DOMRADIO.DE: Wie läuft das? Geht man nach den Debatten noch zusammen in die Kneipe oder will man den Kollegen lieber nicht ins Gesicht gucken?
Wolfgang Bosbach (CDU-Politiker und Rechtsanwalt): Ich bin nie derjenige gewesen, der nach Feierabend in Kneipen gegangen ist und am Tresen herumhing. Aber eine gute persönliche Beziehung über Parteigrenzen hinweg, schließt harte politische Debatten nicht aus. Man sollte bei allen Debatten, die man führt, aber oberhalb der Gürtellinie bleiben und mitteleuropäische Umgangsformen wahren. Das heißt: Hart in der Sache, aber im persönlichen Umgang bitte immer angenehm.
DOMRADIO.DE: Da gibt es wahrscheinlich auch Leute, die das anders sehen, oder?
Bosbach: Ja, es gibt sogar ein Hilfsmittel für den Parlamentspräsidenten: Da kann er nachschauen welche Wörter, Sätze, Begriffe ausgesprochen worden sind - eine Trennlinie ist zum Beispiel der sachliche Vorwurf von einem persönlichen Vorwurf. Es ist schon in der parlamentarischen Debatte für Sanktionen ein Unterschied, ob jemand sagt: "Das ist doch gelogen" oder ob jemand dazwischen ruft: "Sie sind ein Lügner". Ich persönlich würde beides nicht benutzen, weil es eine Debatte unnötig verschärft.
DOMRADIO.DE: Wie sind Sie denn damit umgegangen, wenn es Ihnen persönlich entgegenschlug?
Bosbach: Am besten ist immer noch ignorieren. Wenn man darauf eingeht, wird es nicht besser. Allerdings haben wir auch Spezialisten und Spezialistinnen im Bundestag wie zum Beispiel Renate Künast, die permanent dazwischen quatschen. Ich verstehe das nicht, weil ich tatsächlich zu denjenigen gehört habe, die gerne Kolleginnen und Kollegen zugehört haben - auch wenn sie von der anderen Feldpostnummer kamen.
DOMRADIO.DE: Da gehört bestimmt auch so ein bisschen Selbstdarstellung dazu, oder? So nach dem Motto: Jetzt haue ich mal so richtig auf den Tisch.
Bosbach: Es hat auch niemand etwas gegen einen wirklich humorvollen Zwischenruf, vor allem, wenn auch mal lustig pariert wird. Es gibt grandiose Zwiegespräche zwischen Gregor Gysi und Norbert Lammert. So etwas heitert ja auch eine parlamentarische Debatte auf. Aber wenn in einer Rede von zehn Minuten 20 bis 30 Zwischenrufe kommen, ist es nicht mehr lustig.
DOMRADIO.DE: Seit September 2017 sitzt die AfD im Bundestag. Was ist Ihre Beobachtung - hat sich das Klima verändert?
Bosbach: Zunächst muss man feststellen, dass das Klima nicht rauer geworden ist. Im Gegenteil, früher waren die Debatten schärfer als heute. Da gab es Herbert Wehner und Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt konnte auch austeilen, da soll kein falscher Eindruck entstehen. Aber durch den Einzug der AfD hat sich das Klima tatsächlich nicht entspannt, sondern eher weiter angespannt. Was allerdings auch daran liegt, dass die AfD auch davon profitiert, wenn in gleicher Härte zurückgeschlagen wird - beispielsweise wenn Martin Schulz oder Johannes Kahrs die AfD frontal angehen. Die glauben vielleicht, sie seien die Helden. Aber das ist ja genau das, worauf die AfD wartet.
DOMRADIO.DE: Das heißt, was wären bessere Umgangsformen?
Bosbach: So ein Motto "Suaviter in modo, fortiter in re" - hart in der Sache, moderat in der Art.
DOMRADIO.DE: Juckt es Sie eigentlich in den Fingern, wenn Sie die Debatten verfolgen?
Bosbach (lacht): Ja, tatsächlich! Die politisch-inhaltliche Debatte gerade mit der AfD - die hätte ich schon gerne geführt im Bundestag. Zum Beispiel in Fragen wie: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen konservativ und reaktionär, der Unterschied zwischen Nationalismus und einem gesunden Patriotismus? Diese Debatte hätte ich gerne geführt.
DOMRADIO.DE: Herr Bosbach, lassen Sie uns kurz persönlich werden: Es ist bekannt, dass Sie sich aus der Politik zurückgezogen haben, weil sie an Prostatakrebs leiden. Wie geht es Ihnen persönlich?
Bosbach: So lala. Ich nehme das nicht auf die leichte Schulter. Das heißt, ich nehme präzise meine Medikamente, ich lasse keinen Arzttermin sausen, ich bin an dieser Stelle kein Bruder Leichtfuß. Ansonsten lebe ich mein Leben weiter. Und ich bin wirklich froh, sagen zu können, dass ich erstens nicht mehr der Tagesordnung des Deutschen Bundestages unterworfen bin, den 22 Sitzungswochen in Berlin. Das ist gut. Und zweitens: Solange ich tun kann, was ich tun möchte, ist alles in Ordnung. Es gibt viele, denen geht es wesentlich schlechter als mir.
DOMRADIO.DE: Spielt denn auch der Glaube eine Rolle - Sie sind ja katholisch?
Bosbach: Ja und wie. Ich bin eine Art rheinischer Katholik: Hier unten so leben, dass man oben noch reinkommt. Es sind ambivalente Gefühle. Wenn man so eine Diagnose bekommt - "nach persönlicher Erfahrung, nach menschlichem Ermessen, ist mit Heilung nicht mehr zu rechnen; es geht jetzt nur noch um Lebensqualität und Lebensverlängerung" - dann hadert man mit dem lieben Gott. Das ist so. Dann fragt man sich: Womit hast du das verdient? Ich hatte ja schon mit der Herzerkrankung mein Päckchen zu tragen. Man sucht auch Trost und Kraft in Gott und im Glauben. Das ist das Zwiespältige. Es ist im Grunde beides zur gleichen Zeit.
DOMRADIO.DE: Machen Sie sich denn Gedanken darüber, was Sie da oben erwartet?
Bosbach: Ich bin gespannt, aber auch gleichzeitig entspannt. Ich gehöre zu denen, für die die christliche Botschaft eine wirklich frohe Botschaft ist - keine traurige, deprimierende. Ich glaube, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.
Information: Über das Thema Versöhnung mit dem Schicksal spricht Wolfgang Bosbach am 10. Februar um 14 Uhr beim "Impulstag Versöhnung" in der Gemeinde St. Elisabeth in Bochum-Gerthe.