Göring-Eckardt spürt Sicherheit durch ihren Glauben

"Ich bin froh über dieses Behütetsein"

Die evangelische Grünenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt macht gerade Haustürwahlkampf für ihre Partei in Thüringen, ohne Landtagswahl-Kandidatin zu sein. Aber sie engagiert sich für ihr Land. Einschüchtern lässt sie sich dabei nicht.

Autor/in:
Uta Vorbrodt
Katrin Göring-Eckardt / © Julia Steinbrecht (KNA)
Katrin Göring-Eckardt / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind in Thüringen geboren und Ihr Bundestagswahlkreis liegt auch da. Und dann haben Sie sich dort in den Landtagswahlkampf begeben. Das heißt also: Flyer verteilen, an Haustüren klingeln. Ist so etwas nicht eigentlich eher eine Aufgabe für die Parteimitglieder an der Basis? Zumal sie selbst nicht gewählt werden, weil sie ja im Bundestag sitzen? 

Katrin Göring-Eckardt (Bundestagsvizepräsidentin, Grünenpolitikerin, Mitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland): Es ist mein Land und meine Heimat und ich lebe hier und ich möchte gerne, dass dieses Land demokratisch stabil bleibt. Ich bin ja auch die Basis sozusagen und deswegen helfe ich, wo das irgendwie geht und bin mit vielen anderen Mitgliedern der Partei unterwegs. Übrigens nicht nur mit Thüringer Mitgliedern, sondern hier sind inzwischen Bündnisgrüne aus ganz Deutschland unterwegs und helfen mit, weil alle das Gefühl haben, es geht hier nicht nur um Thüringen. Sondern es geht darum, ob die Demokratie in unserem Land insgesamt stabil bleibt. 

DOMRADIO.DE: Und doch ist es in Thüringen schwierig. Die Grünen haben es da nicht leicht. Aktuelle Umfragen sagen, dass sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten. Wie begegnet man Ihnen da in diesem aktuellen Wahlkampf? 

Göring-Eckardt Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt natürlich Leute, die blöken und schimpfen. Und es gibt Leute, die sind unendlich freundlich, welche, die wollen mithelfen, welche, die sagen "Daumen gedrückt". 

Katrin Göring-Eckardt

"Lieber wäre mir das Kreuz."

Dann sage ich immer, lieber wäre mir noch das Kreuz. Und es gibt vor allen Dingen viele Menschen, die sich Sorgen darum machen, wie der Landtag künftig aussehen könnte und was das für die Demokratie bedeutet, wenn die AfD besonders stark ist. Dass es gefährlich ist, wenn sie sogar zum Beispiel - indem die Grünen rausfallen - eine Blockade-Mehrheit im Landtag bekämen. 

Das ist hochgefährlich. Das könnte das Rechtssystem in unserem Bundesland destabilisieren. Das will die AfD auch. Da muss man sich nichts vormachen. Wir haben in den nächsten Jahren etwa 400 Stellen von Richtern und Staatsanwälten neu zu besetzen. Und dafür braucht man den Richter-Wahlausschuss. Der muss mit zwei Dritteln im Landtag gewählt werden. Wenn die AfD dann nicht will, dann bedeutet das, vom Nachbarschaftsstreit bis zum Mord können Dinge nicht rechtzeitig bei Gericht verhandelt werden. Das heißt natürlich auch was für den Alltag, für die Sicherheit der Menschen hier im Land. 

DOMRADIO.DE: Das ist Ihnen alles so wichtig, dass Sie auch für den Wahlkampf an den Haustüren klingeln. Was haben Sie da so erlebt? 

Göring-Eckardt Also ganz oft Überraschung natürlich, wenn ich vor der Tür stehe. Meistens bin ich ja nur im Wohnzimmer, sozusagen in der Glotze. Wenn ich dann aber vor der Tür stehe, sind viele Leute überrascht. Die allermeisten haben totalen Respekt davor, dass man bis zu ihnen nach Hause kommt. Es gibt ganz selten welche, die rumschimpfen und es gibt welche, denen ist es irgendwie egal, die ignorieren das oder sind neutral. Es gibt eigentlich alles, aber es gibt vor allem sehr viele freundliche Begegnungen von Leuten, die sich wundern, dass ich selber komme. Dann sage ich: "Ja, weil es besonders wichtig ist". 

Gestern habe ich eine 90-jährige Frau getroffen, die mir in fünf Minuten ihr ganzes Leben und etwas über ihren Glauben erzählt hat. Das war auch sehr schön. Wenn man an der Tür klingelt, dann erwartet ja niemand, dass da jetzt eine Politikerin davorsteht mit einer Information zur Landtagswahl. Und deswegen ist es auch ein kleiner Überraschungseffekt. 

Katrin Göring-Eckardt

"Ich lasse mich nicht beirren."

DOMRADIO.DE: Man sagt ja so oft, dass die Stimmung im Land so aufgebracht ist, dass es keine Kompromissbereitschaft mehr gibt, dass die Politikerinnen und Politiker, auch Kommunalpolitiker, von Bürgern hart angegangen werden. Ist das was, was Ihnen auch begegnet? 

Göring-Eckardt Ja, das ist so, das passiert mir auch. Und das passiert natürlich immer dann, wenn man auch weiß, dass ich da bin oder dass ich da irgendwo hinkomme. Dann gibt es manchmal Proteste, manchmal jemanden, der rumbrüllt, manchmal jemanden, der Drohungen ausspricht. Im Netz passiert das sehr häufig. 

Und ich kann nur sagen, dass ich mich davon nicht beirren lasse und die meisten anderen auch nicht. 

DOMRADIO.DE: Können Sie sich erklären, warum so viele Menschen in Thüringen die AfD wählen, wo doch klar ist, dass sie unsere Demokratie massiv untergräbt? Bei allem Verständnis auch für Frust und Politikverdrossenheit. 

Göring-Eckardt Also zunächst mal mit wirklich herzlichen Grüßen nach Köln in diese schöne Stadt: Die Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer wählt eben nicht die AfD. Und die legen auch sehr viel Wert darauf, dass sie nicht nur als Land betrachtet werden, wo die AfD gewählt wird. Deswegen ist das meine erste Bitte, das wahrzunehmen, denn die haben es häufig ein bisschen schwerer als die Leute, die am Brandenburger Tor zu einer Demonstration für Demokratie gehen. Wenn man das hier macht, dann kann es sein, dass der Nachbar oder der Handwerker, der morgen ins Haus kommt, danebensteht und das gar nicht gut findet und es dann zu Angriffen kommt oder zu verbalen Auseinandersetzungen. 

Katrin Göring-Eckardt

"Die große Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringern wählt nicht die AfD."

Also noch mal die Bitte: Die große Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringern tut das nicht, die wählt nicht die AfD. 

Dann haben wir zweitens eine Struktur ohne Großstädte in Thüringen. Das ist in den meisten anderen Bundesländern, vor allen Dingen in den alten westdeutschen Bundesländern, natürlich anders. Es gibt einen Unterschied zwischen Stadt und Land. Den darf man nicht ignorieren. 

Und drittens weiß ich nicht, ob "leider" oder "zum Glück" ... aber es ist eben in den letzten über 30 Jahren so gewesen, dass viele Menschen Thüringen verlassen haben. Und zwar nicht, weil sie alles so schrecklich fanden, sondern weil sie sich nach der friedlichen Revolution auf den Weg gemacht haben, weil sie mobil waren, weil sie irgendwo Karriere gemacht haben oder sich verliebt haben oder was auch immer. Das sind häufig Menschen, denen die Demokratie sehr am Herzen liegt, die kreativ sind, die neue Ideen haben und die nicht im Traum auf die Idee kommen würden, die AfD zu wählen. Aber die fehlen uns hier und das darf man nicht unterschätzen. 

DOMRADIO.DE: Also das heißt, es sind nicht die gebürtigen Thüringerinnen und Thüringer, die die AfD wählen, sondern es sind die, die da geblieben sind. Ich meine, die Zahlen müssen ja irgendwo herkommen.

Göring-Eckardt Klar. Ich meine, wenn man sich anschaut, wie viele in Hessen und Bayern - da waren ja Landtagswahlen - die AfD gewählt haben, da kann man jetzt auch nicht sagen, da lehnt man sich mal zurück. Wenn man sich Europa anschaut und den Vormarsch rechter Parteien oder die Vereinigten Staaten, dann kann man jetzt nicht sagen, das ist irgendwie was ganz exorbitant Spezielles. Aber ja, es sind die, die dageblieben sind. Und wenn man sich die Funktionäre der AfD anschaut, dann weiß man auch, das sind jetzt oft gerade keine Thüringer. Herr Höcke ist es nicht, Herr Gauland ist es nicht. Frau Weidel ist das nicht. 

Aber trotzdem gibt es natürlich, da bin ich völlig einig mit Ihnen, zu viele, die diese Partei wählen. Und deswegen ist das Werben um die Stabilität der Demokratie so zentral. Da geht es auch darum, manchen ein bisschen hinterm Ofen vorzulocken, der vielleicht enttäuscht ist von irgendwas, was hier in der Landesregierung passiert ist oder was in der Bundesregierung passiert ist und der sich jetzt fragt: Will ich jetzt eigentlich meine demokratische Partei wählen? 

Da kann man nur sagen: Ja schon, denn hier geht es um mehr als um eine kleine Enttäuschung von einem Gesetz, wo man nicht ganz zufrieden gewesen ist. 

Katrin Göring-Eckardt

"Angst habe ich nicht, ein ungutes Gefühl manchmal ja."

DOMRADIO.DE: Jetzt ist das bei Ihnen so, dass Sie regelmäßig auch Drohungen und Hassbotschaften bekommen. Haben Sie da manchmal Angst oder zumindest ein ungutes Gefühl, wenn Sie sich jetzt in diesen Straßenwahlkampf auch in Menschenmengen begeben? 

Göring-Eckardt Angst nicht, ein ungutes Gefühl manchmal ja. Aber eigentlich geht es letztlich immer vor allem um die Leute in meinem Umfeld. Wird meine Familie mit bedroht, was bedeutet das? Das ist eher das Thema, was mich umtreibt. Und ansonsten würde ich mich davon jetzt aber nicht einschüchtern lassen. 

DOMRADIO.DE: Ist es für Christinnen und Christen ein bisschen leichter, so was auszuhalten? 

Göring-Eckardt Na ja, ich habe ja schon mal eine Revolution erlebt, da war es wirklich gefährlich. Da stand ich auf Internierungslisten und es war eine ganz andere Frage, wie man da wieder rauskommt. Es war eine Diktatur, gegen die ich mich mit vielen, vielen anderen aufgelehnt habe. Damals war mir klar, weder Erich Honecker und auch nicht mein Vater sagen mir, was ist. 

Aber es gibt jemanden, der eigentlich verantwortlich ist. Und es gibt auch einen Schutz und einen Schirm, der über das hinausgeht, was mir das normale Gefühl von Sicherheit geben kann. Und ich bin sehr, sehr froh darüber, dass ich dieses Behütetsein, dieses Sichersein in meinem Glauben finden kann. 

DOMRADIO.DE: Wenn Sie zu so einem Termin gehen, um mit Menschen zu sprechen und Menschen zu überzeugen, haben Sie dann auch schon mal vorher so ein Stoßgebet, was Sie losschicken?

Göring-Eckardt Nein. Ich bete morgens und abends und lese die Tageslosung. Aber nein, das tue ich nicht. Ich weiß, dass es ein paar Menschen gibt, die für mich beten. Das ist gut. Und damit bin ich dann auch safe. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt. 

Quelle:
DR