DOMRADIO.DE: Sie sind sozusagen Vermittlerin zwischen Medien und Bischöfen?
Gudrun Sailer (Redakteurin bei Radio Vatikan und Synoden-Berichterstatterin): Meine Aufgabe bei der Synode geht in zwei Richtungen, von innen nach außen und von außen nach innen. Ich bin grundsätzlich immer bei der Synode dabei, höre zu, schreibe interessante Inhalte mit, mache mir ein Bild, versuche die Dynamik und die Stimmung zu erfassen. Darüber informiere ich dann, bei Bedarf, Medienleute in deutscher Sprache. Das wäre von innen nach außen.
Und umgekehrt: Wenn sich in den deutschsprachigen Medien irgendein Synodenthema herausschält, auf das der Vatikan reagieren sollte oder zumindest gefasst sein sollte, dann gebe ich das nach innen weiter. Ich arbeite also komplett im Hintergrund, das ist anders als journalistische Arbeit. Ich frage nicht, sondern ich höre und übermittle.
DOMRADIO.DE: Der Vatikan ist Ihr Alltag. Wie ungewöhnlich sind denn diese Bilder, die wir im Moment zu sehen bekommen?
Sailer: Für uns Vatikanjournalisten eigentlich nicht sehr ungewöhnlich. Wir sind bunte Bilder etwa auch bei Generalaudienzen gewohnt. Da kommen gar nicht so selten Indigene zu den Päpsten. Der nordamerikanische Indianerhäuptling Sitting Bull besuchte seinerzeit Papst Leo XIII. Das war Ende des 19. Jahrhunderts. Der Vatikanjournalist Ulrich Nersinger hat diese Geschichte ausgegraben ("Sitting Bull und der Papst").
Aber eine neue Qualität hatte es dann doch, dass im Petersdom, rund um das Petrusgrab, indigene Rhythmen und amazonische Gesänge zu hören waren. Der Papst war dabei, und dann zog man, alle zusammen und alle vermischt, die Prozessionsordnung über den Haufen schmeißend, zusammen mit dem Papst zum Ort der Synode. Hin und wieder singt übrigens auch mal jemand in der Synodenaula.
DOMRADIO.DE: Bei der Synode geht es ja, anders als das Wort "Bischofssynode" vermuten lässt, nicht um die Bischöfe, sondern im Fall der Amazonas-Synode um die Menschen im Amazonas. Gibt es dort überhaupt so viele Katholiken? Es ist ja auch ein dünn besiedeltes Gebiet...
Sailer: ... in Amazonien wohnen mehr als 30 Millionen Menschen in neun Ländern, rund die Hälfte in Brasilien. Diese Menschen sind auf vielfältigste Weise bedroht, ihrer Lebensgrundlage beraubt, oft genug werden sie um ihre Rechte gebracht, weil enorme wirtschaftliche Interessen von Regierungen und Großkonzernen im Spiel sind. Vergiftung, Abholzung, Brandrodung, rücksichtlose Ausbeutung, Klimawandel, Drogen, Migration, Menschenhandel, Gewalt, massive Gewalt - das sind nur ein paar der Stichworte. Alles hängt mit allem zusammen, wie Papst Franziskus in seiner Sozialenzyklika "Laudato Si" geschrieben hat.
Es gibt zwei große inhaltliche Linien bei der Synode: eine ökologisch-soziale, und eine kirchliche, beide sind eng miteinander verwoben. Es braucht neue kirchliche Wege, um diesen Menschen wirklich so beizustehen, wie sie es verdienen. Das ist das Anliegen der Synode.
DOMRADIO.DE: Knapp 200 Bischöfe, dazu Laien und Experten beraten. Wie läuft denn so ein typischer Synodentag ab?
Sailer: Es gibt drei verschiedene Typen von Synodentag: Vollversammlung, Sprachgruppen und Freizeit für die meisten, plus Schreibarbeit für wenige. Vollversammlungen sind sehr dicht. Da hört man am Tag 30 oder 40 Wortmeldungen, jede ziemlich genau vier Minuten lang, in in einer von vier Sprachen. Immer nach vier solchen gelesenen Reden sind vier Minuten Stille, die braucht man auch. Das ist der Teil “Hören”.
Der zweite Modus ist Hören und Sprechen – in den Sprachgruppen, da arbeiten 15 bis 20 Leute miteinander inhaltlich zu Themen, in welcher Form, ist ihnen überlassen. Gegen Ende hin gibt es Tage, an denen das Redaktionskomitee am Schlussdokument arbeitet, während alle anderen frei haben. An den Arbeitstagen gibt es über Mittag immer eine lange Pause. In der Zeit findet eine Pressekonferenz statt. Und am Nachmittag geht es wieder zur Synode. Schluss ist abends um sieben – mal früher, mal später. Kurz und gut, da wird hart gearbeitet.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle hat der Papst bei alledem?
Sailer: Der Papst hat die zentrale Rolle. Dabei sagt er nur ganz wenig. Fast alle Tage beginnen und enden mit einem Gebet, das der Papst leitet. Dazwischen sitzt er vorn am Podium und hört zu. Nur ausnahmsweise sagt er etwas – am Mittwoch zum Beispiel hat er seine ersten Eindrücke von den Inhalten in fünf kurzen Punkten zusammengefasst und dann zum Gebet für die Opfer des antisemitischen Terrors in Halle aufgerufen – also er sagt fast nichts, trotzdem ist klar: er leitet die Versammlung.
DOMRADIO.DE: Einer der meistdiskutierten Momente: Eine Gruppe von Bischöfen hat ein Stimmrecht für Frauen bei der Synode gefordert, was wohl sogar lauten Beifall bekommen hat. Wie haben Sie das erlebt?
Sailer: Das kann ich nicht bestätigen. Das Thema Frauenstimmrecht war in der Synodenaula bei den Vollversammlungen bisher kein Thema. Ich habe aber bemerkt, dass es hie und da im Gespräch zwischen einzelnen Teilnehmenden auftaucht und dass es gärt. Was hingegen in der Aula einmal als Thema vorkam und mit demonstrativem Applaus bedacht wurde, war der Vorschlag der Priesterweihe für Frauen. Mehrheitsfähig ist das sicherlich nicht.
Mehrheitsfähig ist etwas anderes, nämlich dass Frauen mehr Sichtbarkeit und mehr auch institutionalisierte kirchliche Verantwortung haben sollten, wenn es darum geht, die Frohe Botschaft zu verkünden. Darin stimmen wohl die meisten Leute bei der Bischofssynode überein, ist mein Eindruck.
DOMRADIO.DE: Wie viele Frauen sind denn überhaupt dabei?
Sailer: Ich zähle 44, da sind aber dann auch Hilfsdienste wie zum Beispiel meiner mit eingerechnet. Frauen, die inhaltlich mitarbeiten, zähle ich 37, auch wenn bei der Vorstellung der Liste durch Kardinal Baldisseri von 35 die Rede war. Wie auch immer. Es sind, soweit ich sehe, so viele Frauen wie noch nie bei einer vatikanischen Bischofssynode. Der deutsche Amazonas-Bischof Johannes Bahlmann, der bei Vatican News bloggt, hat klipp und klar geschrieben, seiner Meinung nach sind es immer noch viel zu wenig – die Mengenverhältnisse hier im Vatikan stimmen einfach nicht überein mit der Realität am Amazonas. Dort sind es oft genug die Frauen, die die Kirche lebendig halten.
DOMRADIO.DE: Nun gibt es immer wieder Stimmen, die dieses Bischofstreffen "historisch" nennen, auch wegen der möglichen Ausnahmen für den Zölibat, die hier in Gang gebracht werden könnten. Würden Sie mit dem Wort historisch mitgehen?
Sailer: Historisch wäre die Amazonassynode für mich dann, wenn sie sicherstellt, dass alle Getauften am Amzonas, die sich die Sakramente wünschen, sie auch erhalten. Leider sieht das nicht nach einer schnellen Lösung aus. Aber wie groß bei den Menschen am Amazonas der Hunger nach den Sakramenten ist, nach der Nähe und der barmherzigen Zuwendung der Kirche, das tritt bei der Synode ziemlich drastisch vor Augen. Das ist eindrucksvoll.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.