Am gestrigen Abend sind es plötzlich fast 20.000 Menschen, die sich auf einem Platz im Norden von Kolumbiens Hauptstadt Bogota eingefunden haben. Die meisten sind zwischen 15 und 30 Jahre alt. Es ist die kolumbianische Jugend, die in diesen Tagen im Land das Bild der Proteste prägt. Ihre Forderungen sind eindeutig: "Respektiert das Friedensabkommen" steht auf einem Plakat, andere fordern den Schutz der Menschenrechtler und sozialen Aktivisten sowie der indigenen Bevölkerung, die seit Jahren einer unheimlichen Mordserie ausgesetzt ist.
Appelle zum Frieden
"Wir fordern einen Frieden ohne Blut", sagen die kolumbianischen Schwestern Diana und Laura Podilo, die am Wochenende ebenfalls auf die Straße gingen. Mit ihnen fanden sich rund 20.000 Menschen im "Parque de los Hippies" im Universitätsviertel Chapinero ein. Als Zeichen ihrer Forderung haben sie eine Kerze angezündet und hinter einer kolumbianischen Fahne aufgestellt, auf der ihre Friedensbotschaft zu lesen ist. Von diesen Appellen zum Frieden gibt es derzeit Zehntausende im ganzen Land. Bogota ist derzeit der Motor der Proteste, die seit dem Generalstreik am 21. November das ganze Land erfasst hat. Auch vor dem Wohnhaus des Präsidenten im Norden versammelten sich mehrere tausend Menschen, um friedlich und kreativ einen Politikwechsel zu fordern.
Kritik an gewaltsamen Polizeieinsätzen
Seit ein junger Student von einer Tränengasgranate der Polizei in den Kopf getroffen wurde und mit dem Tod kämpft, haben sich auch zahlreiche Prominente mit den Jugendlichen solidarisiert. Der Sänger Juanes, Grammy-Gewinner von 2019, schickte eine Botschaft an die Familie des jungen Mannes. Auch der Gewerkschaftsverband CUT kritisierte das brutale Einschreiten der Polizei. Im Visier der Kritiker ist besonders die Spezialeinheit Esmad, die für die Niederschlagung von Aufständen zuständig ist. Nicht wenige Studenten verlangen eine Auflösung dieser Einheit und eine Neustrukturierung der Sicherheitskräfte.
Die Demonstranten fordern eine gerechtere Sozialpolitik, eine entschlossenere Umsetzung des Friedensprozesses mit der ehemaligen Guerilla-Organisation FARC sowie eine nachhaltige Umweltpolitik. Unter anderem richtet sich der Protest gegen die umstrittene Öl- und Gas-Fördermethode Fracking sowie gegen eine Landwirtschaft ohne Tierschutz. Nach teilweise gewalttätigen Ausschreitungen am 21. und 22. November blieb es am vergangenen Wochenende in Bogota ruhig. Stattdessen gab es zahlreiche spontane Protestaktionen wie ein Freiluft-Konzert im Norden Bogotas.
Präsident setzt auf Gespräche
Kolumbiens Präsident Ivan Duque hat alle Sektoren der Gesellschaft zu einem nationalen Dialog eingeladen, zu dem er am 24. November zunächst die Bürgermeister der größten kolumbianischen Städte empfing. In dieser Woche soll es zu Gesprächen mit den Organisationen des Generalstreiks kommen. Vom Ausgang dieser Gespräche wird abhängen, ob die Protestbewegung weiter Zulauf erhält.
Der frühere Rektor der Nationalen Universität, Moises Wassermann, sieht Kolumbien in einer brisanten Phase und rät dem Rechtsaußen Duque, mit seiner Politik eine Tür für die liberale Mitte zu öffnen. Der kolumbianische Politikwissenschaftler Ariel Avila nennt die aktuelle Entwicklung das "Erwachen einer sozialen Bewegung" in Kolumbien.
Kirche fordert sozialen Dialog
Die katholische Kirche hat alle beteiligten Parteien zur Gesprächsbereitschaft aufgerufen: Die friedlichen Demonstrationen seien ein demokratisches Grundrecht. Ein sozialer Dialog, an dem alle mit Begeisterung teilnehmen, könnte die Frucht dieser Entwicklung sein, sagte der Generalsekretär der kolumbianischen Bischofskonferenz, Weihbischof Elkin Alvarez aus Medellin, dem Radiosender Blue-Radio.