Hochschulseelsorger sucht das "neue Wir" in der Gesellschaft

"Ein Mosaik aus Erlebnissen mit Einzelnen"

Der katholische Würzburger Hochschulseelsorger Burkhard Hose engagiert sich seit Jahren für Flüchtlinge und gegen rechtsradikale Tendenzen. Nun hat er in seinem Buch "Aufstehen für ein neues Wir" seine Erfahrungen aufgeschrieben.

Pfr. Burkhard Hose / © Pat Christ
Pfr. Burkhard Hose / © Pat Christ

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Sie schreiben in Ihrem Buch sehr viel über positive Begegnungen mit Flüchtlingen. Ist das nicht sehr einseitig?

Burkhard Hose (Hochschulseelsorger und Autor): Es steht immer wieder die Vermutung im Raum: Findet da eine Heiligsprechung oder Verklärung von Erfahrungen, ja von Geflüchteten statt? Da kann ich ganz klar sagen: Nein, denn Geflüchtete sind Menschen wie alle anderen auch. Ich kenne also auch Erfahrungen von Enttäuschungen. Aber ich will natürlich auch das Positive stärken, denn im Moment sind die Stimmen mit einem Grundverdacht gegen Geflüchtete und Muslime sehr laut.

KNA: Welches der geschilderten Erlebnisse ist für Sie ein Schlüsselmoment in den vergangenen zwei Jahren gewesen?

Hose: Eines, das am längsten zurückliegt: Ich war in einer Gemeinde bei Gerolzhofen eingeladen über Kirchenasyl zu sprechen. Eine tschetschenische Familie - Muslime, die Frau trug Kopftuch - sollte abgeschoben werden. Ein Nachbar dieser Menschen stand damals in der Bürgerversammlung auf. Da dachte ich: Oh je, jetzt bekommen bestimmt irgendwelche Vorbehalte. Und dann sagt er: "Ich will nicht, dass die da wegziehen, denn ich will nicht, dass da Fremde hinkommen." Ich musste mich dann erst ein paar Sekunden sortieren. Aber darum geht es: Wenn Menschen sich vertraut machen, dann nehmen sie auch etwas auf sich, nämlich das, was zunächst fremd erscheint, kennenzulernen. Da hat sich etwas bewegt. Das ist ein Kapital unserer Gesellschaft.

KNA: Sie schreiben viel von einzelnen Personen, aber fordern zugleich ein "neues Wir". Wie passt das zusammen?

Hose: In diesen Begegnungen mit Einzelnen scheint eine Ahnung von diesem "neuen Wir" auf. Es geht um ganz konkrete Menschen und die Erfahrungen mit ihnen. Das Ganze ist ein Mosaik aus den vielen Erlebnissen.

KNA: Sie sprechen in dem Buch auch von einem "positiven Rassismus".

Hose: Das kann eine Haltung bei Ehrenamtlichen sein. Durch eine Überbetreuung und ein Über-Engagement nimmt man Menschen in ihrer Würde nicht ernst. Wenn man sagt: Alle Geflüchteten sind gut, ich kämpfe für sie und verteidige sie. Da nimmt man den Einzelnen gar nicht mit seinen Fähigkeiten, aber auch seinen Grenzen wahr. Wer die guten Flüchtlinge und die bösen Behördenmenschen gegeneinander in Stellung bringt, wird keinem Menschen gerecht.

KNA: Was halten Sie dagegen?

Hose: Es sind mir immer wieder Personen in den Behörden begegnet, die da als Menschen sitzen. Die natürlich gesetzliche Vorgaben umsetzen müssen, dies aber nicht ohne Emotionen tun oder ohne sich zu engagieren. Es gibt ja oft Spielräume und sie loten dann diese zugunsten von Geflüchteten aus. Das waren auch tolle Erfahrungen.

KNA: Wie waren Ihre Erfahrungen mit der Institution Kirche?

Hose: Ich habe mich gestützt gefühlt. Da sind die Äußerungen des Würzburger Bischofs Friedhelm Hofmann zu Geflüchteten, das ist aber auch das Geld, das eine Diözese für die entsprechende Arbeit in die Hand nimmt. Und dann gibt es noch die Zeichen und Äußerungen von Papst Franziskus, durch die ich mich bestärkt fühle.

KNA: Welche Rolle spielt Religion bei Ihren Begegnungen?

Hose: Ich habe mich schon lange nicht mehr so intensiv mit meiner eigenen Religion und dem Islam beschäftigt. Da gibt es Menschen, die beanspruchen für sich, dass sie das christliche Abendland oder Werte gegen Geflüchtete verteidigen müssten. Und ich erlebe gleichzeitig viele Kirchengemeinden, die sagen: Durch das Engagement für Geflüchtete wissen wir, was das Christliche ist. Oder Ordensleute, die sagen: Wir wissen wieder, wofür wir da sind. Ich selbst habe etwa die Stelle vom Barmherzigen Samariter noch einmal neu entdeckt.

KNA: Und der Islam?

Hose: Natürlich habe ich mich mit Muslimen auseinandergesetzt, auch mit der Frage der Gewalt. Jede Religion birgt da Gefahren in sich.
Das kann man nicht leugnen. Wir hatten spannende Diskussionen. Ich habe dabei etwa in der Ethik viele Gemeinsamkeiten entdeckt, mit den ganz normalen Muslimen. Wir haben einen Gesprächskreis unter der Überschrift gestartet: "Was denkst Du, was ich glaube?" Da verliefen die Grenzen oft nicht zwischen Christen und Muslimen sondern innerhalb der Religionen. Aber auch Religion bietet die Chance, das "neue Wir" zu finden.

Das Interview führte Christian Wölfel.


Quelle:
KNA