Im Zeichen der Ökumene ist anlässlich des 500. Reformationsjubiläums am Dienstagvormittag in der Wittenberger Stadtkirche ein Gottesdienst gefeiert worden. Die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, und der Bischof des Bistums Magdeburg, Gerhard Feige, hoben in einer Dialogpredigt die Verbundenheit der Konfessionen hervor, die im Jubiläumsjahr gestärkt worden sei. Feige ist seit 2012 Vorsitzender der Ökumene-Kommission der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
Er sagte, in der Aufarbeitung der Geschichte, der Reinigung des Gedächtnisses und der Heilung der Erinnerungen sei man "ein entscheidendes Stück vorangekommen". Bischof Feige unterstrich: "Nach schmerzhaften Auseinandersetzungen und hoffnungsvollen Versöhnungsbemühungen wissen wir inzwischen, was wir einander angetan haben und was wir aneinander haben." Junkermann betonte, sie sei dankbar, dass das Vertrauen zwischen den Kirchen gewachsen sei: "Unsere Verschiedenheit hat nicht nur schmerzvolle Seiten. Unsere unterschiedlichen Traditionen bereichern auch."
Ökumenischer Aufruf zu Einsatz für Gerechtigkeit
Zugleich riefen die Vertreter der beiden Kirchen dazu auf, sich als Christen für Gerechtigkeit einzusetzen. Es wird laut Feige zunehmend schwerer, christliche Überzeugungen zu Gehör zu bringen. Soziale und mentale Gegensätze würden wachsen und neue Mauern in zahlreichen Köpfen entstünden. Die aktuelle Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen mache auf erschreckende Weise deutlich, "wie sehr ein respektvolles Miteinander und damit auch unsere demokratischen Grundlagen gefährdet" seien, sagte Feige: "Hierzu können wir als Christen unmöglich schweigen."
Zugleich wurde mit dem Festgottesdienst die Enthüllung der neuen Glasfenster für die Stadtkirche St. Marien gefeiert. Die Fenster wurden im Auftrag der evangelischen Stadtkirchengemeinde von der Künstlerin Christine Triebsch gestaltet. Neben dem Gottesdienst in der Stadtkirche fanden am Vormittag auch in der Schlosskirche sowie im Hof der Leucorea Gottesdienste zum Reformationstag statt. Für den Nachmittag waren ein Festgottesdienst und ein staatlicher Festakt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Rednerin geplant. Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-StrohmBedford-Strohm, ist als oberster Repräsentant der deutschen Protestanten beim zentralen Festgottesdienst dabei, er hält die Predigt.
Landesbischof Bedford-Strohm: Der entscheidende Vitaminstoß
Der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm hat die Kirche am Vormittag aufgerufen, mit dem Beschwören von Krisenszenarien aufzuhören. In seiner Predigt im zentralen Gottesdienst der bayerischen Landeskirche zum Reformationsfest in Nürnberg sagte Bedford-Strohm laut Redemanuskript: "Es ist viel mehr Kraft in der Kirche, als wir meinen." Er forderte zum 500. Jubiläum der Reformation eine Erneuerung. "Macht euch frei von der Fixierung auf das Frühere", sagte er in der Feier.
Der Impuls zur Erneuerung komme aber nicht durch Diskussion, Planen und Organisieren, sagte Bedford-Strohm, sondern durch "Hören, Kraft schöpfen und dann Leben und Hoffen". Das sei der "entscheidende Vitaminstoß", den die Kirche heute brauche, sagte der EKD-Ratsvorsitzende.
Gottesdienst der evangelischen Kirchen in NRW in Soest
Die westfälische Präses Annette Kurschus hat zum 500. Reformationsjubiläum zu Toleranz und Mitmenschlichkeit aufgerufen. Die vorherige Generation in Deutschland habe erlebt, wie leicht man berauscht werden könne an der Unfreiheit, sagte Kurschus am Dienstag in Soest in einem Festgottesdienst der evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen. Heute gebe es wieder "Stimmen, die wissen immer schon ganz genau, wer in der Gesellschaft dazugehört und wer nicht", mahnte Kurschus. Diese wollten "mit Masse und Lautstärke entscheiden, wer ganz in Freiheit leben darf und wer nicht".
Die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen hob als positives Gegenbeispiel eine Initiative von Gastwirten in Regensburg hervor, die sich nach einem Überfall von Neonazis auf ein Café gegen Rassismus einsetzen. Diese Aktion sei mit dem Preis "Das unerschrockene Wort" des Bunds der Lutherstädte ausgezeichnet worden.
Präses Kurschus: Gottes Gnade lässt sich nicht verdienen
Der Reformator Martin Luther habe aus der Bibel die befreiende Erkenntnis gewonnen, dass sich die Gnade Gottes nicht verdienen lasse, erläuterte Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Freiheit werde einem Menschen von Gott geschenkt. "Ich bin von Gott geachtet und gewürdigt - mit allen meinen Unzulänglichkeiten und Abgründen." Die von Gott geschenkte Freiheit komme jedoch erst dann zur Erfüllung, wenn sie auch die Mitmenschen frei mache, unterstrich Kurschus in dem Gottesdienst.
Der gemeinsame Festgottesdienst in Soest bildete den Höhepunkt der Feierlichkeiten der rheinischen, westfälischen und der lippischen Landeskirche zum 500. Reformationsjubiläum. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sollte darin aus der Bibel lesen. Zu den weiteren Mitwirkenden zählten unter anderem der rheinische Vizepräses Christoph Pistorius und Susanne Schüring-Pook von der Lippischen Landeskirche.
Käßmann: Die eigene Wahrheit bekennen
Die Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann, hat dazu aufgerufen, sich stärker und offen zum Glauben zu bekennen. In Deutschland, wo jeder Mensch in Fragen des Glaubens frei ist, sei ein Bekenntnis zum christlichen Glauben heute keine Heldentat, sagte Käßmann am Dienstagvormittag in einem Gottesdienst in der Wittenberger Schlosskirche, an deren Tür der Überlieferung nach Martin Luther (1483-1546) am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit angeschlagen hat. Käßmann ergänzte: "Umso mehr sollten wir uns ermutigt fühlen, damit nicht hinter dem Berg zu halten, so sehr andere uns auch belächeln oder gar beleidigen mögen dafür."
Das diesjährige 500. Reformationsjubiläum, das mit Christen aus Tansania, Brasilien, Korea, den Philippinen, Mexiko, den USA und aus ganz Europa gefeiert worden sei, habe einen ganz anderen Akzent gesetzt als die deutsch-national geprägten Jubiläen von 1817 oder 1917, resümierte Käßmann laut Redetext. In einer Zeit, in der rückwärtsgewandte Nationalisten neue Grenzen setzen wollten, sei dies "ein ganz besonderes, ein sehr klares Signal". Dies knüpfe an das Erbe der evangelischen Kirchen in der DDR an, "die sich für Offenheit, Meinungsfreiheit und Gewaltfreiheit stark gemacht haben," sagte Käßmann.
Sie fügte hinzu: "Es geht in einer säkularen und zunehmend multireligiösen Gesellschaft darum, die eigene Wahrheit zu bekennen, ohne anderen abzuerkennen, dass sie ihre Wahrheit gefunden haben." Wittenberg im Reformationssommer 2017, "das war ein ökumenisches, internationales Fest der Beteiligung, des interessierten Gesprächs und des respektvollen Umgangs miteinander".
500 Jahre Thesenanschlag
Am Reformationstag erinnern Protestanten in aller Welt an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren. Martin Luther (1483-1546) hatte im Jahr 1517 seine 95 Thesen gegen die Missstände in der Kirche seiner Zeit veröffentlicht. Der Thesenanschlag gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte. Aus Anlass des Jubiläums ist der Reformationstag in diesem Jahr einmalig bundesweit ein gesetzlicher Feiertag.