DOMRADIO.DE: Wenn man über das Thema Antisemitismus und rechte Tendenzen in der Gesellschaft spricht, merkt man, dass das alles offenbar langsam wieder "hoffähig" wird. Und bei diesem Thema wird nun bekannt, dass der Zylinder von Adolf Hitler bei einer Auktion von Nazi-Devotionalien in München für 50.000 Euro versteigert wurde. Sie sind in der Deutschen Bischofskonferenz unter anderem Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so etwas lesen?
Bischof Ulrich Neymeyr (Bischof von Erfurt und Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum bei der Deutschen Bischofskonferenz): Ich finde das unerträglich. Auktionator Bernhard Pacher hat dann auch noch gesagt: "Wenn bekannt wird, wer ihn gekauft hat, wird das die Kritiker vielleicht zum Nachdenken bringen." Dann kann ich nur sagen: "Das bringt mich nicht zum Nachdenken." Mir ist völlig gleichgültig, wer das gekauft hat. Wenn es ein Museum war, kann ich das auch überhaupt nicht verstehen.
Allein die Tatsache, dass dieser Zylinder versteigert wurde, mit dem Adolf Hitler übrigens demonstrieren wollte, dass er gesellschaftsfähig ist, zeigt für mich Zweierlei. Einmal, dass uns die Gefühle der Juden egal sind. Und zweitens, dass der Nationalsozialismus wieder gesellschaftsfähig wird.
DOMRADIO.DE: Beim traditionellen Elisabeth-Empfang des Bistums Erfurt für Thüringer Politiker an diesem Donnerstagabend wollen Sie auch über die Verrohung der Sprache sprechen, die bis hin zur extremistischen Gewalt führen kann, wie man beim antisemitischen Anschlag von Halle schmerzlich gesehen hat. Sie reden vor einer großen Zahl von Abgeordneten aller politischen Parteien. Denken Sie, die Worte werden bei denen ankommen?
Neymeyr: Ich hoffe doch. Ich werde über die Kunst der Rede im Allgemeinen sprechen und dabei natürlich auch konkrete Fragen angehen. Vor allen Dingen auch die Frage, wie Redner mit Emotionen umgehen - mit ihren eigenen Emotionen, aber auch mit den Emotionen der Hörer. Sie müssen sich davor hüten, den Emotionen ihrer Hörer nachzugeben und ihnen wie die falschen Propheten nach dem Munde zu reden. Da hoffe ich schon, dass ich Nachdenklichkeit bei den Politikern hervorrufen kann.
DOMRADIO.DE: Sie wollen auch ein Zitat von Alt-Bundespräsident Horst Köhler in Ihrer Rede verwenden. "Es braucht einfach wieder mehr Menschen, die sagen, das tut man nicht", formulierte er einmal. Weshalb passt das Zitat?
Neymeyr: Das passt insofern, weil es gesetzlich nicht zu verbieten ist - genauso wie viele unmögliche Worte, die gesprochen werden, gesetzlich nicht zu verbieten sind. Sie sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Also muss der einzelne von sich heraus Grenzen dessen, was er sagt, kennen und akzeptieren. Aber wir erleben ja zurzeit gerade in rechten Kreisen, dass solche Grenzen ganz bewusst übergangen werden. Wir erleben, dass man ganz bewusst rote Linien im Sprachgebrauch übertritt.
DOMRADIO.DE Auf der einen Seite wird der Kirche vorgeworfen, sie sei zu politisch. Auf der anderen Seite stehen Christen auch für demokratische Werte ein. Sie haben kurz nach der Wahl in Thüringen gesagt, demokratisch zu handeln heiße mehr, als nur zur Wahl zu gehen. Was müssen die Thüringer mehr tun, als nur zur Wahl zu gehen?
Neymeyr: Ich glaube, als Bürger und erst recht als Politiker kommt man nicht umhin, sich mit den Fakten zu beschäftigen. Man muss Statistiken lesen, Meinungen von Menschen hören, sich mit konkreten Sachfragen beschäftigen. Das ist schwierig. Die Politiker haben ja auch Referenten, die ihnen zuarbeiten. Aber es braucht einfach Zeit. Und für mich ist ein Satz von Margret Thatcher, der ehemaligen britischen Premierministerin, ganz erschütternd: "Für Argumente habe ich keine Zeit." Das darf nicht sein.
Natürlich ist es ein mühsamer Weg für die Politiker, aber auch für die Bürger. Die Journalisten mühen sich nach Kräften, Fakten zu vermitteln. Damit muss man sich auseinandersetzen. Das ist für die Demokratie grundlegend, ebenso wie die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, eine andere Meinung sachlich zu bekämpfen - aber nicht persönlich.
DOMRADIO.DE: Sie haben nach dem Wahlabend gesagt, Thüringen stehe vor der großen Aufgabe, mit all den Herausforderungen umzugehen. Auch einen Monat nach der Wahl steht noch keine neue Landesregierung. Wird Thüringen das denn alles hinbekommen?
Neymeyr: Es ist sicher die große Herausforderung, eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Aber es ist auch die Herausforderung, mit der Polarisierung zu leben, die das Wahlergebnis gezeigt hat. Hier muss man sehen, dass die Gesellschaft wieder zusammenfindet. Das ist nicht nur ein Problem der politischen Meinungsbildung, der Entscheidungen, die ein Landtag trifft, sondern es ist auch ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.