Hilfswerke und Kirchen fordern humane Lösung für Familiennachzug

"Nicht auf dem Rücken der Schwächsten"

Hilfswerke und Kirchen haben den Kabinettsbeschluss zur Neuregelung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus kritisiert. Der Nachzug dürfe nicht zahlenmäßig beschränkt werden.

 (DR)

Die evangelische, römisch-katholische und orthodoxe Kirche in Deutschland fordern eine verantwortungsvolle Lösung beim Familiennachzug. Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, dürften "nicht dauerhaft von ihren engsten Angehörigen getrennt werden", erklärten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, Metropolit Augoustinos: "Die Aussetzung des Familiennachzugs für Bürgerkriegsflüchtlinge hat viele Betroffene in Verzweiflung gestürzt."

Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zum Familiennachzug

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch nach einem längeren Tauziehen zwischen Union und SPD einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Familiennachzugs beschlossen. Der Entwurf aus dem Hause von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) soll den Familiennachzug für sogenannte subsidiär Schutzberechtigte ab dem 1. August regeln.

Hilfswerke und die beiden großen Kirchen kritisieren die Neuregelung. Sie missachte den verfassungs- als auch völker- und europarechtlich verbürgten Schutz von Ehe und Familie. Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus dürfen seit März 2016 keine nahen Familienangehörigen mehr nach Deutschland nachholen.

Diese Regelung hatte die große Koalition zuletzt verlängert, allerdings nur bis Ende Juli. Der neue Gesetzentwurf sieht vor, dass ab August 1.000 Flüchtlinge pro Monat zu Familienangehörigen mit subsidiärem Schutz - zuletzt überwiegend Flüchtlinge aus Syrien - nachziehen dürfen. In der Anfangsphase - für fünf Monate - soll darüber hinaus ein nicht ausgeschöpftes Kontingent auf den Folgemonat übertragen werden können.

Rund 26.000 Anfragen von subsidiär Schutzberechtigten

Derzeit liegen bereits rund 26.000 Terminanfragen von subsidiär Schutzberechtigten an deutschen Auslandsvertretungen vor, um Visa-Anträge einzureichen. Das berichtete die "Rheinische Post" unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage. Seit 2013 habe das Auswärtige Amt weltweit knapp 390.000 Visa zum Familiennachzug erteilt.

Der Zeitung zufolge werden die meisten Nachzüge weiterhin bei Flüchtlingen mit besserer Bleibeperspektive genehmigt. Allein die Zahl der syrischen Familiennachzüge stieg demnach von 21.376 im Jahr 2015 auf 40.725 im vergangenen Jahr.

Der Deutsche Caritasverband zeigte sich beunruhigt: "Wir sind in Sorge, dass sich die Verfahren für die betroffenen Familien noch weiter verzögern und sich ihr Leid durch die inhumanen Familientrennungen noch verschlimmert", sagte Caritas-Präsident Peter Neher.

"Unions-, völkerrechts-und verfassungswidrig"

Die Politik dürfe nicht weitere Hindernisse für den Familiennachzug aufbauen: "Es muss sichergestellt werden, dass die Entscheidung, ob Geflüchtete ihre engsten Angehörigen nachholen können transparent und zügig verläuft." Neher begrüßte die Möglichkeit, das nicht ausgeschöpfte Kontingent auf den Folgemonat zu übertragen. Dies sollte dauerhaft möglich sein.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl nannte den Entwurf "unions-, völkerrechts-und verfassungswidrig" und forderte die Möglichkeit des Familiennachzugs für alle subsidiär Geschützten. Insbesondere in Syrien lasse die desaströse Lage keine Familieneinheit zu.

Auch das Kinderhilfswerk terre des hommes lehnte den Gesetzentwurf ab. "Der Gesetzentwurf verstößt gegen das Kindeswohl", sagte Vorstandssprecher Albert Recknagel. Minderjährige könnten zwar den Nachzug der Eltern beantragen, nicht aber der Geschwister. Eltern müssten sich entscheiden, bei welchem Kind sie lebten und welches Kind sie zurückließen.

Einfache Verfahren statt langwieriger Prozesse

Im Vorfeld zum Kabinettsbeschluss hatte das UN-Kinderhilfswerk Unicef am Dienstag in Köln erklärt: "Die Regulierung von Flucht und Migration darf nicht auf dem Rücken der schwächsten Kinder ausgetragen werden". Die Kirchen und das UNHCR werben für eine humane Lösung beim Familiennachzug.

Das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, empfiehlt der Bundesregierung die Umsetzung des Gesetzes nach einer klaren Reihenfolge: "Familien mit minderjährigen Kindern sollten zuerst berücksichtigt werden, und zwar nach Datum ihres Asylantrages." Anschließend sollten alle anderen Fälle abgearbeitet werden, auch hier in der Reihenfolge der Wartezeit seit Stellung des Asylantrags. "Die Kriterien müssen klar, einfach und transparent sein, um aufwendige Prüfungen durch die Verwaltung zu vermeiden", sagte Dominik Bartsch, Repräsentant des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in Deutschland, am Dienstag in Berlin.


Kardinal Marx / © Ottersbach (DR)
Kardinal Marx / © Ottersbach ( DR )

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bei der Herbsttagung der Landessynode der evangelischen Kirche / © Daniel Karmann (dpa)
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bei der Herbsttagung der Landessynode der evangelischen Kirche / © Daniel Karmann ( dpa )

Metropolit Augoustinos  / © Cornelis Gollhardt (KNA)
Metropolit Augoustinos / © Cornelis Gollhardt ( KNA )
Quelle:
epd
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