DOMRADIO.DE: Warum wurde die Arbeitsgemeinschaft 2014 gegründet? Es gibt doch schon viele Aktivitäten der katholischen Kirche gegen Menschenhandel?
Martina Liebsch (Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft gegen Menschenhandel der Deutschen Bischofskonferenz): Es gibt sehr vielfältige Aktivitäten der katholischen Kirche. Das ist richtig, wenn man das auch weltweit betrachtet. Aber es gab bis dahin keinen – sagen wir mal – "Ort", wo die katholischen Organisationen zusammenkamen. Das Ganze nahm dann seinen Anfang, inspiriert durch eine internationale Konferenz.
Die Deutsche Bischofskonferenz arbeitet zusammen mit der Santa Marta Gruppe. Die Santa Marta Gruppe ist eine Allianz von führenden Persönlichkeiten aus Kirche und Polizei und hat sich auch zum Ziel gesetzt, Menschenhandel zu bekämpfen und vor allen Dingen das Thema immer wieder auf die politische Agenda zu bringen.
Weihbischof Puff und der den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe Menschenhandel hat, hat dann angeregt, doch da eine Arbeitsgruppe zu bilden. In dieser Arbeitsgruppe findet man natürlich die Deutsche Bischofskonferenz, das Fraueninformationszentrum, Justitia et Pax, die Malteser, missio, Renovabis und weitere – also alles Organisationen, die sich auch mit diesem Thema beschäftigen.
DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt an Menschenhandel denken, dann denken ja viele in erster Linie an Prostitution. Aber wo werden Menschen denn noch Opfer von Menschenhändlern?
Liebsch: Das ist ein sehr wichtige Frage. Menschenhandel findet neben der sexuellen Ausbeutung auch im Bereich der Arbeitsausbeutung statt. Es ist auch Ausbeutung zum Zweck der Bettelei oder zum Vollzug von kriminellen Handlungen. Zwangsheirat ist auch ein Thema oder eben auch die Entnahme von Organen. Es ist ein wesentliches, leider vielfältigeres Phänomen als das, was man üblicherweise immer damit assoziiert.
Betroffen sind überwiegend Frauen und Mädchen, muss man dazu sagen. Und es werden eben weltweit enorme Gewinne damit erwirtschaftet. Man schätzt circa 40 Milliarden Euro und man schätzt auch weltweit, dass es 40 Millionen Opfer sind. Das ist ungefähr die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands.
DOMRADIO.DE: Es gibt seit diesem Jahr einen neuen Aktionsplan gegen Menschenhandel mit neun Handlungsempfehlungen. Eine davon ist die Überprüfung von Lieferketten. Wie können wir denn da überhaupt aktiv werden?
Liebsch: Genau, der Aktionsplan gegen Menschenhandel wurde von dieser europäischen Santa Marta Konferenz und der Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel entwickelt. Die Arbeitsgruppe, von der ich gerade geredet habe. Da haben viele Experten daran teilgenommen. Dieser Aktionsplan wurde dann verabschiedet im Februar bei einer Konferenz.
Wie können wir aktiv werden? Es ist wichtig und dieser Aufruf, sklavereifreie Lieferketten zu haben, ist ein Appell an Kirchen und andere Institutionen, aber auch an Privatpersonen, mal zu überlegen: Was konsumieren wir, wie wird es produziert und wo und von wem und unter welchen Umständen wird es produziert? Und ich denke, da kann man tätig werden.
Ein Beispiel: Es haben sich Caritas und Diakonie in Norddeutschland als Träger von Krankenhäusern zusammengetan und gesagt, wir wollen mal überprüfen – wir brauchen sehr viele Textilien in unseren Einrichtungen – wie werden die produziert. Und sie wollen sicherstellen, dass diese eben nicht unter ausbeuterischen Bedingungen produziert werden. So können wir eigentlich auch ganz individuell gucken. Angefangen von, sagen wir mal, Erdbeeren im Frühjahr, von denen man bedauerlicherweise weiß, dass sie auch in Spanien produziert werden und dass die Leute, die dort arbeiten unter sehr, sehr prekären Bedingungen arbeiten müssen.
DOMRADIO.DE: Das eine hat ja mit dem anderen was zu tun. Es geht ja auch um Finanzströme. Wie kann man die denn besser überwachen?
Liebsch: Genau. Wie ich bereits sagte, Menschenhandel floriert, weil sich damit immer noch leicht Gewinne erzielen lassen. Die "Ware Mensch" ist mehrfach verwendbar, wenn man so möchte. Wir haben gesagt – nicht nur wir, es gibt auch andere Initiativen – man müsste doch eigentlich mal hinter diese Finanzströme gucken. Dieses Geld landet ja irgendwo oder wird irgendwo weiß gewaschen, wenn man so möchte.
Banken zum Beispiel sind ein Akteur in diesem Geschäft, denn sie haben mit Geldströmen zu tun. Sie verwalten möglicherweise Geldströme oder sie investieren möglicherweise in Geschäfte, wo ausbeuterisch gearbeitet wird. Und es ist oft auch so, dass Opfer von Menschenhandel – und das vergrößert eigentlich ihre Vulnerabilität, ihre Verletzlichkeit – auch von zum Beispiel einem einfachen Bankkonto ausgeschlossen sind, was sie eben noch verletzlicher macht.
Und diese drei Punkte mal zusammenzubringen und mit Banken darüber zu reden und ihnen auch das Thema nahezubringen, das gehört dazu. Wir haben uns inspirieren lassen von einer Initiative, die heißt "Finance against slavery", also Finanzen gegen Sklaverei. Das ist die Initiative eines UN- Forschungszentrums, da geht es tatsächlich um die Mobilisierung und Sensibilisierung des Finanzsektors für dieses Thema, um zu gucken, wie können wir dagegen angehen.
Wenn ich das sage, heißt das nicht, dass es nicht bereits schon Aktivitäten gibt in diesem Bereich. Es gibt natürlich im Rahmen von Ermittlungen zu Fällen von Menschenhandel auch finanzielle Ermittlungen. Aber es ist leider immer noch zu wenig.
Das Interview führte Oliver Kelch.