DOMRADIO.DE: "Noch nie gab es so viele Sklaven wie heute". Das war mal eine Schlagzeile in der Zeitung "Die Welt". Stimmt das? Würden Sie dem zustimmen?
Jörg Nowak (Internationales katholisches Hilfswerk missio): Ja. Das Schlimme ist, das stimmt wirklich. Wenn wir heute an den "Internationalen Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung" denken, dann ist eigentlich genau das Gegenteil der Fall.
Das klassische Bild vom Sklavenhandel, bei dem Menschen an Eisenkugeln gekettet sind und Tausende oder Hunderttausende Familien von Ghana nach Amerika verschifft werden existiert nicht mehr. Das hat sich gewandelt.
Aber die sogenannte moderne Sklaverei ist unsichtbarer geworden. Die berührt uns aber in ganz, ganz vielen Lebensbereichen.
DOMRADIO.DE: Wo und wie finden denn moderne Sklaverei und damit verbunden auch Menschenhandel heute noch statt?
Nowak: Wenn wir selber mal anschauen, wie wir einkaufen und konsumieren und wie sehr die westliche Welt mit dem Handel und auch vielfach mit dem unfairen Handel zum Beispiel mit Afrika verbunden ist und verstrickt ist, dann müssen wir feststellen, dass uns Afrika zu einem großen Teil ernährt. Da kommt unser Tee her, der Kaffee, Bananen, Vanille und vieles andere. Die Kleidung wird häufig in Asien produziert. Wir kennen die schrecklichen Bilder von der brennenden Textilfabrik in Bangladesch. Die Mineralien für unsere elektronischen Geräte kommen aus Afrika. Das Gold kommt von diesem Kontinent.
Wir als Konsumentinnen und Konsumenten müssen uns einfach bewusst sein, dass sich überall, wo nicht "fair trade" draufsteht, die Gefahr von Ausbeutung und Ungerechtigkeit verbirgt, auch von Umweltzerstörung und letztendlich moderner Sklaverei.
DOMRADIO.DE: In welchen Ländern läuft denn besonders viel schief, wenn es um moderne Sklaverei und um Menschenhandel geht?
Nowak: Da gibt es ganz, ganz viele Länder. Ein fatales Beispiel ist der Teufelskreis zwischen der Demokratischen Republik Kongo, Deutschland und Ghana. Aus der Bürgerkriegsregion des Kongos stammen viele der sogenannten Konfliktmineralien oder Blutmineralien, wo Rebellen genau jene Gebiete erobern, wo wertvolle Mineralien zu finden sind.
Die Männer und Frauen werden dort entführt und müssen in diesen Minen wie Sklaven schuften. Dann werden diese wertvollen Mineralien exportiert, meistens nicht direkt in den Westen, sondern über Umwege und über China. Dann landen sie letztendlich in unseren elektronischen Geräten und Smartphones.
Wenn diese Geräte nach zwei, drei Jahren oftmals aussortiert werden, dann produziert der Westen so viel Elektroschrott, dass wir gar nicht mehr wissen, wohin damit. Dann gibt es illegale Transporte von Elektroschrott nach Ghana. Und auf diesen Elektroschrott-Halden kämpfen die Menschen dadurch ums Überleben, dass sie aus dem Schrott des Westens noch versuchen die letzten wertvollen Sachen herauszuholen.
Diesen Teufelskreis muss man durchbrechen.
DOMRADIO.DE: Wie versucht denn das Hilfswerk missio, den Opfern von moderner Sklaverei zu helfen?
Nowak: Wir haben im Rahmen der Aktion Schutzengel die Kampagne "Eine Welt, keine Sklaverei" gestartet. Wir haben mit einer Konferenz begonnen, haben Projektpartner und Projektpartnerinnen aus ganz vielen Ländern zu einem Austausch eingeladen und haben verschiedene Ansatzpunkte. Das Lieferkettengesetz ist, glaube ich, ein wichtiger Ansatz. Der faire Handel ist ein wichtiger Ansatz und überhaupt darauf aufmerksam zu machen, wie denn diese moderne Sklaverei funktioniert.
Da hat einer unserer Projektpartner eine ganz wichtige Botschaft. Das ist ein katholischer Priester von den Philippinen, der gegen Sextourismus und Kinderprostitution kämpft und sagt: Die Familien sind dort bitterarm. Sie leben vom Obstanbau, zum Beispiel von den Mangos, und bekommen nur unfaire Löhne. Deshalb ist die Gefahr groß, dass sie in einer nächstgrößeren Stadt nach einem Job suchen. Dann landen oft die Mädchen und die Frauen in irgendwelchen Bars, hoffen, dass sie eigentlich dort als Kellnerin arbeiten können, werden dann aber zur Prostitution gezwungen.
Dieser Projektpartner exportiert seit vielen Jahren sogenannte faire Mangos nach Deutschland, die auch in den "Eine-Welt-Läden" erhältlich sind. Da sieht man nochmal deutlich die Zusammenhänge: Unser Konsumverhalten hat etwas mit dem Wohl und Wehe der Familien dort vor Ort zu tun.
Wir unterstützen Hilfsprojekte in vielen Ländern, in denen Projektpartner sagen, dass sie Unterstützung brauchen, um die Menschen auf die Gefahren des unfairen Handel aufmerksam zu machen. Wir müssen uns um traumatisierte Opfer im Kongo kümmern, die wie Sklaven behandelt werden. Wir machen solche Konferenzen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Und wir versuchen auch noch mal deutlich zu machen, dass es moderne Sklaverei auch hier in Deutschland gibt.
Auf unserer Konferenz hat der ehemalige Kriminalhauptkommissar Manfred Paulus gesprochen. Er hat darüber berichtet, dass wir letztendlich über Sexsklavinnen und -sklaven hier in Deutschland sprechen, wenn wir uns das Rotlichtmilieu anschauen. Diese ganzen Klischees, die Frauen würden das alles freiwillig machen, sind falsch. Das wird meistens von Frauen vorgetragen, die im Fernsehen sprechen und sagen, wie gut denn eigentlich das Image ist. Aber dieser Kriminalhauptkommissar sagt, dass das, was hier in Deutschland zum großen Teil passiert, ist Menschenhandel vor unserer Haustür und in unseren Großstädten.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus verurteilt ja auch die moderne Sklaverei. Man muss jetzt aber ehrlicherweise auch dazu sagen: In der Kirche war das ja nicht immer so. Es gab Zeiten, da haben Kirchenvertreter Sklaverei sogar legitimiert und auch unterstützt. Ist heute vielleicht auch ein Tag, sich selbstkritisch mit Kirchengeschichte und auch Missionsgeschichte auseinanderzusetzen?
Jörg Nowak: Ich sage mal so: Der, der ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Es gibt in der Kirchengeschichte Verfehlungen. Und ich glaube, das ist gerade nochmal ein Grund für uns zu sagen, umso mehr müssen wir da jetzt aktiv sein und was dazu machen. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Antriebskraft.
Es gibt natürlich einige Leute, die sagen, dass die katholische Kirche aufgrund ihrer eigenen Geschichte auch mal ganz ruhig sein sollte. Wir blicken selbstkritisch zurück in die eigene Geschichte und gleichzeitig ist die Konsequenz daraus, jetzt umso mehr dagegen zu machen.
Ich stelle einfach fest, dass es wichtig ist, den Projektpartnerinnen und Projektpartner, die vor Ort die Situation kennen und die uns erzählen, wie die Bedingungen vor Ort sind und wie sie mit der westlichen Lebensweise zusammenhängen, zuzuhören und die Konsequenzen zu ziehen. Das kann jeder von uns beim täglichen Einkauf machen oder bei der Unterstützung von Hilfsprojekten. Da haben wir selber ganz viele Einflussmöglichkeiten.
Das Interview führte Julia Reck.