DOMRADIO: Warum haben Sie sich aus theologischer Sicht mit dem Thema Digitalität auseinandergesetzt?
Prof. Joachim Valentin (Direktor der katholischen Akademie Rabanus Maurus und Professor für Christliche Religions- und Kulturtheorie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main): Wir tun das seit fünf Jahren in einer Arbeitsgruppe "Digitale“ Rhein-Main hier in Frankfurt mit diversen Experten innerkirchlich und außerkirchlich. Weil wir glauben, dass uns die Digitalisierung genauso als ein Megathema herausfordert wie der Klimawandel oder die Globalisierung. Theologie ist ja keineswegs eine Nischenwissenschaft, die sich nur auf Sexualmoral oder sowas bezieht, sondern sie hat eigentlich zu allem, zu Kunst, zur Ästhetik, zur Kommunikation etwas zu sagen. Und das tun wir in diesem Buch in vier verschiedenen Dimensionen.
DOMRADIO: Welche Probleme, welche Chancen tun sich auf, wenn man in einem digitalen Umfeld noch von der frohen Botschaft erzählen will?
Valentin: Zunächst einmal ist zu fragen, in welcher Form und in welchem Umfang Digitalisierung überhaupt gutzuheißen ist und was sie für Veränderungen für das Menschenbild und für das Gottesbild mit sich bringt. Darum geht es uns in dem Band. Es ist kein Ratgeber zur Verkündigung unter Bedingungen der Digitalisierung. Es gibt allerdings Artikel zur Kirche unter digitalen Bedingungen. Da stellt man fest, dass hierarchische Kommunikation auf TikTok oder Instagram schwierig ist, weil da Personen Personen begegnen und das überzeugt, was personal und ästhetisch überzeugt.
Aber es gibt auch Fragen zum Homeoffice, zur Smart City, zur Städtegestaltung und natürlich zur Frage: Was heißt denn eigentlich Mensch sein, wenn es eine KI gibt, die behauptet, alle menschlichen Eigenschaften technisch reproduzieren zu können?
DOMRADIO: Sie schreiben in Ihrem Buch, die Versprechen des Internets weisen überraschende Parallelen zu religiösen Heilzusagen auf. Wie meinen Sie das?
Valentin: Wir glauben mit guten Gründen, dass Gott und nur Gott allmächtig, allwissend und ewig ist. Und genau das sind Versprechen, die uns Vordenker wie Ray Kurzweil weltweit - wirksam bei Google zum Beispiel - als Versprechung der Digitalisierung neu vorgaukeln. Wir können unseren Hirinhalt hochladen und dann kann er auf der Festplatte ewig existieren.
Wir benutzen Google und Wikipedia und wissen alles oder auch nichts, weil wir uns ja daran gewöhnen, alles nachzusehen. Und allmächtig ist das Internet auch, zumindest in unserem kleinen Zusammenhang: Ich muss nur eine Taste klicken und dann ist das Amazon-Päckchen oder das sexuelle Angebot oder eine andere Leistung sofort da. Das heißt also, das Internet, die Digitalisierung hat parareligiöse Dimensionen, über die man reflektieren muss und die wir für problematisch halten.
DOMRADIO: Was macht denn diese digitale Zeit mit unserem Menschenbild? Was würden Sie sagen?
Valentin: Ich glaube, dass der Mensch nicht mehr das Maß aller Dinge ist, sondern - wenn wir die Gedanken von Ray Kurzweil zum Beispiel und anderer Vordenker des Silicon Valley ernst nehmen - technische Machbarkeit entscheidendes Maß wird und das menschliche Bewusstsein, das, was uns eigentlich ausmacht, nicht unsere Intelligenz, sondern dass wir wissen, wer da morgens aufwacht, ist maschinell nicht zu reproduzieren.
Das wird aber, wenn der Mensch künftig an dem gemessen wird, was eine Maschine leisten kann, immer stärker in den Hintergrund treten. Das heißt also, der Mensch als Mensch verschwindet als weniger leistungsfähige Wetware, wie das im Cyberpunk heißt, also als eine sterbliche, unvollkommene Masse, die hinter jedem Rechner an ihren Fähigkeiten zurücksteht.
DOMRADIO: Eine düstere Prognose, oder?
Valentin: Es ist die, die wir in Science-Fiction Filmen oft sehr intelligent umgesetzt sehen. Aber wir sind optimistisch, denn wir glauben, dass es schlicht nicht geht. Es sind Versprechungen, die nicht eingehalten werden können. Es ist eine neue Ideologie, die vor allem auch aus kapitalistischen, aus Konsuminteressen so agiert, wie sie agiert und die, so hoffen wir, so glauben wir, an verschiedenen Widerständen, vor allen Dingen an der technischen Nicht-Umsetzbarkeit scheitern wird.
Wenn Sie so wollen, ist das, was wir betreiben, eine Ideologiekritik. Das Buch hat sehr viele Facetten. Das sind ja mehr als 20 Beiträge. Aber das ist so ein entscheidender Punkt, dass hier die Theologie gar nicht schweigen sollte, sondern dass längst von Kirche und Theologie her ein profundes Zeugnis, eine Beurteilung dieser neueren Entwicklung gefordert und an der Zeit ist.
Das Interview führte Tobias Fricke