Er ist zum Mythos geworden. Die Ikone Stauffenberg dient als Beweis, dass es auch während der dunklen Zeit der NS-Herrschaft ein besseres Deutschland gegeben habe.
Vor 80 Jahren, am 20. Juli 1944, stellte Claus Schenk Graf von Stauffenberg den Zeitzünder der Bombe scharf, die Adolf Hitler in den Tod reißen sollte.
Der 1943 in Afrika schwer verwunderte Oberst schaffte es gerade so, einen der beiden Sprengsätze in den Besprechungsraum in Hitlers Hauptquartier in Ostpreußen zu bringen. Schnell musste er zurück nach Berlin, um dort den Staatsstreich zu leiten.
Doch Hitler überlebte, der Putsch scheiterte. Stauffenberg und viele seiner Mitverschwörer wurden hingerichtet. Wäre das Attentat geglückt, wären wohl Millionen Menschen am Leben geblieben.
Wachsender Abscheu gegenüber Nazis
Stauffenberg ist einen langen Weg gegangen: Er dachte elitär und war davon überzeugt, dass Deutschland die Schande des Versailler Vertrags überwinden musste. Hitlers Kriegskurs und die Judenpogrome im November 1938 sorgten aber dafür, dass seine Abscheu gegenüber den Nazis wuchs.
Zwar ließen die schnellen Siege über Polen und Frankreich seine Meinung schwanken. Angesichts der großen Verluste im russischen Winter 1941/42 und der Augenzeugenberichte über Massaker an den Juden wuchs aber seine Überzeugung, dass Hitler Deutschland in die Katastrophe führte.
"Derjenige, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird", beschrieb Stauffenberg seine eigene Tragik. "Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen."
Einerseits sind die Hitler-Attentäter vielfach zu unerreichbaren Helden stilisiert worden - bis hin zum Hollywood-Film "Operation Walküre" mit Tom Cruise. Andererseits hat die neue Forschung herausgearbeitet, dass viele der Widerstandskämpfer zunächst mit dem Regime oder Teilen der NS-Ideologie sympathisierten, ehe sie sich an Staatsstreichplänen beteiligten.
Ehrlicher Blick auf Widerstand gefordert
In ihrem im Frühjahr veröffentlichten Buch "Das Deutsche Alibi" fordert die Journalistin Ruth Hoffmann einen "ehrlichen Blick" auf den 20. Juli. Sie weist auf die oft verschwiegene gesellschaftliche Vielfalt des Verschwörerkreises hin.
Noch heute gilt der 20. Juli Vielen als vom Gewissen geleiteter Umsturzversuch einer kleinen Gruppe vor allem preußischer Adeliger und Militärs. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss heroisierte die Beteiligten sogar 1954 als den "christlichen Adel deutscher Nation".
In Wirklichkeit waren laut Hoffmann rund 200 Personen an den Planungen und den Nachkriegsplänen beteiligt - ein Beziehungsgeflecht von Gutsbesitzern und Offizieren, Diplomaten, Gewerkschaftern bis zu Industriellen und Kirchenleuten. Beteiligt waren der Gewerkschafter Julius Leber, der Jesuitenpater Alfred Delp und der frühere Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler. Von einer "kleinen Clique" reaktionärer Militärs, wie die Nazi-Propaganda behauptete, konnte keine Rede sein.
Totengräber der Weimarer Republik
Dass dennoch viel vom Adel und Militär die Rede ist, hält die Autorin für keinen Zufall. Denn der 20. Juli wurde instrumentalisiert: Mal, um im Kalten Krieg vergessen zu machen, dass Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten die Nazis von Anfang an bekämpft hatten.
Auch diente diese Erzählung dazu, Adel, Militär und bürgerliche Eliten zu rehabilitieren und vergessen zu lassen, dass sie als "Totengräber der Weimarer Republik" den Aufstieg Hitlers massiv gefördert hatten.
Hoffmann macht deutlich, dass der 20. Juli im Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik sehr unterschiedlich bewertet wurde. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden Stauffenberg und seine Helfer noch als Landesverräter und Eidbrecher geschmäht.
Kanzler Konrad Adenauer weigerte sich noch zum zehnten Jahrestag 1954, die Verschwörer öffentlich zu würdigen. Außenpolitisch erschien ihm die Erinnerung an den 20. Juli aber doch nützlich: Gegenüber den Alliierten berief sich Adenauer auf jenes "andere Deutschland", um die Souveränität der BRD voranzutreiben.
"So wurde der 'Aufstand des Gewissens' zu einem Gründungsmythos des jungen Staats." Die Verschwörer wurden zu vermeintlichen Wegbereitern der Demokratie, obwohl ihre Ideen für Nachkriegsdeutschland nicht unbedingt einer Demokratie entsprachen.
"Ziviler Teil des Widerstands wird vergessen"
Bis heute wird der Mythos geplündert: So kritisiert Hoffmann, dass die Feierlichkeiten zum 20. Juli zuletzt eine militärische Schlagseite erhalten hätten. Während seit 1999 in jedem Jahr am Gedenktag Soldaten im Bendlerblock in Berlin vereidigt werden, bleibe der zivile Teil des Widerstands weithin unbekannt.
Hoffmann verweist darauf, dass die Vereinnahmung des 20. Juli mittlerweile bis in stramm rechte Kreise reicht. So nutzten die AfD, Impfgegner und Pegida das Gedenken, um ihren Widerstand gegen das herrschende System zu bekunden.