Glockenmusik als Kulturerbe nimmt die Kirchen in die Pflicht

Mehr Kreativität ist gefragt

Glockenguss und Glockenmusik gehören nun zum Immateriellen Kulturerbe. Um dies zu erhalten, ist bei den Verantwortlichen insbesondere in den Kirchen Kreativität statt Resignation und Bedenkenträgerei gefragt. Ein Kommentar.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Glockenstube von St. Hippolytus in Attendorn-Helden / © Jan Hendrik Stens (DR)
Glockenstube von St. Hippolytus in Attendorn-Helden / © Jan Hendrik Stens ( DR )

"Mein Ton ist gestimmt gleichwie dein Herz, bald klingt er freudig, bald voll Schmerz." – Diese Inschrift einer im Zweiten Weltkrieg zerstörten Glocke aus der Kölner Kirche St. Mauritius vermag mehr über den Glockenklang auszusagen als manche kluge Abhandlung. Glockenmusik vermag die Stimmung des empfindsamen Hörers zu verstärken. Glockengeläut von Kirchtürmen ist eine non-verbale Kommunikation, die ohne die Formulierung von Dogmen oder Moral auskommt und deren Botschaft weitgehend durch das subjektive Empfinden des Hörers interpretiert wird. Vielleicht ist das der Grund, weshalb auch Menschen, die mit Kirche und Religion sonst wenig am Hut haben, dennoch sehr gerne hinhören und auf diesen Klang nicht verzichten wollen.

Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach (DR)
Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Vor über zehn Jahren berichteten die Lübecker Nachrichten über einen Facebook-Post der damaligen Kultursenatorin der Hansestadt, in welchem sich diese über das feierliche Glockengeläut in der Lübecker Altstadt am frühen Sonntagmorgen beklagte. Eine Kirchenvertreterin äußerte sich daraufhin verwundert, dass sich ausgerechnet eine Kultursenatorin "an einem Teil unserer Kultur stört". Schließlich gehörten die Kirchen der Lübecker Altstadt zum Weltkulturerbe.

Herausforderung angesichts der Kirchenkrise

Nun ist aber der Klang der Glocken, der eben Glockenmusik ist, wie der Glockenguss und weitere damit verbundene Techniken durch die Kulturministerkonferenz der Länder und die Beauftragte der Bundesregierung in die nationale Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. "Das Läuten und Spielen von Glocken stiftet Gemeinschaftsgefühl und besitzt symbolische Bedeutung für religiöse und weltliche Anlässe", heißt es in der Begründung.

Doch wie sieht es bei den Hauptverantwortlichen der Glockenmusik, den Kirchen in Deutschland, aus? Angesichts der vielen Kirchenschließungen und Ausdünnung des Gottesdienstangebots stellt sich die Frage, wie das Immaterielle Kulturerbe auf Dauer Bestand haben soll. Hier ist Kreativität gefragt! Neben dem Läuten zu einem Gottesdienst, der im Kirchengebäude selbst stattfindet, gibt es viele weitere Möglichkeiten, durch Glockenzeichen gottesdienstliche Handlungen wie das Verkünden des Evangeliums, die Wandlung oder das Vaterunser anzuzeigen, den Sonntag und Hochfeste am Vorabend – gerne auch in ökumenischer Verbundenheit mit den Nachbarkirchen – einzuläuten und vieles mehr.

Bremser sitzen in den eigenen Reihen

Glocken werden gebeiert (KNA)

Doch sind die Bremser bei der Umsetzung solcher kreativen Überlegungen nicht immer die Anwohner, die sich über den "Lärm" beschweren. Nicht selten sind diese in den kirchlichen Reihen selbst zu finden: Geistliche, die sich im benachbarten Pfarrhaus durch Glockengeläut gestört fühlen, Haupt- und Ehrenamtliche, die am liebsten möglichst wenig läuten lassen, um bloß nirgendwo anzuecken. Selbst engagierte Kirchenmitglieder sprechen gerne in abfälliger Weise von der "Bimmelei". Reden Angehörige anderer Religionen auch so über ihre Riten und Bräuche?

Die Verantwortung liegt bei den Diözesen und Landeskirchen, Fachpersonal zur Verfügung zu stellen und in Kursen die mit dem Glockenläuten betrauten Personen richtig zu sensibilisieren. Hier liegt auch auf den übergeordneten Ebenen oftmals vieles brach, weil immer wieder Ignoranz und Desinteresse vorherrschen. Eine Stadt wie Köln zum Beispiel mit ihren knapp 1.000 Glocken, die nicht nur auf Kirchtürmen hängen, könnte viel mehr aus diesem Schatz machen, der an einigen Orten ein kümmerliches Dasein fristet und gehoben werden will.

Über die Kirchenräume hinaus

Glockenkonzert am Hildesheimer Dom / © Jan Hendrik Stens (DR)
Glockenkonzert am Hildesheimer Dom / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Es gibt aber auch viele positive Beispiele: Wer einmal freitags um 15 Uhr das Läuten zur Sterbestunde des Herrn in der Bonner Altstadt zwischen evangelischer Kreuz- und katholischer Münsterkirche erlebt hat, wird vom Klang des tontiefen Halbtonduetts ebenso beeindruckt sein wie diejenigen, die sich jährlich am Vorabend zu Mariä Himmelfahrt rund um den Hildesheimer Dom versammeln, um dem einstündigen Konzert der zwölf Domglocken zu lauschen und in Heavy Metal zu baden. Im Rheinland wird mancherorts noch die gemeinschaftsstiftende Tradition des Beierns gepflegt, bei der die Glocken mit ihren Klöppeln rhythmisch angeschlagen werden. 

Der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff hält angesichts der nicht endenden Kirchenkrise einen "Rückzug in geschlossene Kirchenräume mit selbstbewahrten Glaubensselbstverständlichkeiten" für fatal. Recht hat er! Wir können noch so schöne Gottesdienste feiern, Konzerte erleben oder Ausstellungen bewundern. Was aus den Kirchen heraus durch die Dörfer und Städte flutet, ist und bleibt der Glockenklang. Und der ist jetzt Kulturerbe. Geben wir also der Kreativität mehr Raum als der Resignation!

Der Autor: Jan Hendrik Stens ist Vorsitzender des Vereins (Link ist extern)Deutsches Glockenmuseum e.V. und arbeitet als Redakteur bei DOMRADIO.DE.

Quelle:
DR

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