KNA: Herr Kardinal Zen, wie geht es Ihnen?
Kardinal Zen: Gut. Wieder gut. Im Sommer war ich krank. Ein Virus hatte sich in der Lunge festgesetzt, aber jetzt ist es wieder besser. Ich habe heute Morgen schon unterrichtet, dann war ich auf einer Beerdigung und anschließend mit einem älteren Pastor Mittag essen. Danach kamen Ordensschwestern aus China, die wollten mich sprechen. Und jetzt sind Sie hier.
KNA: Um Sie zu den Beziehungen zwischen dem Vatikan und Peking zu befragen. Nach Jahrzehnten der Feindschaft lotet eine Kommission seit einigen Monaten die Möglichkeiten einer Annäherung aus. Sie kritisieren das scharf - warum?
Kardinal Zen: Wir sollten uns zunächst darauf einigen, was ein kommunistisches Regime ist. Das ist ein totalitäres Regime, das alles kontrollieren will. Auch die Kirche. Aber das können wir nicht zulassen, die Kirche darf sich von einer Regierung, von einem Regime nicht kontrollieren lassen.
KNA: Aus Sicht des Vatikan werden die Verhandlungen mit "gutem Willen" geführt.
Kardinal Zen: Die Chinesen sind sehr clever. Sie können mit Worten spielen. Sie haben keine Skrupel, und sie sind nicht aufrichtig. Die Gefahr ist groß, dass der Vatikan getäuscht wird.
KNA: Aber wäre eine Verbesserung des Verhältnisses, wie Befürworter argumentieren, nicht zum Wohle aller Katholiken in China? Vor allem derjenigen, die im sogenannten Untergrund beten, weil sie sich der offiziellen chinesischen Kirche, der «Patriotischen Vereinigung» nicht anschließen wollen?
Kardinal Zen: Die chinesische Regierung lässt Kreuze von den Dächern reißen und verschärft mit neuen Regularien die Kontrolle über Gläubige und Pfarrer. Wie kann man da guter Hoffnung sein? Es besteht keine Hoffnung im Moment. Solange sich das Regime nicht ändert, gibt es auch keinen Grund zu hoffen.
KNA: Was ist mit Kompromissen? Muss die katholische Kirche nicht auch dazu bereit sein?
Kardinal Zen: Die Kirche darf sich einem Dialog nicht verschließen, und sie kann auch Kompromisse machen. Aber es gibt Grenzen. Wir können dem Regime in Peking nicht gefällig sein. Sie wollen alles, sie wollen eine Kapitulation.
KNA: Und das sieht der Vatikan nicht?
Kardinal Zen: Der Papst ist weit weg, er kennt China nicht. Und er kennt den Kommunismus in China nicht. Es gibt im Vatikan aber Menschen, die haben das Thema auf ihrer Agenda, und die wollen unbedingt Erfolg. Sie wollen den historischen Durchbruch.
KNA: Hauptstreitpunkt in den Gesprächen zwischen Vatikan und Peking ist die Ernennung der Bischöfe. Der Vatikan beansprucht dieses Recht weltweit für sich, Peking sieht dies als Einmischung in interne Angelegenheiten und hat in der Vergangenheit seine Bischöfe von der "Patriotischen Vereinigung" weihen lassen. Nachträglich haben viele dieser Bischöfe auch vom Papst ein Einverständnis erhalten. Es gibt also längst Kompromisse, oder nicht?
Kardinal Zen: Es gibt viele gute Priester und Bischöfe in der chinesischen Kirche. Aber sie müssen dem Staat gehorchen, sie werden von der Regierung geführt, am Nasenring. Eines Tages werden die Gläubigen feststellen, dass dies keine Hirten sind, sondern Offizielle des Staates. Dass sie nicht dem Evangelium dienen, sondern der politischen Macht.
KNA: Wenn keine Annäherung - was dann?
Kardinal Zen: Die Kirche muss die Freiheit verteidigen. Wie sollen die Menschen morgen noch Hochachtung vor der Kirche haben, wenn diese nicht heute die Freiheit verteidigt und die Verfolgung der Gläubigen beendet? All die Jahre des Kompromisses haben die Position der Kirche geschwächt. Die Kirche sollte die Gläubigen ermutigen stark zu sein, Widerstand zu üben.
KNA: Viele sehen Sie als Papst-Kritiker und werfen Ihnen vor, Geistliche in China zur Revolution anzustacheln. Ist das so?
Kardinal Zen: Ich würde niemals den Papst kritisieren. Ich kritisiere den Vatikan, aber nicht in den Papst. Wenn Franziskus einem Abkommen mit Peking zustimmt, werde ich aufhören zu sprechen. Ich werde verschwinden.
KNA: Das heißt?
Kardinal Zen: Ich werde meine Bücher lesen und ich werde niemals mehr öffentlich auftreten. Und das habe ich auch meinen Brüdern gesagt: Zieht euch still zurück und wartet auf bessere Zeiten.
KNA: Aber bis es so weit ist, werden Sie weiter Kritik üben?
Kardinal Zen: Ich bin eine öffentliche Person. Viele mögen mich nicht, viele mögen mich. Ich bin ein Rufer in der Wüste. Aber ich werde weiter meine Meinung sagen. Weil das meine Pflicht ist und weil ich in der Position bin frei zu sprechen. Ich bin außerdem 84 Jahre alt. Da ist es schwierig, seinen Charakter noch zu ändern. Also bin ich einfach ich selbst.