George Tamraz und Rama Daaboul, Koordinatoren der humanitären Projekte von Caritas Polen (Caritas Polska) in Syrien sprachen, wie die Katholischen Informationsagentur Polens (KAI) berichtete, unter anderem über die vulnerable Lage der Christen in dem vom Bürgerkrieg und dem Erdbeben im Februar geplagten Land.
Eine Wiege des Christentums in Gefahr
Dabei gilt Syrien als eine der Wiegen des Christentums, wo – trotz des vernichtenden Völkermords des Osmanischen Reichs an den syrischen Christen – noch heute vereinzelt aramäisch, die mutmaßliche Muttersprache Jesu gesprochen wird.
Aus dem Land stammten christliche Heilige wie Paulus von Tarsus, Hananias von Damaskus, der letzteren von seiner Blindheit befreite oder die oft als erste weibliche Märtyrerin bezeichnete Thekla von Ikonium.
Heute gibt es zwölf verschiedene christliche Konfessionen in Syrien. Eine Vielfalt, auf die Daaboul eigener Auskunft nach stolz ist.
Studie der Caritas Polen über Christen in Aleppo
Mit ihrem Kollegen informierte sie auch über die Aktion "Familie für Familie" (Rodzina Rodzinie), das laut der KAI das größte humanitäre Hilfsprogramm der polnischen Caritas ist und den Armen und Familien vor allem Syriens, aber auch anderer Länder ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen versucht.
Vergangenes Jahr gab Caritas Polen eine ausführliche Studie über die Lage der Christen in der besonders leidgeprüften Stadt Aleppo heraus, um mehr über die Leben der Christen in Syrien herauszufinden.
Als besonders verheerend bewerten Tamraz und Daaboul dabei, neben den wirtschaftlichen Konsequenzen, vor allem die demografischen Auswirkungen des Krieges. Viele Ältere würden allein leben, Haushalte oft nur aus einer oder zwei Personen bestehen.
Immer weniger junge syrische Christen
Der zunehmende Mangel an jungen Menschen treibe das Durchschnittsalter der Christen in Aleppo auf 47,6 Jahre hoch. Ausgesprochen schwierig gestalte sich die Lage der Frauen.
Etwa 42 Prozent der christlichen Haushalte würden, so Daaboul, ausschließlich von alleinstehenden Frauen geführt, deren Ehemänner, Väter oder Brüder getötet wurden oder an die Front gehen mussten. Unter den verbliebenen Männern ist die Arbeitslosigkeit infolge des wirtschaftlichen Niedergangs hoch.
Während ein Fünftel der Männer zwischen 25 und 65 Jahre keine Arbeit findet, wirft die Arbeit der verbliebenen vier Fünftel zu wenig Geld zum Überleben ab. Bei Frauen liegt die Arbeitslosigkeit sogar bei 60 Prozent.
Armut und medizinische Mangelversorgung
Die Armut, so Tamraz und Daaboul, zwinge die syrischen Christen zu radikalen Maßnahmen. Um Geld für den täglichen Lebensunterhalt zu bekommen, würden viele Schmuck, Möbel oder gar die eigene Wohnung verkaufen und zu Verwandten ziehen.
Besonders groß ist laut der Umfrage von Caritas Polen auch der Bedarf sowohl an einfacheren wie komplizierten medizinischen Behandlungen und Eingriffen. Medizinische Geräte wie Hörgeräte oder Blutdruckmessgeräte sind ebenfalls Mangelware.
Die Analyse der Caritas, erklärt Tamraz, zeige die Grundbedürfnisse der syrischen Christen genau genug auf, um vorauszusagen, bis zu welchem Jahr das Christentum aus Aleppo vollständig verschwunden sein wird.
Bis September 2059 keine Christen in Aleppo mehr
"Wenn sich nichts verändert und den Familien nicht geholfen wird, wird im September 2059 kein einziger Christ mehr in Aleppo leben."
Zurückzuführen sei der dramatische Bevölkerungsschwund der Christen in Aleppo laut der Analyse von Caritas Polen vor allem auf eine niedrige Geburtenrate in Verbindung mit einer hohen Auswanderungsrate. Als die christlichen Viertel Aleppos 2015 an der Frontlinie lagen, sei es zu einem großen Exodus gekommen.
Einer der schwierigsten Tage sei laut Tamraz der Ostersamstag gewesen, als sich die Menschen in den Kirchen versammelten und diese unter Beschuss gerieten. Da hätten viele Christen beschlossen, die Stadt zu verlassen.
Wenig Hilfe für Bevölkerung in Regime-Gebieten
Ähnliche Warnungen bezüglich der Gefährdung syrischer Christen sind seitens des Orient-Hilfswerks Œuvre d'Orient zu vernehmen.
Gegenüber dem Portal "Vatican News" kritisierte jüngst Vincent Gelot, Länderdirektor des Hilfswerks in Syrien, dass die UNO, der Westen und auch Frankreich der syrischen Bevölkerung in vom Regime kontrollierten Gebieten aus politischen Gründen nicht genug helfen würden.
Vier mal weniger Christen in Syrien als 2011
Nach Angaben von Œuvre d'Orient hätten in Syrien 2011, zu Beginn des Krieges, noch zwei Millionen Christen gelebt. Heute hingegen seien es nur noch 500.000 bis 600.000.
Aleppo habe vor dem Krieg 150.000 Christen gezählt. Heute wären es nur noch 25.000, von denen nur 4.000 zwischen 18 und 30 Jahren alt seien.
Gleichsam betont Gelot, dass die Unterstützung der christlichen Minderheit im Nahen Osten keine Frage der Religion sondern des Humanismus sei, weil die Gefahr bestehe, dass die dortigen Christen in den nächsten 40 Jahren aussterben – eine Prognose, die sich mit jener der polnischen Caritas deckt.