanzipationsbewegung schon in den späten 70ern frühen 80ern hervorgegangen ist. Hildegard von Bingen ist da ja ganz neu entdeckt worden, als starke Frau, die sich durchaus mit den Mächtigen gemessen hat und eine ganz entscheidende Rolle in europäischen Konstellationen gespielt hat und dann zum Vorbild wurde.

Man fragte sich eben in dieser Emanzipationsbewegung, wo eigentlich die Frauen in der Vergangenheit gewesen sind, weil so wenig in den Quellen über sie zu lesen war. Dann ist aber erst deutlich später das Filmprojekt ermöglicht worden. Ich glaube, sie brauchte dazu auch ein gewisses Renommee und Bekanntheit.

Ich weiß nicht, ob sich sonst für Hildegard von Bingen immer das ganz große Publikum findet. Aber wenn Margarethe von Trotta das mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle verfilmt, dann hatte das noch mal eine andere Bedeutung und hatte natürlich dann auch mit bestimmten Jubiläen, die mit Hildegard von Bingen verbunden waren, zu tun. Ich glaube, diese Frau, die stark ist, die ihren Weg geht, die auch früh schon aus unserem heutigen Verständnis auf ihre Weise Emanzipation gelebt hat, hat sie sehr fasziniert.

DOMRADIO.DE: Sie bezeichnet sich als gläubige Atheistin. Vertritt sie mit Ihrer Erzählweise nicht auch ein zutiefst christliches Menschenbild?

Ostermann: Das widerspricht sich ja überhaupt nicht. Mich als Filmkenner haben Filme, die von Agnostikern oder Atheisten stammen, spirituell am meisten angeregt. Ich denke da zum Beispiel auch an Filme wie "Von Menschen und Göttern". Auch da ist der Regisseur Agnostiker gewesen und es ist ein zutiefst spiritueller Film.

Das ist jetzt von Margarethe von Trotta nicht unbedingt zu behaupten, dass sie zutiefst spirituelle Filme gedreht hat. Aber sie liebt ihre Figuren und lässt die Menschen eintauchen. Wenn man an diesen Überzeugungen teilhaben kann, die natürlich auch etwas, wie bei "Rosa Luxemburg", mit persönlicher Spiritualität zu tun haben, können eben solche Impulse gesetzt werden. Das ist das Entscheidende, glaube ich.

DOMRADIO.DE: Sie war die erste Regisseurin, die 1981 in Venedig einen Goldenen Löwen gewonnen hat. Nur vier Regisseurinnen haben das bisher nach ihr geschafft. Wie groß würden Sie denn den Einfluss von Margarethe von Trotta einschätzen? Ich denke auch an diese nachfolgenden Regisseurinnen, die jetzt auf ihr Werk schauen.

Ostermann: Zum einen ist es so, dass es für sie damals ganz schwierig war, weil sie auch gar keine Vorbilder hatte. Sie selbst ist jetzt so ein Vorbild. Junge Filmemacherinnen heute, wie zum Beispiel Doris Dörrie oder ähnliche, können sich an solchen Vorbildern orientieren. Man kann sich natürlich auch dagegen absetzen. Ich glaube, auch wenn sie das selber von sich nicht unbedingt in Anspruch nehmen würde, dass sie ein sehr großes Vorbild ist, auch im Hinblick darauf, dass sie ihren eigenen Weg geht.

Margarethe von Trotta mit dem Deutschen Filmpreis / © Jens Kalaene/dpa-Zentralbild (dpa)
Margarethe von Trotta mit dem Deutschen Filmpreis / © Jens Kalaene/dpa-Zentralbild ( dpa )

Sie hat am Anfang lernen müssen, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, mit seinen Werken auch anerkannt zu werden. Bei dem Film "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" wurde sie zum Beispiel aus wirtschaftlichen Gründen nicht als Co-Regisseurin genannt, sondern nur Volker Schlöndorff. Insofern ist sie ein Vorbild und hat durch ihr Werk klare Schwerpunkte gesetzt und auch eine bleibende Bedeutung erhalten.

DOMRADIO.DE: Was bedeutete der Goldene Löwe für sie selbst?

Ostermann: Ich glaube, das war der Türöffner schlechthin. Dadurch wurde gezeigt, dass sie völlig unabhängig von irgendwelchen Produktionsfirmen für ihr künstlerisches Schaffen ausgezeichnet werden kann. Das darf man nicht unterschätzen, dass sowas auch immer ein Stück weit eine Eintrittskarte ist. Man muss natürlich dann weiter auf hohem Niveau sein Können beweisen, dass es nicht zur Eintagsfliege wird. Aber erst mal ist es eine Eintrittskarte.

Man wird einfach mehr angehört, man wird mehr eingeladen. Das war für sie damals tatsächlich der Beginn, dass sie auch frei weiterarbeiten konnte, ihre Stoffe vielleicht nicht immer völlig selbstständig, aber doch zunehmend selbstständig aussuchen konnte.

DOMRADIO.DE: Margarethe von Trotta wird heute 80 und ist immer noch voller Schaffenskraft. Welchen Film von ihr würden Sie gerne noch sehen?

Ostermann: Es gibt viele Filme, die ich immer wieder gerne sehe. Ich habe "Die bleierne Zeit" jetzt zum Beispiel mal wieder rausgelegt. Ich würde mir den gerne mal wieder angucken, weil es einfach ein ganz spannender Film ist.

Sie zielen aber auf ihre Filme in der Zukunft ab. Ich würde sie einfach als Frauen-Regisseurin auch ernst nehmen und denken, es gibt so viele spannende Frauenfiguren. Ich denke zum Beispiel auch spirituell an so jemanden wie Madeleine Delbrêl, die auch einen völlig eigenen Weg gegangen ist und spirituelle und emanzipatorische Impulse gesetzt hat.

Das wäre zum Beispiel auch eine Figur, an der man deutlich filmisch was ausrichten könnte.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR